Der große Kunstgriff kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen würden. [A 1] Um eine allgemeine Charakteristik zustande zu bringen, müssen wir erst von der Ordnung in der Sprache abstrahieren, die Ordnung ist eine gewisse Musik, die wir festgesetzt, und die in wenigen Fällen (z. E. femme sage, sage femme) einen sonderbaren Nutzen hat. Eine solche Sprache die den Begriffen folgt müssen wir erst haben, oder wenigstens für besondere Fälle suchen, wenn wir in der Charakteristik fortkommen wollen. Weil aber unsere wichtigsten Entschlüsse, wenn wir sie ohne Worte denken, oft nur Punkte sind, so wird eine solche Sprache ebenso schwer sein zu entwerfen, als die andere, die daraus gefolgert werden soll. [A 3] Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläufigen Wissenschaft zu legen müßte man, bei verschiednen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mischung gemeiniglich die übrigen entstehen. [A 4] Wenn man, wie die Metaphysiker oft verfahren, glaubt man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dieses nennen affirmative nescire. [A 5] Pythagoras konnte einer einzigen Erfindung halber hundert Ochsen opfern, Kepler würde bei seinen vielen Entdeckungen zufrieden gewesen sein, wenn er 2 gehabt hätte. [A 6] Bei einem großen Genie gehet das in einem Augenblicke vor, was oft bei einem andern ganze Stunden dauert. Ein gewisser Mensch, der eben keine großen Gaben hatte, hielt einen zum Betrug mit der Feder nachgemachten Druck eine Stunde wirklich dafür, andere sahen es im ersten Augenblick. [A 7] Es ist schwer anzugeben, wie wir zu den Begriffen gekommen sind die wir jetzo besitzen, niemand, oder sehr wenige werden angeben können, wenn sie den Herrn von Leibniz zum erstenmal haben nennen hören: weit schwerer aber wird es noch sein, anzugeben, wenn wir zum erstenmal zu dem Begriff gekommen, daß alle Menschen sterben müssen, wir erlangen ihn nicht so bald, als man wohl glauben sollte. So schwer ist es den Ursprung der Dinge anzugeben, wenn wir hierin (etwas) in Dingen außer uns zustande bringen wollen? [A 9] Die Erfindung der wichtigsten Wahrheiten hängt von einer feinen Abstraktion ab, und unser gemeines Leben ist eine beständige Bestrebung uns zu derselben unfähig zu machen, alle Fertigkeiten, Angewohnheiten, Routine, bei einem mehr, als bei dem andern, und die Beschäftigung der Philosophen ist es, diese kleinen blinden Fertigkeiten, die wir durch Beobachtungen von Kindheit an uns erworben haben, wieder zu verlernen. Ein Philosoph sollte also billig als ein Kind schon besonders erzogen werden. [A 11] Die Bemühung ein allgemeines Principium in manchen Wissenschaften zu finden ist vielleicht öfters ebenso fruchtlos, als die Bemühung derjenigen sein würde, die in der Mineralogie ein erstes Allgemeines finden wollten durch dessen Zusammensetzung alle Mineralien entstanden seien. Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muß sich Ähnlichkeiten aussuchen um vieles auf ein Mal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen. [A 17] In Werken des Geschmacks ist es sehr schwer weiter zu kommen, wenn man schon einigermaßen weit ist, weil leicht hierin ein gewisser Grad von Vollkommenheit unser Vergnügen werden kann, so daß wir nur diesen Grad zum Endzweck unserer Bemühungen setzen weil dieser unsern ganzen Geschmack ausfüllt, in andern Stücken, die nicht bloß auf das Vergnügen ankommen, verhält es sich ganz anders, daher haben wir in den letzteren den Alten es weit zuvorgetan, in den ersten aber sind wir noch tief unter ihnen, ohnerachtet wir sogar Muster von ihnen vor uns haben. Dieses kommt daher, das Gefühl des neueren Künstlers ist nicht scharf genug, es geht nur bis auf die körperliche Schönheiten seines Musters, und nicht auf die moralischen wenn ich so reden darf. Man kann das Gesicht eines redlichen Menschen sehen, man kann es aber auch gewissermaßen fühlen, das letztere ist das erstere verbunden mit einer Rücksicht auf das moralische Gute, womit wir in ihm oft die Mienen begleitet sehen. Was ich hier sagen will wird wohl jeder verstehen für den ich eigentlich schreibe. Solange der Künstler nur bloß nach den Augen zeichnet, wird er nie einen Laokoon herausbringen, der etwas mehr als Zeichnung hat, der mit Gefühl verfertigt ist. Dieses Gefühl ist dem Künstler unumgänglich nötig, aber wo soll er es lernen und wie? Unsre Ästhetiken sind bei weitem noch nicht praktisch genug. [A 18] Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen, und die sich endlich häufen. [A 19] Rousseau nennt mit Recht den Akzent die Seele der Rede (Emile p. 96 T. I.) und Leute werden von uns oft für dumm angesehn und wenn wir es untersuchen, so ist es bloß der einfache Ton in ihren Reden. Weil nun dieses bei den Schriften wegfällt, so muß der Leser auf den Akzent geführt werden, dadurch daß man deutlicher durch die Wendung anzeigt, wo der Ton hingehört, und dieses