Oberer Totpunkt - Nervenfieber lyrics

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Oberer Totpunkt - Nervenfieber lyrics

Später hieß es, es war das Nervenfieber. Aber das war es nicht. Die einfachen Erklärungen sind nie die, die zutreffen. Nur einfache Geister la**en sich von einfachen Gedanken einlullen. Es fing an, als sie die ersten Hinweise wahrnahm, die auf sein Doppelleben deuteten. Als sie begann, genauer hinzusehen, fragte sie sich, warum sie es nicht schon viel eher bemerkt hatte. Wahrscheinlich hatte sie es nicht sehen wollen. Von nun an schärfte sie ihre Aufmerksamkeit. Sie spielte weiterhin die Unbedarfte, aber sie begann ihn zu überprüfen. Auf ihre Art. Sie übte ihre Sinne, bis sie nach und nach eine übermenschliche Perfektion erlangte. Sein Atem, sein Körpergeruch oder der Duft, den seine Kleidung verströmte, verrieten ihr Dinge, die seine Zunge nie offenbart hätte. So erfuhr sie, da** er in den Teehäusern und Opiumhöhlen eine andere Identität pflegte, da** man ihn dort kannte, wusste, wie er verwöhnt werden wollte. Sie war hin und hergerissen zwischen Faszination und Abscheu. Nachts wälzte sie sich in ihrem Bett, fand keinen Schlaf. Brauchte keinen Schlaf mehr, keine Nahrung. Ihr Körper schöpfte Energie allein aus ihrer geistigen Kraft. Ihre fiebrig gesteigerte Hellsichtigkeit offenbarte ihr, wo er sich aufhielt, was er tat, mit wem er sich traf. Worüber er sprach. Sie hörte seine Stimme so klar und deutlich in ihrem Kopf, da** sie sich ins Gespräch hätte einschalten können! Schließlich war sie sogar imstande, seine Gedanken zu lesen, ganz gleich wo er sich aufhielt. Das ging eine Weile so. Bis sie ihn zur Rede stellte. Natürlich stritt er alles ab, das hatte sie nicht anders erwartet. Doch selbst noch als sie ihn mit glühenden Kohlen malträtierte, blieb er bei seiner verlogenen Version der Wahrheit. Während sie doch das Gegenteil in seinen Gedanken lesen konnte! Wie er flehte, um Gnade, die er ihr nie hatte gewähren wollen, wenn er sie hinterging. Wie sie sich besudelt fühlte von der Wortschlacke, die aus seinem Mund troff, seinen Lügen. Als sie sich entschloss, ihn nicht zu töten, sondern ihn sich selbst zu überla**en, dort im Keller, im Waldhaus, angekettet und mit nur einem Blechnapf voll brackigen Wa**ers, geschah dies im vollen Bewusstsein, da** unverdient gewährte Gnade wahre Macht offenbart. Die Schreie seiner Gedanken hallten noch lange in ihrem Kopf wider. Das Flehen. Das Winseln. Sie konnte hören wie sein Herz in verzweifelter Raserei in seiner Brust hämmerte, wie sein Blut kochte. Wie sein Atem verging. Am Ende stand sie vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer, eine große Schere in der Hand. Stille in ihrem Kopf. Sie musste sich auf ihre letzte Aufgabe zum Abschluss dieses Kapitels konzentrieren: Das Auge, auf dem sie viel zu lange blind gewesen war, forderte Strafe.