Published
0 169 0
I. G. Meyer. Kaspar Hauser wie er wirklich ist und was aus ihm werden kann Ein unumwundenes Urteil von seinem Lehrer im Juli 1833, zugleich als ausführlicher Bericht an seine Herrlichkeit Herrn Graf Stanhope dienend. Akten des K. Kreis- und Stadtgerichts Ansbach, Bd. 5a – Justizministerialakt Nr. 2113, Beilage, eingeheftet zwischen Fol. 37 und 38. Beglaubigte Abschrift. Mir mag's diesmal gehen wie jenem deutschen Schriftsteller, der einen Brief an seinen Freund mit den Worten anfing: »Du erhältst diesmal einen langen Brief von mir, weil ich nicht Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.« – Eine bessere Ausführung und mehrfachere Begründung meiner Ansichten über Kaspar Hausers Individualität mir für die nächste Zeit vorbehaltend, kann ich mich diesmal wegen Mangels an Zeit nur in nachstehender unbemessener Form äußern. Ich will dabei auf folgende Fragen antworten und meine Behauptungen immer nur durch die nächsten Erscheinungen belegen: I. Was zeigt Hauser fortwährend für geistige Anlagen? II. In welchem Verhältnis zu denselben steht sein Fleiß und Eifer im Lernen, und wie sind seine Fortschritte? III. Worin hat es seinen Grund, daß Hausers Leistungen nur selten vom rechten Standpunkte aus aufgefaßt und auf die rechte Weise gewürdigt werden? IV. Welche besondere Umstände in Hausers Leben konnten bisher unmöglich auf seine moralische und intellektuelle Entwicklung vorteilhaft einwirken, und wie steht es gegenwärtig um sein geistiges Wesen in dieser doppelten – sowohl moralischen als intellektuellen – Hinsicht? V. Welche Hoffnungen darf man sich von ihm in bezug auf seine künftige bürgerliche Brauchbarkeit machen, und zu welchem Berufe möchte er sich am ersten eignen? ad I. Hausers Anlagen erscheinen wie vom Anfange an noch immer wohl mittelmäßig. Glaubten einige, von seinen ersten Fortschritten und Leistungen aus auf gute oder gar vorzügliche Anlagen schließen zu können, so war dies ein Befangensein im Ungewöhnlichen und Außerordentlichen, und also gewiß ein offenbarer Irrtum. Es konnte den Unbefangenen, weniger zu Extremen Geneigten, nicht überraschen, daß er in kurzer Zeit die Sprachlautzeichen, welche er ja alle schon schreiben konnte, als er in Nürnberg öffentlich auftrat, bald in der Druckschrift auffa**en und zusammensetzen lernte. Ebensowenig zeugte der Umstand von mehr als gewöhnlichen Anlagen, daß er schnell eine ziemliche Anzahl Wörter im Gedächtnis behielt und einmal gesehene Personen sogleich wiedererkannte usw. Diese Sätze werden eines theoretischen Beweises nicht wohl bedürfen. Alle späteren Erscheinungen rechtfertigen sie vollkommen. Wie weit brachte er es denn auch bis zum 17. Oktober 1829, als dem Tage des geheimnisvollen Mordversuchs, mit welchem seine Kräfte erst geschwunden sein sollen? Vom 26. Mai 1828, seinem zweiten Geburtstage, bis zum 17. Oktober 1829, also in einer Zeit von fast eineinhalb Jahren, konnte er in keinem Falle so fertig lesen als ein siebenjähriges, mit guten Anlagen ausgestattetes Kind, das ein Jahr lang eine deutsche Volksschule besucht hatte. Auf gleiche Weise mußte sich's auch mit dem Schreiben und Rechnen verhalten. Erst zwei Jahre und zwei Monate nach erwähntem Mordversuche, nachdem er also schon dreieinhalb Jahre lang von einsichtsvollen Lehrern unterrichtet worden war, kam er in mein Haus und wurde zugleich meinem Unterrichte anvertraut. Welche geringe Fertigkeit und wie wenig Wohlklang er aber damals noch im Lesen hatte, welche grobe Fehler er im Rechtschreiben machte, wie verworren er die einzelnen Vorstellungen eines Gedankens zusammenstellte und erst die Gedanken selbst aneinander reihte, wie weniges er damals noch in der Arithmetik und anderen Gegenständen leistete, davon konnten sich mit mehreren insbesondere auch Seine Herrlichkeit usw. selbst überzeugen. Er war in seiner geistigen Kraft und allen seinen Leistungen kaum einem neunjährigen Knaben gleich, der bei guten (nicht vorzüglichen) Anlagen den Unterricht einer gewöhnlichen öffentlichen Schule erhalten hatte. In bezug auf das Rechnen und Schreiben kann ich diese Behauptung noch durch Hefte, Schreibbücher belegen. Daraus mag dann aber doch so ziemlich sicher entnommen werden können, daß Hauser nie mehr als mittelmäßige Anlagen besessen habe. Wollte man seine geringen Fortschritte in den ersten dreieinhalb Jahren seiner häufigen Kränklichkeit und dem Umstande zuschreiben, daß seine Kräfte keine Anstrengung ertrugen, so ist dagegen zu sagen, daß bei Hauser auch in dieser Beziehung wie in so manch anderer gerne übertrieben wird, daß er in allem und allem doch nicht wohl länger als ein halbes