ist es, was die Rede im gemeinen Leben vom Brief unterscheidet und was auch eine bloß gedruckte Rede von derjenigen unterscheiden sollte, die man wirklich hält. [A 21] Der Einfluß des Stils auf unsere Gesinnungen und Gedanken, von dem ich an einem andern Ort geredet habe, zeigt sich sogar bei dem sonst genauen Linnaeus, er sagt die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen leben und empfinden, das erste ist falsch, denn der Wachstum der Steine hat keine Ähnlichkeit mit dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Vermutlich hat ihn das Steigende des Ausdrucks, den er bei den letzten gespürt hat, auf den Gedanken gebracht, auch die erstem mit unter diese Kla**e zu bringen. [A 22] Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen. Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Lebens-Art und Amt. [A 23] Da alle Glieder der Tiere eine sehr weisliche Absicht ihres großen Schöpfers zeigen, so fragt sich, warum die Menschen oft Gewächse, Glieder ohne Absicht bekommen. [A 25] Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken, dieser ist schuld, daß sie zum verächtlichsten Tier auf immer geworden sind und es auch bleiben werden, denn viele Eselstreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tier sind. [A 26] Plato sagt das poetische Genie werde durch die Harmonie und die Versart rege gemacht, und dieses setze den Dichter in den Stand ohne Überlegung seine Gedichte zu verfertigen. Plato thou reason'st well, ein jeder wird dieses bei sich verspürt haben, wenn er mit Feuer Verse gemacht hat, vielleicht könnten wir durch ähnliche Kunstgriffe unsre übrige Fähigkeiten ebenso in Bewegung setzen, hauptsächlich auch die Ausübung der Tugend. Eine große Fertigkeit im Dividieren und zwar nach der Methode, die man über sich dividieren heißt, die ich bei jemand bemerkte, brachte mir zuerst den Lusten zur Rechenkunst bei; ich dividierte mehr der eiförmigen Gestalt der Auflösung willen, als aus einer andern Absicht. Ich habe junge Mathematicos gekannt (Herrn Klügel und Herrn von Hahn) die oft ein solches Vergnügen darin (fanden) die Worte Calcul und Vues in dem Calcul auszusprechen, daß ich nicht zweifle, daß kleine Neben-Ergötzlichkeiten, die sie in dergleichen Vorstellungen fanden, ihren Fleiß munter erhalten haben. [A 27] Wenn wir uns eine Philosophie entwerfen wollen die uns im Leben nützen soll, oder wenn wir allgemeine Regeln zu einem beständig vergnügten Leben geben wollen, so müssen wir freilich von dem abstrahieren, was eine gar zu große Verschiedenheit in die Betrachtungen bringt, ohngefähr wie wir in der Mechanik oft tun, wenn wir Friktion und andere dergleichen besondere Eigenschaften der Körper vergessen um uns die Berechnung nicht zu schwer zu machen, oder wenigstens nur einen Buchstaben an ihre Stelle setzen. Kleine Unglücksfälle bringen ohnstreitig eine große Ungewißheit in diese praktische Regeln hinein, daher müssen wir uns dieser entschlagen, und uns nur gegen die Bezwingung der größeren wenden. Dieses ist ohnstreitig der wahre Verstand verschiedner Sätze der stoischen Philosophie. [A 28] Der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her, sie hören von Geheimnissen, Wundern, Wirkungen des Teufels, und halten es für sehr wahrscheinlich daß dergleichen Sachen überall in allen Dingen geschehen könnten. Hingegen wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Übernatürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehrfurcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so daß sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute 6 Engel über die Straße gegangen. Auch die Bilder in den Bibeln taugen nicht für Kinder. [A 29] Es gibt keine Synonyma, die Wörter die wir dafür halten haben ihren Erfindern gewiß nicht Einerlei sondern vermutlich Species ausgedruckt. Büttner. [A 30] Die Schnecke baut ihr Haus nicht, sondern es wächst ihr aus dem Leib. [A 31] Man könnte die Gewohnheit eine moralische Tradition nennen, etwas, was den Geist nicht leicht über die Dinge hinstreichen läßt, sondern ihn damit verbindet, so daß es ihm schwer wird, sich davon los zu machen. [A 32] Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben gnau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer sondern eine ziemliche Menge. [A 33] Vom 1ten Julii 1765 an. Jeder Gedanke hat gewiß bei uns eine besondere relative Stellung der Teile unsers Körpers, die ihn allemal begleitet, allein Furcht oder überhaupt Zwang ersticken und hemmen sie oft ohnerachtet sie freilich nicht allemal so heftig sind, daß sie andern in die Sinne fallen, so sind sie doch da und der Geist zeigt sich desto freier je weniger er diese äußere Bewegungen an sich halten darf, denn ein solches Zurückhalten schadet dem freieren Fortgang der Gedanken ebensosehr als der Zorn, den man nicht darf ausbrechen la**en. Daher sieht man warum in einer Versammlung von den vertrautesten