Patrick Salmen - Tagebuch eines Nichtrauchers lyrics

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Patrick Salmen - Tagebuch eines Nichtrauchers lyrics

Ich bin alleine. Denke ich zumindest. Womöglich sitzt die Frau just in diesem Moment auf der Couch nebenan. Wer einmal in der Wohnung eines Kettenrauchers war, der weiß: örtliche Nähe gewährleistet nicht zwingend Sichtkontakt. Oft erinnert mich mein Wohnzimmer an den Schornstein eines gelsenkirchener Braunkohlekraftwerkes. Ich gebe zu: spätestens seit der Geburt der Kinder hätte ich mal auf den Balkon gehen können, aber ich glaube, da müssen die jetzt einfach durch. Auf mich nimmt ja auch keiner Rücksicht. Die Kleinen wissen sich aber im Nebel zu helfen, haben aus der Not eine Tugend entwickelt, und sich eine Handvoll lustige Spiele ausgedacht. Hier der Kla**iker: Ich sehe was, was du nicht siehst. Du siehst aber eh nichts, denn ich seh ja auch nichts. “Probier doch wenigstens E-Zigaretten”, sagte die Frau. Ich möchte jetzt nicht den Tabak romantisieren, oder mich dem Fortschritt verweigern, aber wenn ich eines befremdlich finde, dann den Satz: “Ich kann grad' nicht rauchen, mein Akku ist leer.” An den ersten Versuch, aufzuhören, kann ich mich bestens erinnern: Hypnosetherapie. Hat bestens funktioniert. Ich habe für eine lange Zeit nicht im Entferntesten an Zigaretten gedacht, dann hat der Typ mit dem Finger geschnippt, und ich bin wieder aufgewacht. Habe zwar immer noch nicht ans Rauchen gedacht, hielt mich aber seit diesem Zeitpunkt für einen Bagger. Brumm Brumm. Kein Bagger der Welt macht “Brumm Brumm”, genauso wenig, wie Züge “Tuff Tuff”, oder Tauben “Gurr Gurr” machen. Warum bringt man den Kindern eigentlich so eine Scheiße bei? So geht das nämlich los: Falsches Weltbild, “Gurr Gurr”, ZACK Schulabbruch, Crystal Meth. Aber zurück zum Thema. Nach all den gescheiterten Versuchen sollte es diesmal doch klappen. “Reden Sie über ihre Emotionen”, sagte der Therapeut, “Schreiben Sie, führen Sie Tagebuch beim Nichtrauchen”. Na gut, ich habe ja nichts zu verlieren. Hier ein Auszug besagten Tagebuchs. Tag 1 Ich bin wild entschlossen, diese Kopfschmerzen haben mich umgebracht. Auszug aus einem Buch zum Thema “Rauchfreies Leben”: “Kein Platz für Nostalgie! Machen Sie das Nichtrauchen zu einer Einstellung. Sagen Sie nicht: “Ich rauche nicht mehr”, sagen Sie: “Ich rauche nicht”! “Klingt radikal”, denke ich, aber ich werde das bei meinem nächsten Trennungsversuch beherzigen. Statt: “Tut mir leid, ich kann das nicht mehr”, sage ich: “Es tut mir leid, aber ich liebe nicht. Habe nie geliebt. Du bist eine tolle Frau, aber ich bin ein Mensch aus kaltem Stahl”. Tag 2 Ich suche mir hobbies. Rufe Freunde an, und frage Nichtraucher, was sie den ganzen Tag machen. Frank sagt, er hätte mit dem Gitarrespielen angefangen. Aha. Kaufe mir Peter Bursch's Gitarrenbuch. Die Einleitung überspringe ich, erster Song: Wonderwall. Schmeiße das Buch wieder weg. Tag 3 Ich versuche vom Kaffee loszukommen und mich an Tee zu gewöhnen. Tee a**oziierte ich bisweilen mit Krankheiten. Kann mir nicht