Jahr lang krank war und daß ihn in Nürnberg stets nur vorzügliche Lehrer unterrichteten und leiteten. ad II. Wenn man der Wahrheit ganz treu bleiben und keinerlei Rücksicht nehmen darf, so kann sein Fleiß und Eifer zum Lernen im ganzen ebenfalls nur mittelmäßig genannt werden. Momentan beweist er bisweilen wohl großen Fleiß, allein er hält damit nicht lange an, hat bei keinem Gegenstand die gehörige Ausdauer. Am wenigsten ist er mit den Gegenständen befreundet, welche eine anhaltende Aufmerksamkeit, ein längeres Verweilen und etwas mehr Mühe erfordern. So mußte man mit ihm schon im vorigen Sommer den Zeichenunterricht aufgeben, weil man sah, daß er durchaus keine Lust mehr zum Zeichnen hatte und gar keine Fortschritte mehr darin machte. Um von dem Zeichenunterricht und dem Zeichnen selbst loszukommen, wußte er den Herren seiner Oberaufsicht einleuchtend zu machen, daß er es mit dem Zeichnen aus freier Hand doch nie weit bringen könne, daß ihm dies nie etwas nütze und der Zeichnungslehrer Weber in der orientalischen Malerei, die er lernen solle und wolle, keinen Unterricht erteilen könne. Bemerkungen von meiner Seite, wie die, daß das Zeichnen zur allgemeinen Bildung gehöre, daß man zeichnen müsse, um sein Auge zu üben, seinen Geschmack zu bilden usw., wenn man auch davon keinen Gebrauch zu machen gedenke, daß es sein Pflegevater wünsche usw., fanden bei ihm keinen Eingang. Auch dem orientalischen Malen hatte er im vorigen Sommer – trotz verschiedener Gegenvorstellungen – schon längere Zeit Valet gesagt, als er im Hause des Herrn Generalkommissärs v. Stichaner Veranla**ung erhielt, seine Kunst wieder hervorzusuchen und mehreren Damen Obst- und Blumenkörbe als Andenken zu malen. Damals war ihm seine Eitelkeit ein mächtiger Sp**n zu besonderem Fleiße; er malte mehrere Wochen lang mehr, als mir lieb sein konnte, brachte es auch zu einer ziemlichen Fertigkeit. Was war's: als seine verehrten Bekannten mit Andenken versehen waren, legte er es wieder unter dem Vorwande beiseite, daß ihn darin niemand unterrichten, er für sich es nicht mehr weiter bringen und auch damit sich weiter keinen Vorteil verschaffen könne. Die Frage: »Was kann und wird es mir nützen?« legte er sich bisher überhaupt schon viel zu oft vor. So sehr sie in einzelnen Fällen zu empfehlen sein mag, so erscheint sie bei Hauser gewiß sehr vorzeitig, da er in der Regel noch nicht imstande ist, das wirklich Nützliche zu erkennen. Es war bisher auch nicht immer sehr leicht, ihm das Wahre und Nützliche einleuchtend und begreiflich zu machen. Er hörte unter seinen Verhältnissen immer mehrere Ansichten, und da traf sich's denn öfters, daß der eine das gleichgültig behandelte und für unnötig erklärte, worauf der andere ein Gewicht legen zu müssen glaubte. Auch bei Hauser traf oft das Sprichwort ein: »viele Köche versalzen die Suppe!« Ich gehe nun von seinem Fleiße im Zeichnen und Malen zu dem im Schreiben über. Das Zeugnis eines anhaltenden Fleißes hierin kann ich ihm ebenfalls nicht geben. Auf die eindringlichsten Ermahnungen nahm er sich oft vor, die ihm gegebene Anleitung zu befolgen und die Charaktere einer gefälligen Schrift genau nachzumachen. Allein er hielt selten länger als acht Tage aus. Die Fortschritte waren ihm nicht sichtbar genug; das langsame Schreiben war ihm lästig; das eigentliche Schönschreiben hatte bei ihm auf einmal wieder keinen besonderen Wert mehr; er behandelte es wie zuvor gleichgültig, und ich hatte mich auf eine Zeitlang mit ihm umsonst abgemüht. Er ist nicht ohne Sinn für gefällige Formen überhaupt und für gefällige Schriftzüge insbesondere; aber diese sich anzueignen, findet er bei der natürlichen Steifheit seiner Hand zu mühevoll, und dabei tröstet er sich wie der gewöhnliche Mensch damit, daß viele nicht so schön schreiben wie er. Seine Schrift hat sich zwar gebessert, aber bei weitem nicht so, daß man damit zufrieden sein könnte. Er hat sich nichts von dem Zügigen angeeignet, was zum Beispiel ich in meiner Schrift habe und was ihm sehr schön gestochene Vorlagen sowohl in englischer als deutscher Schrift vorzüglich zeigten. In der Geographie und den mit ihr zusammenhängenden Gegenständen war er auch nur eine kurze Zeit eigentlich fleißig. Später, als er sich auf der ganzen Erde im allgemeinen zu Hause fühlte und er täglich selbst einen kurzen Abschnitt durchgehen, Zusammenstellungen usw. machen sollte, leistete er selten mehr das Verlangte. Seine Fortschritte in diesen Gegenständen befriedigten jedoch so ziemlich, solange er darin Unterricht erhielt. Am regelmäßigsten arbeitete er im Rechnen fort. Von seinen Rechnungsaufgaben löste er wenigstens