Freunden die guten Gedanken sich selbst nach und nach herbeiführen. [A 34] Am 4ten Julii 1765 lag ich an einem Tag, wo immer heller Himmel mit Wolken abwechselte, mit einem Buche auf dem Bette, so daß ich die Buchstaben ganz deutlich erkennen konnte, auf einmal drehte sich die Hand, worin ich das Buch hielt, unvermutet, ohne daß ich etwas verspürte, und weil dadurch mir einiges Licht entzogen wurde, so schloß ich es müßte eine dicke Wolke vor die Sonne getreten sein, und alles schien mir düster, da sich doch nichts von Licht in der Stube verloren hatte. So sind oft unsere Schlüsse beschaffen, wir suchen Gründe in der Ferne, die oft in uns selbst ganz nahe liegen. [A 35] Man sollte in der Woche wenigstens einmal diätetische Predigten in der Kirche halten, und wenn diese Wissenschaft auch von unsern Geistlichen erlernt würde, so könnte man doch geistliche Betrachtungen einflechten, die sich gewiß hier sehr gut würden anbringen la**en, denn es ist nicht zu glauben (wie) geistliche Betrachtungen mit etwas Physik vermischt die Leute aufmerksam erhält, und ihnen Gott stärker darstellt, als die oft übel angebrachten Exempel seines Zorns. [A 37] Wir würden gewiß Menschen von sonderbarer Gemüts-Art kennen lernen, wenn die großen Striche die jetzo Meer sind, bewohnt wären, und wenn vielleicht in einigen Jahrtausenden unser gegenwärtiges festes Land Meer und unsere Meere Länder sein werden, so werden ganz neue Sitten entstehen, über die wir uns jetzo sehr wundern sollten. [A 38] Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluß auf den Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluß mehr sichtbarlich, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiß, wer weiß ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine genauere Untersuchung. Allein wer weiß ob nicht der Himmel damit große Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie Staaten macht, und ob nicht die Speisen das tun was wir den Einfluß des Klima nennen. [A 42] Wir müssen uns freilich unsre gegenwärtigen Augenblicke allemal zu Nutz zu machen suchen, und dieses wäre nicht sehr schwer, denn wir dürften nur jeden Augenblick tun, was uns am meisten gefällt, allein wer sieht nicht daß uns bald Stoff dazu fehlen würde. 2 Jahre so hingebracht würden uns alle künftige verderben; jeder gegenwärtige Augenblick ist ein Spiegel aller künftigen und unser gegenwärtiges Vergnügen, verglichen mit dem daß er ein künftiger wird kann darin ein größtes werden. [A 43] Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen habe ich noch allemal beisammen gesehen. [A 45] Wir arbeiten öfters daran einen lasterhaften Affekt zu dämpfen, und wollen dabei unsere übrigen guten alle behalten, dieses kommt aus unserer Methode her, womit wir den Menschen schildern, wir sehen den Charakter desselben nicht als ein sehr richtig zusammengefügtes Ganzes an, das nur in seinen Teilen verschiedene relative Stellungen annehmen kann, sondern wir sehen die Affekte wie aufgeklebte Schönpflästerchen an, die wir verlegen und wegwerfen könnten. Viele dergleichen Irrtümer beruhen auf den dabei so nötigen Sprachen, weil diese keine Verbindung notwendig unter sich haben, sondern sie erst durch die beigefügte Erinnerungen bekommen, so kommt die gewöhnlichste Bedeutung uns immer in den Sinn, sobald man die Erinnerung ein wenig nur aus der Acht läßt, daher wenn eine allgemeine Charakteristik erfunden werden soll, so muß notwendig erst eine solche Sprache hervorgesucht werden. [A 46] Leute, die nicht die feine Verstellungskunst völlig inne haben, und andere mit Fleiß hintergehen wollen, entdecken uns gemeiniglich das Generelle ihrer ganzen Denkungs-Art bei der ersten Zusammenkunft, wer also der Neigung eines andern schmeicheln will und sich in dieselbe schicken lernen will, der muß bei der ersten Zusammenkunft sehr acht geben, dort findet man gemeiniglich die bestimmende Punkte der ganzen Denkungs-Art vereinigt. [A 50] Die Vorurteile sind so zu reden die Kunsttriebe der Menschen, sie tun dadurch vieles, das ihnen zu schwer werden würde bis zum Entschluß durchzudenken, ohne alle Mühe. [A 55] Eine Sprache, die allemal die Verwandschaft der Dinge zugleich ausdrückte, wäre für den Staat nützlicher als Leibnitzens Charak- teristik. Ich meine solche wie zum Ex. Seelsorger statt Prediger, Dummkopf statt Stutzer, Wa**ertrinker statt Anakreontischer Dichter. [A 56] Ich wünschte mir an jedem Abend die Sekunde des vergangenen Tages zu wissen, da mein Leben den geringsten Wert hatte, das ist, da, wenn Reinigkeit der Absichten, und Sicherheit des Leben Geld wert sind, ich am allermeisten würde gegolten haben. [A 57] Debitum naturae reddere heißt auf lateinisch gemeiniglich sterben. O es könnte noch mehr heißen! Viele Schwachheiten die wir begehen sind Schulden, die wir der Natur bezahlen. [A 58] Man muß sich in acht nehmen, daß man um die Möglichkeit mancher Dinge zu