vorstellen, aufzuwachen, und zu denken: “Mmmmm, Kamillentee”! Aber gut, ich nehme mir vor, so viel Kaffee zu trinken, bis ich keinen Bock mehr darauf habe. Denke an den Vater eines Freundes, der den damals 14-jährigen beim Alkoholtrinken erwischt hat, und ihn dann gezwungen hat, eine Flasche Doppelkorn auszutrinken, um ihm die negativen Aspekte des Alkohols aufzuzeigen. Man kann das didaktisch hinterfragen. Aber: hat funktioniert. Kaufe also 10 Packungen Kaffee, koche sie auf, und ziehe mir sie hinter die Binde. Tanze 30 Minuten zu “Scatman John” (das ist dieses “Biii bap bap bada bup - bap bap bada bup”) und schlafe wieder ein. Tag 4 Mein Geruchssinn entwickelt sich zurück. Merke, da** Dinge Düfte haben. Zum Beispiel: Gewürze. Mir öffnen sich völlig neue Welten! Endlich kann ich Dinge sagen, wie: ”Lecker, Kardamom”! Fühle mich wie Jean-Baptiste Grenouille aus “Das Parfum”. Habe wieder Angst vor mir selber. So fängt das an: Riechen, ZACK, Psycho! Sehe mich in meinem inneren Auge, wie ich Frauen töte, um ihren Duft zu konservieren. Wäre Grenouille Raucher gewesen, ich schätze, das wäre ein recht langweiliges Buch geworden. Tag 5 Habe Hunger. Kaufe mir für 300€ Gummischlümpfe. Mein Leben hat endlich einen Sinn. Tag 6 Ich bin total entspannt. Heute Morgen habe ich meinem Kind den Kopf abgebissen, aber ansonsten geht's. Tag 7 Uwe sagt, es sei wichtig, immer irgendwas in den Händen zu halten. Habe mir einen Flummi gekauft. Mein neuer Spitzname im Viertel: der Flummimann. Die Menschen reden über mich. Höre in Satzfetzen Dinge wie “Inselbegabung”, “Autismus” und “Er ist etwas besonderes”. Tag 9 Habe mir eine Nichtraucher-App runtergeladen. Bekomme nun stündlich Nachrichten im Stile von “Weiter so, kleiner Kämpfer!”, “Ja, fein gemacht!”, “Auch für dich geht morgen die Sonne wieder auf”. Lösche die App. Macht mich aggressiv, die Scheiße. Tag 10 Ich merke, da** meine Schnappatmung aufhört und ich wieder Luft bekomme. Verrückt. Melde mich spontan beim Ironman an. Fühle mich wie Joey Kelly und schreibe einen Abschiedsbrief an meine Familie. Tag 11 Ich hab's mir anders überlegt. Lerne lieber neue Tricks mit dem Flummi. Schon vier Kilo zugenommen, sollte Joggen gehen. Ein lieber Kollege schrieb einmal: “Wenn du Joggen gehst, gewinnst du zwar mehr Lebenszeit, verbringst diese aber eben... mit Joggen”. Recht hat der Mann! Warum sollte ich einfach so im Kreis herumlaufen, in engen, atmungsaktiven Sketch Hosen, ohne Stolz, ohne Selbstachtung? Egal, ich probiere es aus. Habe zwar keine pa**ende Kleidung, dafür aber ein Schweißband von Tchibo. Sieht super aus! Tag 13 Schon 70€ gespart. Wohin mit meinem Reichtum? Der Gedanke, da** man Geld spart, indem man etwas nicht kauft, ist völlig genial. Dieser Logik zufolge habe ich heute bereits 200.000€ gespart, indem ich mir keinen Porsche gekauft habe. Läuft bei mir. 70€ also. Gehe mit meinem Geld zum Kiosk und kaufe mir reflexartig 24 Schachteln Kippen. Fühle mich wie Homer Simpson. Tag 14 Alle Zigaretten in einem aufgeraucht. Leichter Husten, drückender Schmerz in der Brust, Lungenpfeifen. Nie wieder Joggen.