immer einige, oft auch alle. Bis zum Ärger verdrießlich zeigte er sich jedoch oft zu meinem Ärger dann, wenn er ein leichtes Exempel falsch rechnete und nach ein- oder zweimaliger Durchsicht den Fehler der Oberflächlichkeit nicht fand. Daß er noch am liebsten seine Rechnungsaufgaben machte, erklärte ich mir stets – und erkläre mir dies noch – also, muß es aber dem Urteile weiserer Einsicht überla**en, ob ich recht habe oder nicht. Jedes Exempel stellt sich hier als ein für sich bestehendes Ganzes dar. Ein solches zu gestalten, dazu hat er immer Lust und Verlangen, und die Arbeit gewährt ihm dann Vergnügen, wenn er sie bald ganz vollendet sieht. Mit einem Rechnungs**empel ist er bald fertig, und darum geht er auch gerne daran. Was ihn dagegen lange beschäftigt, bis es vollendet ist, verursacht ihm Mißbehagen und kann ihm Veranla**ung zu allerlei unwahren Entschuldigungen geben. Im schriftlichen Rechnen sind nun auch seine Fortschritte in letzterer Zeit noch sichtbarer als früher. Sie la**en sich leicht aus folgendem erkennen. Als er zu mir kam, rechnete er die vier Grundrechnungen in gleichbenannten Zahlen noch nicht mit Sicherheit. Eine Null konnte ihm bald da bald dort unüberwindliche Schwierigkeit machen. Und nun sind wir außer der Wiederholung des Vorgehabten mit der Lehre von den Brüchen, von den Verhältnissen und Proportionen, von der einfachen und zusammengesetzten Proportionalrechnung und dem Kettensatze durch, und er rechnet alle dahin einschlagenden, nicht sehr verwickelten Aufgaben mit ziemlicher Fertigkeit. Sein Fleiß in der Bearbeitung deutscher Sprachaufgaben genügte ebenfalls nur dann, wenn diese ohne besondere Mühe zu lösen waren. Einfache grammatikalische Übungen machte er in der Regel gut. Hatte er aber nach einer bestimmten Formel z. B. erweiterte und zusammengesetzte Sätze zu bilden und den Stoff selbst zu wählen, dann fiel seine Arbeit oft sehr mangelhaft und leer aus. Das anhaltende Denken kostete ihn zu viel Anstrengung. Bei Fertigung kleiner Aufsätze, als Erzählungen, Briefchen ging es ihm besonders hart; darum schob er solche Arbeit oft so lange, als es ihm ohne Verdruß nur immer möglich war, hinaus. Sie fielen gewöhnlich, wenn ich ihm auch gleich die Skizze entworfen habe und noch so viele Fingerzeige an die Hand gab, unter mittelmäßig aus. Faßte ich indeß seine geistige Bildungsstufe mehr ins Auge, so konnte ich diese Erscheinung nur natürlich finden. Er hatte durchaus nicht die Kraft, im Zusammenhange zu denken und dabei die Gesetze der Sprache in Anwendung zu bringen. Seine Fortschritte in der deutschen Sprache überhaupt und im Rechtschreiben insbesondere sind gleichwohl wacker. Den deutschen Kasus weiß er, wenn ihm daran gelegen ist, durchgängig zu setzen, den Modus und die Tempora der Verba gebraucht er in der Regel richtig und die Sätze und ihre Verbindungen kennt er soweit, daß er den Punkt, das Komma, das Kolon, Anführungs-, Frage- und Ausrufzeichen genau, und selbst das von Sprachkennern so verschieden in Anwendung gebrachte Semikolon in mehreren Fällen richtig zu setzen weiß. Wenn er dagegen Fehler macht, so geschieht es aus Gleichgültigkeit für den Gegenstand oder aus Zerstreutheit. Seine Fortschritte im Rechtschreiben la**en sich am besten nach dem Verhältnis der Fehler, die er bei Diktandoschreiben im Dezember 1831 machte, und die er bei demselben gegenwärtig noch macht, ermessen. Jene zu diesem verhalten sich beiläufig wie 10 zu 1 oder auf eine Seite, wo damals 20 Fehler vorkamen, kommen jetzt selten mehr als zwei vor. Auch seine kleinen Aufsätze haben bedeutend mehr Zusammenhang und weniger Fehler als sonst. Es wäre mir sehr angenehm, wenn Seine Herrlichkeit die Fortschritte aus seinen Briefen entnehmen könnten, und ich muß es recht sehr bedauern, daß Seine Exzellenz Herr Staatsrat Präsident von Feuerbach, was Herr Oberleutnant Hickel weiß, den Wunsch Kaspar Hausers genehmigte, sich alle seine Briefe, auch die an seinen Pflegevater, von mir korrigieren la**en zu dürfen. Ich habe dann den förmlichen Auftrag erhalten, diese Briefe zu korrigieren und sie zugleich als Stilübung zu benützen; und Hauser hätte so in keinem Falle einen Brief abgeschickt, ohne daß ihm von mir die Hauptfehler korrigiert gewesen wären. Künftig soll ihm nun aber dem ausdrücklichen Wunsche Seiner Herrlichkeit des Herrn Grafen Stanhope zufolge kein Buchstabe mehr verbessert werden. Am Gedanken selbst wurde aber auch bisher nie geändert. ad III. Hausers Leistungen werden nur selten und von den wenigsten vom rechten Gesichtspunkte aus aufgefaßt. Viele haben von ihm weit schnellere Fortschritte erwartet und vielen