erweisen nicht gar zu bald auf die Macht eines höchstvollkommenen Wesens appelliert, denn sobald man z.E. glaubt [daß] Gott die Materie denken mache, so kann man nicht mehr erweisen, daß ein Gott außer der Materie sei. [A 59] Eine Empfindung die mit Worten ausgedruckt wird, ist allzeit wie Musik die ich mit Worten beschreibe, die Ausdrücke sind der Sache nicht h*mogen genug. Der Dichter, der Mitleiden erregen will, verweist doch noch den Leser auf eine Malerei und durch diese auf die Sache. Eine gemalte schöne Gegend reiße augenblicklich hin, da eine besungene erst im Kopf des Lesers gemalt werden muß. Bei der ersten hat der Zuschauer nichts mehr mit der Einrichtung zu tun, sondern er schreitet gleichsam zum Besitz, wünscht sich die Gegend, das gemalte Mädgen, bringt sich in allerlei Situationen, vergleicht sich mit allerlei Umständen bei der Sache. [A 62] Es ist in der Tat ein sehr blindes und unsern aufgeklärten Zeiten sehr unanständiges Vorurteil, daß wir die Geographie und die römische Historie eher lernen, als die Physiologie und Anatomie, ja die heidnische Fabellehre eher, als diese für Menschen beinah so unentbehrliche Wissenschaft daß sie nächst der Religion sollte getrieben werden. Ich glaube daß einem höheren Geschöpfe, als wir Menschen sind, dieses das reizendste Schauspiel sein muß, wenn er einen großen Teil des menschlichen Geschlechts starr ein paar tausend Jahre hinter sich gehen sähe, und aufs Ungewisse und unter dem Freibrief Regeln für die Welt aufzusuchen sich und der Welt unnütz sterben, [die] ihren Körper der doch ihr vornehmster Teil war nicht kannten, da ein Blick auf ihn sie, ihre Kinder, ihren Nächsten, ihre Nachkommen, hätte glücklich machen können. [A 63] Ein gewisses großes Genie fängt aus einem besondern Hang an eine Verrichtung vorzüglich zu treiben, weil es schwer war, so wird er bewundert, andere reizt dieses. Nun demonstriert man den Nutzen dieser Beschäftigungen. So entstehen Wissenschaften. [A 64] Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu machen müssen wir immer denken, daß es verloren sei, und daß wir es diesen Augenblick wieder erhielten. Es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu um diese Versuche glücklich anzustellen. [A 68] Diejenigen verba, welche die Leute täglich im Munde führen, sind in allen Sprachen die irregulärsten. Sum, Sono, eimi, ich bin, Je suis, Jag är, I am. [A 69] Die Kritiker lehren uns, uns an die Natur zu halten, und die Schriftsteller lesen es, sie halten es aber immer für sicherer sich an Schriftsteller zu halten, die sich an die Natur gehalten haben. Die meisten lesen die Regeln des Hume und wenn sie schreiben wollen denken sie an eine Stelle des Shakespeare. Es ist freilich gut ein so großes Original vor Augen zu haben, allein es ist klar, daß, wenn man eine solche Kopie nicht erreicht, die Entfernung davon nach der Seite zu geschieht die von der Natur noch weiter abweicht, oder es muß ein großes Genie sein, das sich der Natur noch mehr nähert als die erste Kopie derselben. Geschieht aber dieses, so muß notwendig der Verfa**er mehr die Natur als die Kopie zu erreichen gesucht haben, und man kann eigentlich alsdann nicht mehr sagen, daß er nach einer Malerei gezeichnet hat, sondern er bedient sich derselben nur so wie man sich in der praktischen Geometrie des Augenmaßes zuweilen bedient Messungen zu probieren, nicht um dadurch überhaupt zu sehen ob man gnau gemessen hat, sondern zu sehen ob man nicht durch einen Irrtum in der Rechnung einen Fehler begangen hat, der die Hälfte des Gesuchten beträgt. [A 70] Die Entschuldigungen, die man bei sich selbst sich macht wenn man etwas unternehmen will, sind ein vortrefflicher Stoff für Monologen, denn sie werden selten anders gemacht, als wenn man allein ist und sehr oft laut. [A 71] Wenn man einen guten Gedanken liest, so kann man probieren, ob sich etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken und sagen la**e. Man nimmt hier gleichsam an, daß in der andern Materie etwas enthalten sei das diesem ähnlich sei. Dieses ist eine Art von an*lysis der Gedanken, die vielleicht mancher Gelehrter braucht ohne es zu sagen. [A 72] Ein allgemeines Maß für das Verdienst oder für die Wichtigkeit einer Verrichtung, das allen Ständen sogleich die Größe einer Tat angäbe, wäre eine Erfindung, die eines moralischen Newton würdig wäre. Z.E. eine Compagnie vor des Kommandanten Haus zu exerzieren ist gewiß nicht so schwer als ein paar Schuh zu sohlen (ich weiß es freilich, daß die Ehre eine Besoldung ist, sie auszuzahlen legt der Fürst eine Steuer auf die Hüte und den Nacken der Untertanen. Wenn ein Handwerkspursche vor dem Offizier den Hut zieht, so denke ich immer, dieser Pursche ist eine Art von Kriegszahlmeister. Und wie ungeschliffen sind die Offiziers, die sie ohne Quittung annehmen, ich meine die nicht wieder an den Hut greifen) und ich behaupte ein Kleid