Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür - 2. Szene lyrics

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Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür - 2. Szene lyrics

(Ein Zimmer. Abends. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Beckmann. Das Mädchen.) MÄDCHEN: So, nun will ich mir erst einmal den Fisch unter der Lampe ansehen. Nanu -- (sie lacht) aber sagen Sie um Himmelswillen, was soll denn dies hier sein? BECKMANN: Das? Das ist meine Brille. MÄDCHEN: Das nennen Sie Brille? Ich glaube, Sie sind mit Absicht komisch. BECKMANN: Ja, meine Brille. Sie haben recht: vielleicht sieht sie ein bißchen komisch aus. Mit diesen grauen Blechrändern um das Glas. Und dann diese grauen Bänder, die man um die Ohren machen muß. Und dieses graue Band quer über die Nase! Man kriegt so ein graues Uniformgesicht davon. So ein blechernes Robotergesicht. So ein Gasmaskengesicht. Aber es ist ja auch eine Gasmaskenbrille. MÄDCHEN: Gasmaskenbrille? BECKMANN: Gasmaskenbrille. Die gab es für Soldaten, die eine Brille trugen. Damit sie auch unter der Gasmaske was sehen konnten. MÄDCHEN: Aber warum laufen Sie denn jetzt nocht damit herum? Haben Sie denn keine richtige? BECKMANN: Nein. Gehabt, ja. Aber die ist mir kaputt geschossen. Nein, schön ist sie nicht. Aber ich bin froh, daß ich wenigstens diese habe. Ohne Brille bin ich rettungslos verloren. Wirklich, vollkommen hilflos. MÄDCHEN: Ja? Ohne sind Sie vollkommen hilflos? (fröhlich, nicht hart) Dann geben Sie das abscheuliche Gebilde mal schnell her. Da -- was sagen Sie nun! Nein, die bekommen Sie erst wieder, wenn Sie gehen. Außerdem ist es beruhigender für mich, wenn ich weiß, daß Sie so vollkommen hilflos sind. Viel beruhigender. Ohne Brille sehen Sie auch gleich ganz anders aus. BECKMANN: Geben Sie sie wieder her. Ich sehe ja nichts mehr. Sie selbst sind mit einmal ganz weit weg. Ganz undeutlich. MÄDCHEN: Wunderbar. Das ist mir gerade recht. Und Ihnen bekommt das auch besser. Mit der Brille sehen Sie ja aus wie ein Gespenst. BECKMANN: Vielleicht bin ich auch ein Gespenst. Eins von gestern, das heute keiner mehr sehen will. Ein Gespenst aus dem Krieg, für den Frieden provisorisch repariert. MÄDCHEN: (herzlich, warm) Und was für ein griesgrämiges graues Gespenst! Ich glaube, Sie tragen innerlich auch so eine Gasmaskenbrille, Sie behelfsmäßiger Fisch. La**en Sie mir die Brille. Es ist ganz gut, wenn Sie mal einen Abend alles ein bißchen verschwommen sehen. Pa**en Ihnen denn wenigstens die Hosen? Na, es geht gerade. Da, nehmen Sie mal die Jacke. BECKMANN: Oha, erst ziehen SIe mich aus dem Wa**er, und dann la**en Sie mich gleich wieder ersaufen. Das ist ja eine Jacke für einen Athleten. Welchem Reisen haben Sie die denn gestohlen? MÄDCHEN: Der Riese ist mein Mann. War mein Mann. BECKMANN: Ihr Mann? MÄDCHEN: Ja. Dachten Sie, ich handele mit Männerkleidung? BECKMANN: Wo ist er? Ihr Mann? MÄDCHEN: (bitter, leise) Verhungert, erfroren, liegengeblieben -- was weiß ich. Seit Stalingrad ist er vermißt. Das war vor drei Jahren. BECKMANN: (starr) In Stalingrad? In Stalingfrad, ja. Der Mann, der Ihr Mann war, der der Riese war, dem dieses Zeug gehört, der ist liegengeblieben. Und ich, ich komme nun her und ziehe sein Zeug an. Ist das nicht schön? Und seine Jacke ist so riesig, daß ich fast darin ersaufe. (hastig) Ich muß sie wieder ausziehen. Doch. Ich muß wieder mein na**es Zeug anziehen. Ich komme um in dieser Jacke. Ich bin ja ein Witz in dieser Jacke. Ein grauenhafter, gemeiner Witz, den der Krieg gemacht hat. MÄDCHEN: (warm, verzweifelt) Sei still, Fisch. Behalt sie an, bitte. Du gefällst mir so, Fisch. Trotz deiner komischen Borstenfrisur. Die hast du wohl auch aus Rußland mitgebracht, ja? BECKMANN: (ganz abwesend) Mich bedrückt das. Ich ersaufe. Das