erscheinen seine dermaligen Leistungen noch überaus groß. Daß beide Parteien außer der Wahrheit sich befinden, läßt sich wohl ohne besondere Mühe nachweisen. Diejenigen, welche glaubten, als Hauser zu lernen anfing, daß seine Lernfähigkeit und deshalb auch seine Fortschritte größer, ja bedeutend größer als bei Kindern von sechs bis sieben Jahren sein mußten, befanden sich gewiß in einem bedeutenden pädagogischen Irrtum. Ich gehörte anfangs selbst mit zu diesen. Erst seitdem ich über diesen Punkt reiflicher nachgedacht habe, glaube ich folgendes als wahr annehmen zu dürfen: Kaspar Hausers Lernfähigkeit konnte anfangs kaum der eines sechsjährigen Kindes gleichkommen. Denn wenn er auch gleich fast dreimal so alt sein mochte, so hatte er ja eigentlich doch nicht so lange gelebt wie ein solches. Man schlägt die Eindrücke, welche ein Kind von seinem zweiten bis sechsten Jahre durch den Umgang und das Zusammenleben mit Vater, Mutter, Wärterin, andern Kindern usw. erhält, viel zu gering an, ja man vermag sich von deren Wichtigkeit gar keinen Begriff zu machen, wenn man glaubt, daß ein Mensch, wenn auch vom dreifachen Alter, dessen Sinne aber nicht die geringste Erregung erlitten haben, in höherem Grade lernfähig sein soll, als der auf mehrfache Weise geweckte Sinn eines körperlich und geistig gesunden Kindes von sechs Jahren. Höchstens, ja höchstens darf Hausers höheres Alter und vorgerückte körperliche Entwicklung für die wirklich verlebten Jahre eines sechsjährigen Kindes in Anschlag gebracht werden, und dann fängt er im glücklichsten Falle mit diesem an, die Bahn geistiger Ausbildung zu durchwandern und kann sich in keinem Falle leichter in die Form der Bewegungen finden als dieses. Daß dem so ist, hat die Erfahrung vollkommen bestätigt. Denn er hat bisher kaum gleichen Schritt mit solchen Knaben halten können, die ebenso lange wie er Unterricht genießen. Das Urteil derer, die seine Leistungen noch überaus groß finden, zeugt von zu oberflächlicher Auffa**ung des Gegenstandes und der Umstände, wird mehr von einer alltäglichen Gutmütigkeit und Genügsamkeit bestimmt und bedarf keiner weitern Widerlegung. Es ist indes gar nicht leicht und darum auch nicht jedermanns Sache, einen erwachsenen Jüngling vor sich zu sehen und in ihm nicht nur eine versäumte Kinderseele zu gewahren, sondern ihn auch in allen Fällen mit Rücksicht auf diese außerordentliche, ja einzige Erscheinung zu behandeln und zu beurteilen. So verlangt man z. B. von ihm offenbar zu viel, wenn man glaubt, er solle in der Abfa**ung schriftlicher Aufsätze schon etwas besonderes leisten, und ich selbst erwartete in dieser wie in manch anderer Beziehung längere Zeit mehr als ich billigerweise erwarten durfte. Diejenigen, welche nicht häufig um ihn sind und weniger praktischen Blick in die menschliche Seele haben, sie mögen sonst noch so gelehrt und ausgezeichnet sein, fa**en ihn gewöhnlich entweder von der einen oder andern Seite falsch auf und geben dieses in der Regel sowohl durch den Ton als Inhalt ihrer Unterhaltung mit ihm zu erkennen. Ein kurzes unbefangenes Beobachten und Nachdenken lehrt übrigens auch hier das Rechte finden. ad IV. Dem bessern Gedeihen seines geistigen Wesens in keiner Weise förderlich war die übergroße Teilnahme, die der merkwürdige Sohn des seltsamsten Schicksals allenthalben erfuhr. Man sagte ihm zu oft ins Gesicht, daß er ein äußerst merkwürdiger und interessanter Mensch sei, daß man sich lange gesehnt habe, ihn zu sehen und kennen zu lernen, daß man sich nun ganz ungewöhnlich freue, seine interessante Bekanntschaft gemacht, sich von seiner Liebenswürdigkeit überzeugt zu haben usw. Diese und viele andere Floskeln wurden ihm nicht nur etwa früher in Nürnberg zu häufig gesagt, nein, man konnte sie während der Zeit seines Hierseins noch zum Überdrusse oft und selbst nicht selten von solchen Personen hören, deren Verstand sonst alle Anerkennung verdient. Auf diese und andere Weise wurde er schon vom Anfange an eitel gemacht und seine Eigenliebe nach und nach bis zur Einbildung gesteigert. Um sein Benehmen und den Wert der meisten seiner Handlungen richtig beurteilen zu können, muß man diese Umstände wohl ins Auge fa**en. Es wäre übrigens ein wahres Wunder, wenn diese so leicht und unter weit gewöhnlicheren Verhältnissen zu erregenden menschlichen Schwächen bei ihm nicht eingetreten wären. Nach meiner Überzeugung spielen Eitelkeit und Eigenliebe schon seit geraumer Zeit eine bedeutende Rolle bei seinem Tun und La**en, und um an Wichtigkeit und Bewunderung nichts zu verlieren, mochte es ihm oft auf ein Ja oder Nein mehr oder weniger nicht ankommen, zu welchen