gut zu schneiden ist zuverlässig schwerer, als Hof-Kavalier zu sein, zuverlässig schwerer, ich meine den Hof-Kavalier in abstracto. Eine solche Rangordnung, die aber gewiß dem Verfa**er und dem Verleger den Kopf kosten würde, wünschte ich gedruckt zu sehen, sie existiert gewiß in dem Kopf jedes rechtschaffenen Mannes. Man könnte zu einem solchen Maß das Balancieren auf der Nase nehmen, weil dieses ohngefähr alle Menschen mit gleicher Geschwindigkeit lernen, und durch die Länge der Tabakspfeife in Zollen die Grade der Schwierigkeit messen. [A 75] Wenn wir so vollständig sprechen könnten als wir empfinden, die Redner würden wenige Widerspenstige, und die Verliebten wenig Grausame finden. Unser ganzer Körper wünschet bei der Abreise eines geliebten Mädgens, daß sie da bleiben möchte, kein Teil drückt es aber so deutlich aus als der Mund: wie soll er sich aber ausdrücken, daß man auch etwas von den Wünschen der übrigen Teile empfindet? Gewiß das ist sehr schwer zu raten, wenn man noch nicht in dem Fall wirklich ist, und noch schwerer wenn man nie darin war. [A 79] Bei einem Verbrechen ist das was die Welt das Verbrechen nennt selten das was die Strafe verdient, sondern da ist es, wo unter der langen Reihe von Handlungen womit es sich gleichsam als mit Wurzeln in unser Leben hinein erstreckt diejenige ist, die am meisten von unserm Willen dependierte, und die wir am allerleichtesten hätten nicht tun können. [A 80] Es ist ein Fehler in unsern Erziehungen, daß wir gewisse Wissen- schaften so früh anfangen, sie verwachsen sozusagen in unsern Verstand, und der Weg zum Neuen wird gehemmt. Es wäre die Frage ob sich die Seelenkräfte nicht stärken ließen ohne sie auf eine Wissenschaft anzuwenden. [A 81] Wenn die Substanzen Eigenschaften besitzen, die sich andern vergegenwärtigen la**en, so können wir zugleich Glieder in verschiedenen Welten sehn ohne uns jedoch in mehr als einer bewußt zu sein, denn Eigenschaften der Substanzen sind so zu reden durchdringlich. So können wir sterben und in einer andern Welt fortleben. [A 83] Ein gewisser Philosoph sagt man müsse [bei] Zeiten den Geist mit nützlichen Wahrheiten [speisen]. Herr N. hatte ihn zuweilen halbe Jahre [hun]gern la**en und auf einmal wieder so gefüttert, daß man auf allen Messen sagte: Mein Gott der Mensch hat sich übernommen (pm). [A 85] Es gibt eine gewisse Art Menschen, die mit jedem leicht Freundschaft machen, ihn eben so bald wieder ha**en und wieder lieben, stellt man sich das menschliche Geschlecht als ein Ganzes vor, wo jeder Teil in seine Stelle paßt, so werden dergleichen Menschen zu solchen Ausfüll-Teilen die man überall hinwerfen kann. Man findet unter dieser Art von Leuten selten große Genies, ohneracht sie am leichtesten dafür gehalten werden. [A 86] Die wahre Bedeutung eines Wortes in unsrer Muttersprache zu verstehen bringen wir gewiß oft viele Jahre hin. Ich verstehe auch zugleich hier mit die Bedeutungen die ihm der Ton geben kann. Der Verstand eines Wortes wird uns um mich mathematisch auszudrücken durch eine Formul gegeben, worin der Ton die veränderliche und das Wort die beständige Größe ist. Hier eröffnet sich ein Weg die Sprachen unendlich zu bereichern ohne die Worte zu vermehren. Ich habe gefunden, daß die Redens-Art: Es ist gut auf fünferlei Art von uns ausgesprochen wird, und allemal mit einer andern Bedeutung, die freilich auch oft noch durch eine dritte veränderliche Größe nämlich die Miene bestimmt wird. [A 89] Wenn man die Charaktere der Menschen, oder besser, wenn man die Menschen nach den Charakteren ordnen könnte, welches leicht möglich wäre, wenn wir mehr Erfahrungen in diesem Stück sammelten, so würde man die Kla**en für die Künstler und Gelehrten leicht merken, und würde sich alsdann nicht mehr bemühen einem aus dem Genere pa**erum sprechen zu lernen, da es ausgemacht ist, daß dieses nur den Picis zukommt. [A 92] Jedermann gesteht, daß schmutzige Historien, die man selbst aufsetzet, lange nicht die gefährliche Wirkung auf uns tun, als die von Fremden. [A 99] Das Maß des Wunderbaren sind wir, wenn wir ein allgemeines Maß suchten, so würde das Wunderbare wegfallen und würden alle Dinge gleich groß sein. [A 101] Geister ohne eine Welt außer ihnen müssen seltsame Geschöpfe sein, denn da von jedem Gedanken der Grund in ihnen liegt, so sind die seltsamsten Verbindungen von Ideen allzeit recht. Leute nennen wir rasend, wenn sich die Ordnung ihrer Begriffe nicht mehr aus der Folge der Begebenheiten in unsrer ordentlichen Welt bestimmen läßt, deswegen ist gewiß eine sorgfältige Betrachtung der Natur, oder auch die Mathematik das sicherste Mittel wider Raserei, die Natur ist sozusagen das Laufseil, woran unsere Gedanken geführt werden, daß sie nicht ausschweifen. [A 102] Die Einrichtung unserer Natur ist so weise, daß uns sowohl vergangener Schmerz, als vergangene Wollust Vergnügen erweckt; da wir nun ferner