Rainer Maria Rilke - Fragmente aus verlorenen Tagen lyrics

Published

0 208 0

Rainer Maria Rilke - Fragmente aus verlorenen Tagen lyrics

....Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn und immer schwerer werden, wie im Fallen: die Erde saugt aus ihren langen Krallen die mutige Erinnerung von allen den großen Dingen, welche hoch geschehn, und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht am Boden halten, - wie Gewächse, die, kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen, in schwarzen Schollen unlebendig licht und weich und feucht versinken und versiechen, - wie irre Kinder, - wie ein Angesicht in einem Sarg, - wie frohe Hände, welche unschlüssig werden, weil im vollen Kelche sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind, - wie Hülferufe, die im Abendwind begegnen vielen dunklen großen Glocken, - wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken, wie Ga**en, die verrufen sind, - wie Locken, darinnen Edelsteine blind geworden sind, - wie Morgen im April vor allen vielen Fenstern des Spitales: die Kranken drängen sich am Saum des Saales und schaun: die Gnade eines frühen Strahles macht alle Ga**en frühlinglich und weit; sie sehen nur die helle Herrlichkeit, welche die Häuser jung und lachend macht, und wissen nicht, da** schon die ganze Nacht ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt, ein Sturm von Wa**ern, wo die Welt noch eist, ein Sturm, der jetzt noch durch die Ga**en braust und der den Dingen alle Bürde von ihren Schultern nimmt, - da** Etwas draußen groß ist und ergrimmt, da** draußen die Gewalt geht, eine Faust, die jeden von den Kranken würgen würde inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben. - ...... Wie lange Nächte in verwelkten Lauben, die schon zerrissen sind auf allen Seiten und viel zu weit, um noch mit einem Zweiten, den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen, - wie nackte Mädchen, kommend über Steine, wie Trunkene in einem Birkenhaine, - wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen, - wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen und dann versterben, so da** keiner je abwenden könnte das verhängte Weh, wie volle Rosen, künstlich aufgezogen im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen, und dann vom Übermut in großem Bogen hinausgestreut in den verwehten Schnee, - wie eine Erde, die nicht kreisen kann, weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren, wie ein erschlagener verscharrter Mann, dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren, - wie eine von den hohen, schlanken, roten Hochsommerblumen, welche unerlöst ganz plötzlich stirbt im Lieblingswind der Wiesen, weil ihre Wurzel unten an Türkisen im Ohrgehänge einer Toten stößt.... Und mancher Tage Stunden waren so. Als formte wer mein Abbild irgendwo, um es mit Nadeln langsam zu misshandeln. Ich spürte jede Spitze seiner Spiele, und war, als ob ein Regen auf mich fiele, in welchem alle Dinge sich verwandeln.