Antworten ihn der Fragende gewiß nicht selten durch Ton und Haltung erst bestimmte. Es sind dies Erscheinungen, die von (bei Hausers Verhältnis gar nicht zu vermeiden gewesenen) Erziehungsfehlern herrühren, bei jedem Kinde, dem man zu viel nachsieht, einräumt, schmeichelt usw., auf einer gewissen Entwicklungsstufe hervortreten, und die also bei Hauser nicht im geringsten auffallen dürfen. – Die Neigung, denen, an deren Gunst ihm gelegen ist, nach Gefallen zu reden und bei andern seiner Person und seinen Verhältnissen nichts zu vergeben, hat sich mit seinem Wesen eng verbunden. Diese meine vollkommene Überzeugung teilen auch alle diejenigen aus seiner frühern Umgebung in Nürnberg, die ihn längere Zeit unbefangen beobachten konnten, tiefer in sein Wesen zu blicken vermochten und weniger als andere zu seinem Nachteile geneigt waren, bei ihm das Gute stets als besser zu finden, andere Erscheinungen aber, die man sonst an jedem Kinde als fehlerhaft erkennt und tadelt, bei ihm auf jede nur mögliche Weise zu entschuldigen. Zur Ehre der Wahrheit muß ich es hier geradezu aussprechen, daß er alle die Fehler mit in mein Haus brachte, die zunächst aus der Eitelkeit und Einbildung hervorgehen, und daß seine spätern Verhältnisse nicht geeignet waren, dieselben abzulegen, wird man leicht zu ermessen vermögen. Will jemand glauben, daß ihm als Pflegesohn eines hochstehenden Mannes weniger Veranla**ung zur Eitelkeit und Einbildung wird gegeben worden sein als früher? Kann man verlangen, daß er sich hier auf den Vorzug, in den ersten Häusern Zutritt zu haben und häufig eingeladen zu werden, weniger zugute tun sollte als darauf, daß er in dem Hause des ersten Bürgermeisters in Nürnberg aufgenommen und auf mannigfache Weise ausgezeichnet ward? Und wenn ihm bald da bald dort gesagt wurde, daß er um das Glück zu beneiden sei, sich den Pflegesohn eines so ausgezeichneten und edlen Mannes nennen zu dürfen usw. usw., waren etwa solche und andere ähnliche Bemerkungen, wie das ganze Benehmen exzellenter Familien dazu geeignet, seine Meinung von sich herabzustimmen? Oder will man vielleicht verlangen, daß Hauser bei nun gewecktem Selbstbewußtsein sich selbst nicht als wichtig erscheinen soll, während er so vielfältig bemerkt, welches Interesse er fast für jedermann hat und welche Aufmerksamkeit ihm besonders auch durchreisende Personen von Bedeutung und Hoheit schenken? Der Mensch kann sich nie ganz verleugnen, und von unserm Hauser wollen wir billig doch in keiner Weise zuviel Selbstverleugnung erwarten. Wenn Lehrer und Aufseher der fehlerhaften Neigung auch noch so sehr entgegen arbeiten, so können dieselben auch hierin doch nie die Stelle der Eltern ersetzen. Was von diesen, selbst wenn sie verletzen müssen, das kindliche Herz in unbedingtem Glauben an die gute Absicht aufnimmt, wird von jenen oft ganz anders genommen. – Ich möchte viele andere an Hausers Stelle bringen und sehen, ob sie weniger Fehler annehmen, als sich bis jetzt bei ihm gezeigt haben. Bei näherer Erwägung seiner bisherigen Verhältnisse muß man sich wahrlich wundern, daß er unter denselben noch das geblieben und geworden ist, was er wirklich ist. Sieht man von den erwähnten Fehlern ab, so kann man dagegen bemerken, daß er den bisherigen Einwirkungen einige sehr löbliche Eigenschaften verdankt, die ich weiter unten etwas näher bezeichnen will. Es kommen ihm dieselben besonders im geselligen Leben sehr gut zustatten, und sie vermögen es, ihn vorzüglich in den sogenannten bessern Zirkeln den meisten angenehm zu machen. Aber eben die häufigen Zerstreuungen und die große Abwechslung von äußern Eindrücken, denen Kaspar Hauser von seinem ersten Erscheinen in Nürnberg an bis jetzt ausgesetzt und unterworfen war, so wie die oben besprochene gute Meinung von sich selbst hinderte auch sein Fortschreiten im Wissen und Können oder, mit andern Worten, in Kenntnissen und Fertigkeiten. Es konnte dabei sein Sinn unmöglich mehr nach innen gerichtet und für eine anhaltendere ernstere Tätigkeit gewonnen werden. Ich mußte es recht bald für gut finden, auf ihn stets folgenden Grundsatz anzuwenden: »Laß ihn nie ohne nützliche Beschäftigung, mache ihm aber durch strenge Forderung das Lernen und Arbeiten nicht überdrüssig und vermeide es in jedem Falle, Mißvergnügen bei ihm zu erzeugen.