eher eine zukünftige Wollust voraussehen als einen zukünftigen Schmerz, so sehen wir daß wirklich nicht einmal die traurige und angenehme Empfindung in der Welt gleich verteilt sind, sondern daß wirklich auf Seiten des Vergnügens ein größeres stattfindet. [A 103] Der Streit über Bedeuten und Sein, der in der Religion so viel Unheil angestiftet hat, wäre vielleicht heilsamer gewesen, wenn man ihn über andere Materien geführt hätte, denn es ist eine allgemeine Quelle unsers Unglücks, daß wir glauben die Dinge seien das wirklich, was sie doch nur bedeuten. [A 105] Das Glück der Menschen besteht in einer richtigen Verhältnis seiner Gemüts-Eigenschaften und seiner Affekten, wenn eine wächst, so leiden alle andern, daraus entstehen unzählige Mischungen. Das was man einen großen Geist nennt kann so gut eine Mißgeburt sein, als es ein großer Spieler ist, aber eine nützliche Mißgeburt, so waren Savage und Günther wahrhafte Mißgeburten, der Mann der ruhig und vergnügt lebt, ist der eigentliche Mensch, und ein solcher Mensch wird es selten sehr weit in einer Wissenschaft bringen, weil jede Maschine die zu Vielem nützen soll selten zu jedem so stark nützen kann als eine die nur allein zu einer einzigen Absicht gemacht ist. Deswegen ist es ebenso weis eingerichtet, daß wenige Leute Genie haben, als es weislich ist, daß nicht alle Leute taub oder blind sind. Newton war am Geist ein Macrochir, er konnte höher hinauflangen, die Offenbarung Johannis erklärte er schlecht, weil vielleicht dazu eine große Nase nötig war. [A 107] Es ist ein ganz unvermeidlicher Fehler aller Sprachen, daß sie nur genera von Begriffen ausdrücken, und selten das hinlänglich sagen was sie sagen wollen. Denn wenn wir unsere Wörter mit den Sachen vergleichen, so werden wir finden daß die letzteren in einer ganz andern Reihe fortgehen als die erstem. Die Eigenschaften die wir an unserer Seele bemerken hängen so zusammen, daß sich wohl nicht leicht eine Grenze wird angeben la**en, die zwischen zweien wäre, die Wörter, womit wir sie ausdrücken, sind nicht so beschaffen, und zwei auf einander folgende und verwandte Eigenschaften werden durch Zeichen ausgedrückt, die uns keine Verwandtschaft zu erkennen geben. Man sollte die Wörter philosophisch deklinieren können, das ist ihre Verwandtschaft von der Seite durch Veränderungen angeben können. In der an*lysi nennt man einer Linie a unbestimmtes Stück x, das andere nicht y wie im gemeinen Leben, sondern a - x. Daher hat die mathematische Sprache so große Vorzüge für der gemeinen. [A 109] Kein Fürst wird jemals den Wert eines Mannes durch seine Gunst bestimmen, denn es ist ein Schluß, der nicht auf eine einzige Erfahrung etwa gegründet ist, daß ein Regent meistens ein schlechter Mann ist. Der in Frankreich backt Pasteten und betrügt ehrliche Mädgen, der König von Spanien haut unter Pauken und Trompeten Hasen in Stücken, der letzte König in Polen der Kurfürst von Sachsen war schoß seinem Hofnarren mit dem Blasrohr nach dem Arsch, der Fürst von Löwenstein beklagt bei einem großen Brand nichts als seinen Sattel, der Landgraf von Ka**el fährt einer Tänzerin zu Gefallen in der Suite eines Fürsten der nicht viel mehr ist als er und wird durch die erbärmlichsten Leute betrogen, der Herzog von Württemberg ist ein Wahnsinniger, der König von Engelland macht... Engelländerin P..., der Fürst von Weilburg badet sich öffentlich in der Lahn; die meisten übrigen Beherrscher dieser Welt sind Tambours, Fourriers, Jäger. Und dieses sind die Obersten unter den Menschen; wie kann es denn in der Welt nur erträglich hergehen; was helfen die Einleitungen ins Kommerzien-Wesen, die arts de s'enrichir par l'agriculture, die Hausväter, wenn ein Narr der Herr von allen ist, der keine Oberen erkennt als seine Dummheit, seine Caprice, seine Huren und seinen Kammerdiener, o wenn doch die Welt einmal erwachte, und wenn auch drei Millionen am Galgen stürben, so würden doch vielleicht 50 bis 80 Millionen dadurch glücklich; so sprach einst ein Perückenmacher in Landau auf der Herberge, man hielt ihn aber mit Recht für völlig verrrückt, er wurde ergriffen, und von einem Unteroffizier noch ehe er in Verhaft gebracht wurde mit dem Stock todgeschlagen, der Unteroffizier verlor den Kopf. [A 110] Wenn Plato sagt die Leidenschaften und die natürlichen Triebe seien die Flügel der Seele, so drückt er sich sehr lehrreich aus, solche Vergleichungen erläutern die Sache und sind gleichsam Übersetzung der schweren Begriffe eines Mannes in eine jedermann bekannte Sprache, wahrhafte Definitionen. [A 111] Es kann ohnstreitig Kreaturen geben, deren Organe so fein sind, daß sie nicht imstande sind durch einen Lichtstrahl durchzugreifen, so wie wir nicht durch einen Stein durchgreifen können, weil unsere Hände eher zerstört werden würden. [A 112] Es ist eine richtige Beobachtung wenn [man] sagt daß Leute die zu stark nachahmen ihre eigene