kommt, weil ich so schlecht sehe. Ganz und gar nebelig. Aber es erwürgt mich. MÄDCHEN: (ängstlich) Was has du? Du, was hast du denn? BECKMANN: (mit wachsender Angst) Ich werde jetzt ganz sachte verrückt. Gib mir meine Brille. Schnell. Das kommt alles nur, weil es so nebelig vor meinen Augen ist. Da! Ich habe das Gefühl, daß hinter deinen Rücken ein Mann steht! Die ganze Zeit schon. Ein großer Mann. Ein Riese, und der Riese hat nur ein Bein. Er kommt immer näher, mit einem Bein und zwei Krücken. Hörst du -- teck tock. Teck tock. So machen die Krücken. Jetzt steht er hinter dir. Fühlst du sein Luftholen im Nacken? MÄDCHEN: (schreit auf und stürzt davon. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Dann kört man ganz laut das "teck tock" der Krücken.) EINBINIGER: (monoton) Was tust du hier. Du in meinem Zeug? Auf meinem Platz? Bei meiner Frau? BECKMANN: (wie gelähmt) Dein Zeug? Dein Platz? Deine Frau? EINBEINIGER: (immer ganz monoton und apathisch) Und du, was du hier tust? BECKMANN: (stockend, leise) Das hab ich gestern nacht auch den Mann gefragt, der bei meiner Frau war. In meinem Hemd war. In meinem Bett. Was tust du hier, du? hab ich gefragt. Da hat er die Schultern hochgehoben und wieder fallen la**en und hat gesagt: Ja, was tu ich hier. Das hat er geantwortet. Da habe ich die Schlafzimmertuur wieder zugemacht, nein, erst noch das Licht wieder ausgemacht. Und dann stand ich draußen. EINBEINIGER: Komm mit deinem Gesicht unter die Lampe. Ganz nah. (dumpf) Beckmann! BECKMANN: Ja. Ich. Beckmann. Ich dachte, du würdest mich nicht mehr erkennen. EINBEINIGER: (leise, aber mit ungeheuerem Vorwurf) Beckmann . . . Beckmann . . . Beckmann!!! BECKMANN: (gefoltert) Hör auf, du. Sag den Namen nicht! Ich will diesen Namen nicht mehr haben! Hör auf, du! EINBEINIGER: (leiert) Beckmann, Beckmann. BECKMANN: (schreit auf) Das bin ich nicht! Das will ich nicht mehr sein. Ich will nicht mehr Beckmann sein! (Er läuft hinaus. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Dann hört man den Wind und einen Menschen durch die stillen Straßen laufen.) DER ANDERE: Halt! Beckmann! BECKMANN: Wer ist da? DER ANDERE: Ich. Der Andere. BECKMANN: Bist du schon wieder da? DER ANDERE: Immer noch, Beckmann. Immer, Beckmann. BECKMANN: Was willst du? Laß mich vorbei. DER ANDERE: Nein, Beckmann. Dieser Weg geht an die Elbe. Komm, die Straße ist hier oben. BECKMANN: Laß mich vorbei. Ich will zur Elbe. DER ANDERE: Nein, Beckmann. Komm. Du willst diese Straße hier weitergehen. BECKMANN: Die Straße weitergehen! Leben soll ich? Ich soll weitergehen? Soll essen, schlafen, alles? DER ANDERE: Komm, Beckmann. BECKMANN: (mehr apathisch als erregt) Sag diesen Namen nicht. Ich will nicht mehr Beckmann sein. Unablässig Beckmann! Andauernd Beckmann! Und er sagt das, als ob er Grab sagt. Als ob er Mord sagt, oder Hund sagt. Der meinen Namen sagt wie: Weltuntergang! Dumpf, drohend, verzweifelt. Und du sagst, ich soll weiterleben? DER ANDERE: Komm, Beckmann. Wir wollen die Straße weitergehen. Wir wollen einen Mann besuchen. Und dem gibst du sie zurück. BECKMANN: Was? DER ANDERE: Die Verantwortung. BECKMANN: Wir wollen einen Mann besuchen? Ja, das wollen wir. Und die Verantwortung, die gebe ich ihm zurück. Ja, du,das wollen wir. Ich will eine Nacht pennen ohne Einbeinige. Ich gebe sie ihm zurück. Ja! Ich bringe ihm die Verantwortung zurück. Ich gebe ihm die Toten zurück. Ihm! Ja, komm, wir wollen einen Mann besuchen, der wohnt in einem warmen Haus. In dieser Stadt, in jeder Stadt. Wir wollen einen Mann besuchen, wir wollen ihm etwas schenken – einen lieben guten braven Mann, der sein ganzes Leben nur seine Pflicht getan,und immer nur die Pflicht! Aber es war eine grausame Pflicht! Es war eine fürchterliche Pflicht! Eine verfluchte – fluchte – fluchte Pflicht! Komm! Komm!