« Einem bessern Fortschreiten keineswegs förderlich war auch der ungewisse Zustand, in dem sich Hauser längere Zeit befand. Da man nicht wußte, wie lange er hier bleiben und wozu er am Ende noch bestimmt werden sollte, so war es ebenso wenig möglich, bei ihm einen gründlich planmäßigen Bildungsgang einzuhalten, als ein regelmäßiges Fortschreiten zu erzielen. Vom 1. Dezember v. J. an, zu welcher Zeit es die hochverehrtesten Herren seiner hiesigen Oberaufsicht für gut fanden, ihn durch vorläufige Beschäftigung auf dem Appellationsgericht zur Schreiberei vorbereiten zu la**en, konnte er täglich auch nur noch eine Stunde abwechselnd im deutschen Gedankenausdruck, Rechtschreiben und Rechnen, nebenbei nur in andern gemeinnützigen Gegenständen eigentlichen Unterricht erhalten. Und so wirkten auch in Hausers letzter Bildungsperiode verschiedene Umstände, mit den hier aufgezählten vielleicht noch einige zusammen, die seiner Ausbildung nicht eben besondern Vorschub zu leisten vermochten. Nun insbesondere von dem gegenwärtigen innern Zustande Hausers. Seine Moralität in dem Sinne aufgefaßt, wie diesen Begriff die gewöhnliche Welt zu nehmen pflegt, kann man sehr lobenswert nennen. Denn er ist im allgemeinen und besonders gegen Vornehmere und Höhere sehr artig, höflich, gefällig, aufmerksam, dienstfertig usw. usw. In diesen äußern Tugenden, wie am Anstande überhaupt, ist er dem Alter, mit welchem er gleiche innere Bildung hat, weit voraus geeilt, während er demselben an reiner Ergebenheit und wahrer Bescheidenheit in jedem Falle nachsteht, ja infolge aller seiner bisherigen Verhältnisse wohl nachstehen muß. Man darf sehr zufrieden sein, daß Hausers sittlicher Charakter noch das ist, was er wirklich ist. Hunderte an seiner Stelle würden ohne innigeres Familienleben, dieser wahren Sonne gemütlicher Entfaltung und geistiger Entwicklung, es nicht so weit wie er gebracht haben. Und der ihm angeborene Sinn für das Rechte im allgemeinen läßt hoffen, daß er nach erlangter besserer Bildung und tieferer Einsicht auch noch die Fehler ablegen werde, die bisher verschiedene Eindrücke bei ihm erzeugten. Habe ich darum einerseits Ursache, zu glauben, daß bisher seinem Charakter die solidere Basis ermangelte, daß ihn der Egoismus und die Eitelkeit öfters dem Scheine huldigen ließen, so darf ich andererseits nicht zweifeln, daß ihm später mehr das erkannte Rechte und Wahre bei seinen Handlungen leiten, daß sein Verhalten weniger äußere Rücksichten und der Sinn fürs Äußere bestimmen werden. Nicht unbemerkt darf ich la**en, daß er außer den schon genannten Tugenden noch einzelne besitzt, die ihm sehr wohl stehen und ihn namentlich als Haus- und Tischgenossen gerne haben la**en. Er ist z.B. sehr teilnehmend an allem, was Freudiges und Trauriges in einer Familie vorkommt, und macht sich dadurch fast zum wirklichen Gliede derselben, das man in keiner Lage ungerne um sich sieht. Am Tische ist er nicht nur ungewöhnlich mäßig, sondern auch genügsamer als er es zu sein hätte. Er ist, seitdem er (vom 1. Dezember 1832 an) seinen Mittagstisch zu 10 Kreuzer und seinen Abendtisch zu 8 Kreuzer erhält, ebenso vollkommen zufrieden als früher, wo für jenen 15 und für diesen 10–12 Kreuzer bezahlt wurden. Ja er erklärt häufig, daß er nicht so viel bedürfe, mit weniger zufrieden sein könne usw. usw. Sein gutes und frisches Aussehen bürgt wenigstens dafür, daß er nicht mehr bedarf. Rücksichtlich seiner intellektuellen Kraft und Bildung darf ich ihn einem Knaben von elf bis zwölf Jahren mit gewöhnlichen Anlagen ganz gleich stellen. Um mich von dem Maße seiner Denkkraft deutlich zu überzeugen, gab ich den Schülern meiner Schule, die bereits alle zwischen dem elften und zwölften Jahre stehen, öfters dieselben Aufgaben aus der Sprache, Arithmetik usw. usw. Hierbei fand ich nun schon seit länger als einem Jahre immer, daß er an Sicherheit, Gewandtheit und Schnelligkeit den bessern Köpfen jenes Alters nachstund. Diese Erfahrung stimmt denn ganz mit meiner im ersten und dritten Abschnitte ausgesprochenen Ansicht zusammen. ad V. Ob ich gleich bei meiner Beobachtung und Erfahrung nicht wohl hoffen kann, daß Hauser in irgend einem Berufe mehr etwas Vollkommenes leisten werde, so darf ich doch glauben, daß er in einem leichten mechanischen Berufsgeschäfte, zu dem er Lust und Freude hat, sich noch recht wohl und brauchbar ausbilden könne. Für ein Metier im engeren Sinne paßt er nun aber einmal durchaus nicht. Abgesehen von den nachteiligen Einwirkungen der früher erduldeten Behandlung auf seinen physischen Zustand, auch abgesehen davon, daß er schon zu weit an Alter vorgerückt ist, um seinen schon vollkommen ausgebildeten Gliedmaßen noch die zu einer solchen erforderliche Gelenkigkeit zu geben, die Lehre zu erstehen, zu reifen usw. usw., so würde er sich zur Wahl eines bürgerlichen Geschäftes nur äußerst schwer bequemen, und sich wohl höchst unglücklich fühlen, wenn er sich der Forderung, ein solches zu