Erfindungskraft schwächen. Dieses ist die Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst, wer nachahmt und die Gründe der Nachahmung nicht einsieht fehlt gemeiniglich so bald ihn die Hand verläßt, die ihn führte. [A 113] Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewegung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, daß die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich vielleicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt wie sie vielleicht hätten tun sollen. Unsere ganze Welt ist nichts als die Wirkung eines Gedankens von Gott auf die Materie. [A 114] Den 5ten Novembris 1769. Die Welt ist ein allen Menschen gemeiner Körper, Veränderungen in ihr bringen Veränderung in der Seele aller Menschen vor die just diesem Teil zugekehrt sind. [A 115] Träume führen uns oft in Umstände, und Begebenheiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder la**en uns Unbequemlichkeiten fühlen welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unsern Entschluß, sichert unsern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen. [A 116] Ich habe schon auf Schulen Gedanken vom Selbstmord gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt schnurstracks entgegen liefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinisch für den Selbstmord disputierte und ihn zu verteidigen suchte. Ich muß aber gestehen, daß die innere Überzeugung von der Billigkeit einer Sache (wie dieses aufmerksame Leser werden gefunden haben) oft ihren letzten Grund in etwas Dunklem hat, dessen Aufklärung äußerst schwer ist, oder wenigstens scheint, weil eben der Widerspruch, den wir zwischen dem klar ausgedruckten Satz und unserm undeutlichen Gefühl bemerken, uns glauben macht wir haben den rechten noch nicht gefunden. Im August 1769 und in den folgenden Monaten habe ich mehr an den Selbstmord gedacht als jemals vorher, und allezeit habe ich bei mir befunden, daß ein Mensch bei dem der Trieb zur Selbst-Erhaltung so geschwächt worden ist, daß er so leicht überwältigt werden kann, sich ohne Schuld ermorden könne. Ist ein Fehler begangen worden, so liegt er viel weiter zurück. Bei mir ist eine vielleicht zu lebhafte Vorstellung des Todes, seines Anfangs und wie leicht er an sich ist schuld daß ich vom Selbstmord so denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gesellschaften und nicht aus einem Umgang zu zweit kennen werden sich wundern, daß ich so etwas sagen kann. Allein Herr Ljungberg weiß es, daß es eine von meinen Lieblings-Vorstellungen ist mir den Tod zu gedenken, und daß mich dieser Gedanke zuweilen so einnehmen kann, daß ich mehr zu fühlen als zu denken scheine und halbe Stunden mir wie Minuten vorübergehn. Es ist dieses keine dickblütige Selbst-Kreuzigung, welcher ich wider meinen Willen nachhinge, sondern eine geistige Wollust für mich, die ich wider meinen Willen sparsam genieße, weil ich zuweilen fürchte, jene melancholische nachteulenmäßige Betrachtungsliebe möchte daraus entstehen. [A 117] Nicht da sein heißt bei den Naturforschern, wenigstens bei einer gewissen Kla**e so viel als nicht empfunden werden. [A 118] Für das Künftige sorgen, muß bei Geschöpfen die das Künftige nicht kennen sonderbare Einschränkungen leiden. Sich auf sehr viele Fälle zugleich schicken, wovon oft eine Art die andern zum Teil aufheben muß, kann von einer vernünftigen Gleichgültigkeit gegen das Zukünftige wenig unterschieden sein. [A 119] Mit einem erstaunenden Vergnügen finde ich in des Herrn Lavaters Aussichten in die Ewigkeit T.I. p. 143 seq., daß er vor dem Schlaf ähnliche Empfindungen mit mir hat, ich habe jahrelang vorher ehe dieses Buch erschien schon Herrn Ljungberg die Eröffnung getan, ja als ich noch auf Schulen war habe ich meinem Freund Herrn Eßwein schon etwas davon gesagt, aber nie gehört, daß er oder Herr Ljungberg jemals etwas ähnliches empfunden, meine Betrachtungen in diesem Zustand gehen gemeiniglich auf den Tod, oder die Seele überhaupt, und das was Empfindung ist, und endigen sich in einer Bewunderung der Einrichtung des Menschen, alles ist mehr Gefühl als Reflexion und unbeschreiblich. [A 120] Der Bauer, welcher glaubt, der Mond sei nicht größer als ein Pflug-Rad, denkt niemals daran daß in einer Entfernung von einigen Meilen eine ganze Kirche nur wie ein weißer Fleck aussieht, und daß der Mond hingegen immer gleich groß scheint, was hemmt bei ihm diese Verbindung von Ideen, die er einzeln alle hat? Er verbindet in seinem gemeinen Leben auch wirklich Ideen vielleicht durch künstlichere Bande, als diese. Diese Betrachtung sollte den Philosophen aufmerksam machen, der vielleicht noch immer der Bauer in gewissen Verbindungen ist. Wir denken früh genug aber wir wissen nicht daß wir denken, so wenig als wir wissen daß wir wachsen oder verdauen, viele Menschen unter den Gemeinen erfahren es niemals. Eine gnaue Betrachtung der äußeren Dinge führt leicht auf