Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür - Vorspiel lyrics

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Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür - Vorspiel lyrics

Der Wind stöhnt. Die Elbe schwappt gegen die Pontons. Es ist Abend. Der Beerdigungsunternehmer. Gegen den Abendhimmel die Silhouette eines Menschen DER BEERDIGUNGSUNTERNEHMER (rülpst mehrere Male und sagt dabei je­desmal): Rums! Rums! Wie die - Rums! Wie die Fliegen! Wie die Fliegen, sag ich. Aha, da steht einer. Da auf dem Ponton. Sieht aus, als ob er Uniform anhat. Ja, einen alten Soldatenmantel hat er an. Mütze hat er nicht auf. Seine Haare sind kurz wie eine Bürste. Er steht ziemlich dicht am Wa**er. Beinahe zu dicht am Wa**er steht er da. Das ist verdächtig. Die abends im Dunkeln am Wa**er stehn, das sind entweder Liebes­paare oder Dichter. Oder das ist einer von der großen grauen Zahl, die keine Lust mehr haben. Die den Laden hinwerfen und nicht mehr mitmachen. Scheint auch so einer zu sein von denen, der da auf dem Ponton. Steht gefährlich dicht am Wa**er. Steht ziemlich allein da. Ein Liebespaar kann es nicht sein, das sind immer zwei. Ein Dichter ist es auch nicht. Dichter haben längere Haare. Aber dieser hier auf dem Ponton hat eine Bürste auf dem Kopf. Merkwürdiger Fall, der da auf dem Ponton, ganz merkwürdig. (Es gluckst einmal schwer und dunkel auf. Die Silhouette ist ver­schwunden) Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wa**er. Hat ihn wohl untergekriegt. Und jetzt ist er weg. Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. Der Wind weht weiter. Die Elbe qua**elt weiter. Die Straßenbahn klingelt weiter. Die Huren lie­gen weiter weiß und weich in den Fenstern. Herr Kramer dreht sich auf die andere Seite und schnarcht weiter. Und keine - keine Uhr bleibt stehen. Rums! Ein Mensch ist gestorben. Und? Nichts weiter. Nur ein paar kreisförmige Wellen beweisen, daß er mal da war. Aber auch die haben sich schnell wieder beruhigt. Und wenn die sich verlaufen haben, dann ist auch er vergessen, verlaufen, spurlos, als ob er nie ge­wesen wäre. Weiter nichts. Hallo, da weint einer. Merkwürdig. Ein al­ter Mann steht da und weint. Guten Abend. DER ALTE MANN (nicht jämmerlich, sondern erschüttert): Kinder! Kinder! Meine Kinder! BEERDIGUNGSUNTERNEHMER: Warum weinst du denn, Alter? DER ALTE MANN: Weil ich es nicht ändern kann, oh, weil ich es nicht än­dern kann. BEERDIGUNGSUNTERNEHMER: Rums! Tschuldigung! Das ist allerdings schlecht. Aber deswegen braucht man doch nicht gleich loszulegen wie eine verla**ene Braut. Rums! Tschuldigung! DER ALTE MANN: Oh, meine Kinder! Es sind doch alles meine Kinder! BEERDIGUNGS UNTERNEHMER: Oho, wer bist du denn? DER ALTE MANN: Der Gott, an den keiner mehr glaubt. BEERDIGUNGSUNTERNEHMER: Und warum weinst du? Rums! Tschuldigung! GOTT: Weil ich es nicht ändern kann. Sie erschießen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hun­derttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern. BEERDIGUNGSUNTERNEHMER: Finster, finster, Alter. Sehr finster. Aber es glaubt eben keiner mehr an dich, das ist es. GOTT: Sehr finster. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Sehr finster. Und ich kann es nicht ändern, meine Kinder, ich kann es nicht ändern. Finster, finster. BEERDIGUNGS UNTERNEHMER: Rums! Tschuldigung! Wie die Fliegen! Rums! Verflucht! GOTT: Warum rülpsen Sie denn fortwährend so ekelhaft? Das ist ja ent­setzlich! BEERDIGUNGSUNTERNEHMER: Ja, ja, greulich! Ganz greulich! Berufskrank­heit. Ich bin Beerdigungsunternehmer. GOTT: Der Tod? - Du hast es gut! Du bist der neue Gott. An dich glauben sie. Dich lieben sie. Dich fürchten sie. Du bist unumstößlich. Dich kann keiner leugnen! Keiner lästern. Ja, du hast es gut. Du bist der neue Gott. An dir kommt keiner vorbei. Du bist der neue Gott, Tod, aber du bist fett geworden. Dich hab ich doch ganz anders in Erinne­rung. Viel magerer, dürrer, knochiger, du bist aber rund und fett und gut gelaunt. Der alte Tod sah immer so verhungert aus. ­ TOD: Na ja, ich hab in diesem Jahrhundert ein bißchen Fett angesetzt. Das Geschäft ging gut. Ein Krieg gibt dem andern die Hand. Wie die Fliegen! Wie die Fliegen kleben die Toten an den Wänden dieses Jahr­hunderts. Wie die Fliegen liegen sie steif und vertrocknet auf der Fensterbank der Zeit. GOTT: Aber das Rülpsen? Warum dieses gräßliche Rülpsen? TOD: überfressen. Glatt überfressen. Das ist alles. Heutzutage kommt man aus dem Rülpsen gar nicht heraus. Rums! Tschuldigung! GOTT: Kinder, Kinder. Und ich kann es nicht ändern! Kinder, meine Kin­der! (geht ab) TOD: Na, dann gute Nacht, Alter. Geh schlafen. Paß auf, daß du nicht auch noch ins Wa**er fällst. Da ist vorhin erst einer reingestiegen. Paß gut auf, Alter. Es ist finster, ganz finster. Rums! Geh nach Haus, Alter. Du änderst es doch nicht. Wein nicht über den, der hier eben Plumps gemacht hat. Der mit dem Soldatenmantel und der Bürstenfri­sur. Du weinst dich zugrunde! Die heute abends am Wa**er stehen, das sind nicht mehr Liebespaare und Dichter. Der hier, der war nur einer von denen, die nicht mehr wollen oder nicht mehr mögen. Die ein­fach nicht mehr können, die steigen dann abends irgendwo still ins Wa**er. Plumps. Vorbei. Laß ihn, heul nicht, Alter. Du heulst dich zugrunde. Das war nur einer von denen, die nicht mehr können, einer von der großen grauen Zahl ... einer ... nur ...