erlernen, fügen müßte. Er hat den Umgang mit den gebildeteren und höheren Ständen zu lange genossen und ist an denselben zu sehr gewöhnt, als daß es ihn nicht bis zum Kummer betrüben sollte, wenn er ihn auf einmal mit der Umgebung in einer Werkstätte vertauschen müßte. Davon kann also nicht wohl eine weitere Rede sein. Aber auch für einen Beruf, der eine höhere geistige Ausbildung oder vielmehr ein höheres Studium erfordert, wird er sich nicht mehr eignen, würde sich auch schwerlich je dazu geeignet haben. Es müßte wenigstens noch eine große Veränderung in seinem Wesen vorgehen, wenn er für ein tieferes Studium Sinn, Ausdauer und die nötige Stetigkeit des Geistes erhalten sollte. Man muß deshalb gewiß am besten fahren, für ihn vorderhand eine Beschäftigung zu wählen, die ihm selbst zusagt und ihn in näherem Umgange mit den gebildeteren Ständen erhält. Ich konnte bei dieser Ansicht nur im Innersten mit einstimmen, als Se. Hochselige Exzellenz schon zu Ende des vorigen Jahres den Entschluß faßten, ihn der Schreiberei widmen zu la**en. Dabei findet er immer seine regelmäßige Beschäftigung und wird doch in jedem Falle, er mag weniges oder vieles leisten können, von den Torheiten abgehalten, in welche der Unbeschäftigte so leicht verfällt. Es ist ihm aber hier die Möglichkeit gegeben, durch Fleiß in seinem Berufe und durch nebenheriges Fortstudieren sich nicht bloß zu einem brauchbaren Kanzlisten, sondern selbst für eine Stelle beim Rechnungswesen usw. auszubilden. Und bringt er es nach Jahren wirklich so weit, so können ihm hier seine hohen Gönner, die er als der merkwürdige Hauser immer behalten wird, eher forthelfen, als wenn er ein Buchbinder oder Uhrmacher oder sonst ein Gewerbetreibender geworden wäre. Zu meinem Vergnügen vernahm ich daher in den letzten Wochen auch den Beschluß seiner sehr verehrlichen hiesigen Oberaufsicht, daß er seinem eigenen Wunsche gemäß, sofern derselbe nach eingetroffenen sicheren Nachrichten dem Willen seines hohen Pflegevaters nicht entgegenläuft, nunmehr bei der Schreiberei bleiben und nebenbei den Unterricht bekommen solle, den er notwendig hat, um sich für sein Fach womöglich tüchtig zu befähigen. Seit vierzehn Tagen erhält er denn nun außer meinem weiter oben näher bezeichneten erwähnten Unterrichte, von einem tüchtigen Instruktor auch wöchentlich vier Stunden Unterricht im Latein und betreibt dieses bis jetzt mit einer Neigung und Anstrengung, die ich bei ihm, so lange er in meinem Hause ist, nicht ahnen konnte. Ich will von Herzen wünschen, daß dieser sein außerordentlicher Fleiß und Eifer von Ausdauer sein möge. Er selbst äußert sich über seine gegenwärtige Lage fast wörtlich also: »Weil ich jetzt nur einmal weiß, woran ich bin. Nun will ich gewiß fleißig sein. Bisher habe ich kein bestimmtes Ziel vor mir gesehen und nicht gewußt, wie lange ich hier bleiben darf und was noch aus mir werden soll. Darum habe ich auch keine große Lust zum Arbeiten gehabt und bin lieber in Gesellschaft gewesen als daß ich gelernt habe. Jetzt ist's gerade umgekehrt; jetzt lerne ich lieber als daß ich ausgehe.« Man sieht also hieraus, daß durch die dermalige veränderte Richtung in seinen Verhältnissen und seiner Bildung sein Inneres aufs neue gehoben wurde, und daß dieselbe Wendung bei ihm wieder die besten Vorsätze hervorrief. Dabei kommt ihm diesmal seine Eitelkeit besonders gut zu statten. Denn in dem Augenblicke noch (so habe ich Ursache zu glauben) treibt er das Lateinische hauptsächlich deswegen so eifrig, weil er denkt, daß man durch die Kenntnis desselben den Bessergebildeten beigezählt werde, und zum Teil wohl auch deswegen, weil ich den lateinischen Stunden mitbeiwohne und, wie er, alle Übungen mündlich und schriftlich mit durchmache. Er gibt sich so alle Mühe, um mir an Fertigkeit, wenn nicht vorauszueilen, doch wenigstens gleichen Schritt zu halten. – Es ist recht wohl möglich, daß er die nun genommene gute Richtung behält, daß seine Eitelkeit und sein mit dieser zusammenhängender oft bemerkbarer Eigensinn nach und nach in ein vernünftiges Ehrgefühl und männliche Festigkeit, also in die Tugenden übergehen, welche schon so viel Herrliches und Vortreffliches in der Welt gewirkt haben. – Und nun schließe ich unter geziemenden Hoffnungen mit der Bitte, daß dieser in größter Eile entworfene Aufsatz in der Überzeugung hingenommen werden möge, daß er die Wahrheit ganz ungeschminkt ohne alles Abgemessene enthalte. Ich glaube nunmehr so, außer dem künftigen Wohle Hausers selbst, insbesondere auch dem Wunsche seines hochsinnigen und edlen Pflegevaters mehr zu dienen, als wenn ich allein wieder seine Lichtseite gezeigt