den betrachtenden Punkt, uns selbst, zurück und umgekehrt wer sich selbst einmal erst recht gewahr wird gerät leicht auf die Betrachtung der Dinge um ihn. Sei aufmerksam, empfinde nichts umsonst, messe und vergleiche; dieses ist das ganze Gesetz der Philosophie. [A 121] Es gibt Grade des Verlierens, ein Ding in keiner einzigen gegebenen Zeit wieder finden können, heißt dieses Ding verloren haben, zuweilen läßt sich aus den Umständen nicht schließen, ob diese Zeit unendlich werden wird oder nicht, wird aber oft endlich befunden. Man kann etwas wirklich verloren haben, wenn man auch gleich weiß, daß man es nach einer halben Stunde Fleiß wieder finden könnte. [A 122] Den 25. Februarii 1770. Was ist es, das macht, daß wir uns zuweilen eines geheimen Kummers standhaft entschlagen können, da die Vorstellung, daß wir unter dem Schutz einer höchstgütigen Vorsicht stehen, die größte Wirkung auf uns hat, und dennoch oft in der nächsten halben Stunde diesem nämlichen Kummer beinah unterliegen. Mit mir ist es wenigstens so, ohne daß ich sagen könnte, daß ich bei der 2ten Vorstellung meinen Kummer von einer neuen Seite betrachte, andere Relationen einsehe, nichts weniger. Fände dieses statt, so wurde ich diese Anmerkung nicht einmal niedergeschrieben haben. Ich glaube vielmehr, daß die moralische Empfindlichkeit im Menschen zu unterschiedenen Zeiten verschieden ist, des Morgens stärker als des Abends. [A 123] Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, pra**elt, knallt, ra**elt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr. [A 125] Das Zurücktreten von Personen die heftig mit andern zanken kann zuweilen seinen Grund in einer Furcht vor der eigenen Unenthaltsamkeit anzeigen. So tritt Apollo beim Homer zurück nachdem er den Diomed der ihn bekämpfen wollte an seinen unermeßlichen Abstand von Göttern und an seinen Raupenstand erinnert hat. Iliad. Book V. v. 539 Pope's Übersetzung: So spoke the God who darts celestial fires, He dreads his fury and some steps retires. [A 126] Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philosophie eines einzelnen gewissen Menschen durch die Philosophie der andern selbst der Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philosophie eines einzelnen gewissen Menschen durch die Philosophie der andern selbst der Narren korrigiert und dieses nach den Regeln einer vernünftigen Schätzung der Grade der Wahrscheinlichkeit. Sätze worüber alle Menschen übereinkommen sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit. Andere Sätze für wahr zu halten zwingt uns oft die Versicherung solcher Menschen, die in der Sache viel gelten, und jeder Mensch würde das glauben, der sich in eben den Umständen befände, so bald dieses nicht ist, so ist eine besondere Philosophie und nicht eine die in dem Rat der Menschen ausgemacht ist, Aberglaube selbst ist Lokal-Philosophie, er gibt seine Stimme auch. [A 127] Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennen lernen, denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen, unterworfen sein kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist was heutzutage allen und jeden zu empfehlen ist, gewönnen wir alle 10 Jahre nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philosophischen Schriftsteller, so wäre unsere Ernte immer reich genug. [A 128] Es gibt Menschen, die sogar in ihren Worten und Ausdrücken etwas Eigenes haben, (die meisten haben wenigstens etwas, das ihnen eigner ist) da doch Redensarten durch eine lange Mode so und nicht anders sind, solche Menschen sind allzeit einer Aufmerksamkeit würdig, es gehört viel Selbstgefühl und Unabhängigkeit der Seele [dazu] bis man so weit kommt. Mancher fühlt neu und sein Ausdruck womit der dieses Gefühl andern deutlich machen will ist alt. [A 129] Den Männern in der Welt haben wir so viel seltsame Erfindungen in der Dichtkunst zu danken, die alle ihren Grund in dem Erzeugungstrieb haben, alle die Ideale von Mädchen und dergleichen. Es ist schade, daß die feurigen Mädchen nicht von den schönen Jünglingen schreiben dürfen wie sie wohl könnten, wenn es erlaubt wäre. So ist die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Händen gezeichnet, die sie allein recht mit Feuer zeichnen könnten. Es ist wahrscheinlich, daß das Geistige, was ein Paar bezauberte Augen in einem Körper erblicken, der sie bezaubert hat, ganz von einer andern Art sich den Mädchen in männlichen Körpern zeigt, als es sich dem Jüngling in weiblichen Körpern entdeckt. [A 130] Es ist zum Erstaunen, wie wenig dasjenige oft, was wir für nützlich halten, und was auch leicht zu tun wäre, doch von uns getan wird. Die Begierde, geschwind viel wissen zu wollen, hindert oft die gnauen Untersuchungen, allein es ist selbst dem Menschen, der dieses weiß, sehr schwer etwas gnau zu prüfen, da er doch weiß, er kommt auch nicht zu seinem Endzwecke viel zu lernen, wenn er nicht prüft. [A 131]