1 Mein großer Bruder Franz Villon Wohnt bei mir mit auf Zimmer Wenn Leute bei mir schnüffeln gehn Versteckt Villon sich immer Dann drückt er sich in' Kleiderschrank Mit einer Flasche Wein Und wartet bis die Luft rein ist Die Luft ist nie ganz rein Er stinkt, der Dichter, blumensüß Muß er gerochen haben Bevor sie ihn vor Jahr und Tag Wie'n Hund begraben haben Wenn mal ein guter Freund da ist Vielleicht drei schöne Fraun Dann steigt er aus dem Kleiderschrank Und trinkt bis Morgengraun Und singt vielleicht auch mal ein Lied Balladen und Geschichten Vergißt er seinen Text, soufflier Ich ihm aus Brechts Gedichten 2 Mein großer Bruder Franz ViIIon War oftmals in den Fängen Der Kirche und der Polizei Die wollten ihn aufhängen Und er erzählt, er lacht und weint Die dicke Margot dann Bringt jedes mal zum Fluchen Den alten alten Mann Ich wüßte gern was die ihm tat Doch will ich nicht drauf drängen Ist auch schon lange her Er hat mit seinen Bittgesängen Mit seinen Bittgesängen hat Villon sich oft verdrückt Aus Schuldturm und aus Kerkerhaft Das ist ihm gut geglückt Mit seinen Bittgesängen zog Er sich oft aus der Schlinge Er wollt nicht, daß sein Hinterteil Ihm schwer am Halse hinge 3 Die Eitelkeit der höchsten Herrn Konnt meilenweit er riechen Verewigt hat er manchen Arsch In den er mußte kriechen Doch scheißfrech war François Villon Mein großer Zimmergast Hat er nur freie Luft und roten Wein geschluckt, gepraßt Dann sang er unverschämt und schön Wie Vögel frei im Wald Beim Lieben und beim Klauengehn Nun sitzt er da und lallt Der Wodkaschnaps aus Adlershof Der drückt ihm auf Gehirn Mühselig liest er das >ND< (Das Deutsch tut ihn verwirrn) Zwar hat man ihn als Kind gelehrt Das hohe Schul-Latein Als Mann jedoch ließ er sich mehr Mit niederm Volke ein 4 Besucht mich abends mal Marie Dann geht Villon solang Spazieren auf der Mauer und Macht dort die Posten bang Die Kugeln gehen durch ihn durch Doch aus den Löchern fließt Bei Franz Villon nicht Blut heraus Nur Rotwein sich ergießt Dann spielt er auf dem Stacheldraht Aus Jux die große Harfe Die Grenzer schießen Rhythmus zu Verschieden nach Bedarfe Erst wenn Marie mich gegen früh Fast ausgetrunken hat Und steht Marie ganz leise auf Zur Arbeit in die Stadt Dann kommt Villon und hustet wild Drei Pfund Patronen blei Und flucht und spuckt und ist doch voll Verständnis für uns zwei 5 Natürlich kam die Sache raus Es läßt sich nichts verbergen In unserem Land ist Ordnung groß Wie bei den sieben Zwergen Es schlugen gegen meine Tür Am Morgen früh um 3 Drei Herren aus dem großen Heer Der Volkespolizei »Herr Biermann«- sagten sie zu mir »Sie sind uns wohl bekannt Als treuer Sohn der DDR Es ruft das Vaterland Gestehen Sie uns ohne Scheu Wohnt nicht seit einem Jahr Bei Ihnen ein gewisser Franz Fillon mit rotem Haar? Ein Hetzer, der uns Nacht für Nacht In provokanter Weise Die Grenzsoldaten bange macht« - ich antwortete leise: 6 »Jawohl, er hat mich fast verhetzt Mit seinen frechen Liedern Doch sag ich Ihnen im Vertraun: Der Schuft tut mich anwidern! Hätt ich in diesen Tagen nicht Kurellas Schrift gelesen Von Kafka und der Fledermaus Ich wär verlorn gewesen Er sitzt im Schrank, der Hund Ein Glück, daß Sie ihn endlich holn Ich lief mir seine Frechheit längst ab von den Kindersohln Ich bin ein frommer Kirchensohn Ein Lämmerschwänzchen bin ich Ein stiller Bürger, Blumen nur In Liedern sanft besing ich.« Die Herren von der Polizei Erbrachen dann den Schrank Sie fanden nur Erbrochenes Das mählich niedersank.