Rainer Maria Rilke - Du bist das Kloster zu den Wundenmalen lyrics

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Rainer Maria Rilke - Du bist das Kloster zu den Wundenmalen lyrics

Du bist das Kloster zu den Wundenmalen. Mit zweiunddreißig alten Kathedralen und fünfzig Kirchen, welche aus Opalen und Stücken Bernstein aufgemauert sind. Auf jedem Ding im Klosterhofe liegt deines Klanges eine Strophe, und das gewaltige Tor beginnt. In langen Häusern wohnen Nonnen, Schwarzschwestern, siebenhundertzehn. Manchmal kommt eine an den Bronnen, und eine steht wie eingesponnen, und eine, wie in Abendsonnen, geht schlank in schweigsamen Alleen. Aber die Meisten sieht man nie; sie bleiben in der Häuser Schweigen wie in der kranken Brust der Geigen die Melodie, die keiner kann... Und um die Kirchen rings im Kreise, von schmachtendem Jasmin umstellt, sind Gräberstätten, welche leise wie Steine reden von der Welt. Von jener Welt, die nichtmehr ist, obwohl sie an das Kloster brandet, in eitel Tag und Tand gewandet und gleichbereit zu Lust und List. Sie ist vergangen: denn du bist. Sie fließt noch wie ein Spiel von Lichtern über das teilnahmslose Jahr; doch dir, dem Abend und den Dichtern sind, unter rinnenden Gesichtern, die dunkeln Dinge offenbar.