hätte. Wenn ich letzteres früher vorzog und das Licht etwas heller machte, so geschah es nicht ohne höhere Genehmigung aus der gewiß verzeihlichen Besorgnis: ich möchte auf andere Weise das unglückliche Glückskind von dem Herzen entfernen, in dessen hohem Adel es das Glück seines irdischen Lebens gefunden hatte. Hierzu macht Dr. M. folgende Anmerkung: Am Schlusse des Konzeptes dieser Charakteristik finde ich von der Hand meines seligen Vaters, des Lehrers Meyer, folgende Bemerkungen: In meinem ersten Konzepte hatte ich mich über K. Hausers Fehler und insbesondere über seinen Hang zur Unwahrheit entschiedener und stärker ausgesprochen, allein es wurden mir alle jene Stellen, welche den Herrn Grafen Stanhope in seinen Zweifeln hätten bestärken können, von dem wohlwollenden und wohlmeinenden Herrn Hofrat Hofmann weggestrichen. Im Konzept lautet die von Hofmann gestrichene Stelle bezüglich des Hanges zur Unwahrheit also: »Wenn ihm die Gelegenheit gegeben wird, wichtig zu erscheinen, oder wenn er in den Fall kommt, eine Schwäche oder einen Fehler verbergen zu können, so bleibt er oft gar nicht gewissenhaft bei der einfachen Wahrheit stehen, sondern sucht im ersteren Falle das Wichtige als möglichst wichtig zu bezeichnen, im letzteren Falle sich durch allerlei Seitensprünge zu beschönigen und einen Fehler als solchen wegzureden. Er hat diese Eigenschaften mit jedem Kinde gemein, dem häufig gehuldigt und geschmeichelt wird, und sie sind also eine ganz gewöhnliche und natürliche Erscheinung. Daß er dieselben schon in Nürnberg, und zwar dort schon in hohem Grade besaß, davon zeugt eine von dort mir zugekommene zuverlässige Nachricht aus einem ganz soliden Hause. (Der Biberbachsche Brief ist hier gemeint.) Ich finde es für nötig, mich darüber einmal unumwunden auszusprechen, weil man sich ihn bisweilen aus Mangel an näherer Bekanntschaft mit seinem Wesen gerne ohne die gewöhnlichen Fehler der Menschen dachte. Wem er freilich stets, wie Sr. Herrlichkeit Herrn Grafen Stanhope, nur seine liebenswürdige Seite zeigte, dem mußte er natürlich fast als die natürlichste Güte erscheinen. Konnte man es aber von ihm solchen Wohltaten, wie denen des edlen Lords gegenüber, anders erwarten?« Auch folgende Stelle wurde von Hofmann gestrichen: »Noch ein anderer Umstand hinderte, seit 1½ Jahren besonders, bei K. Hauser einen gründlichen Bildungsgang einzuhalten und ein geregeltes Fortschreiten zu erzielen. Es war dies der Umstand, daß man von einer Zeit zur andern hoffen durfte, Hauser werde von seinem edlen Pflegevater nach England abgerufen. Als Se. Herrlichkeit Herr Graf Stanhope im Februar 1832 von hier abreisten, glaubte man, dies werde im Mai 1832 geschehen, und ich konnte also meinen Unterrichtsplan vom 10. Dezember 1831 an höchstens auf die Zeit eines halben Jahres anlegen. Daß man im Laufe eines halben Jahres bei täglich zwei Stunden Unterricht in folgenden Fächern, als 1. deutsche Sprache, 2. Rechtschreiben, 3. Schönschreiben, 4. Arithmetik, 5. Geographie in Verbindung mit Naturkunde und Geschichte, und 6. in der geschichtlichen Religion etwas Ersprießliches nicht leisten und einen systematischen zusammenhängenden Unterricht nicht erteilen kann, vermag wohl jedermann einzusehen. Da also unmöglich etwas Ganzes zu leisten war, so mußte ich es wohl am zweckmäßigsten finden, bei einigen Gegenständen in den Teilen nachzuhelfen, wo der Schüler am wenigsten fest war, und bei andern das auszuheben, was besonderes Interesse hatte. Als nach Verfluß eines halben Jahres Hauser noch hier war, mußten wir gewärtig sein, daß er demnächst abgerufen werde. Dieser Hoffnung lebte man von einem Monat zum andern, und es konnte so kein neuer oder eigentlicher Plan gemacht werden, vielmehr in allen Gegenständen, das Rechnen allein ausgenommen, auf die alte Weise recht eigentlich fortgeflickt werden. So verfloß auch das zweite Halbjahr, ohne daß man wußte, was aus Hauser noch werden oder wozu er bestimmt werden sollte. Indeß konnte man bis dahin mit immer mehr Sicherheit annehmen, daß Se. Herrlichkeit usw. Gründe bestimmen werden, Hauser nicht nach England kommen zu la**en, und unter dieser Voraussetzung fanden es Se. Exzellenz Herr Staatsrat v. Feuerbach in Übereinstimmung mit Herrn Appellationsgerichtsrat Schumann und Herrn Oberleutnant Hickel für gut, ihn durch vorläufige Beschäftigung auf dem Appellationsgerichte zur Schreiberei vorbereiten zu la**en.« Dagegen ist durch Hofrat Hofmann oben folgender Satzeingang dem Konzept meines Vaters hinzugefügt worden: »Abgesehen von den nachteiligen Einwirkungen der früher erduldeten Behandlung auf seinen physischen Zustand. –«