Friedrich Schiller - Wilhelm Tell (Erster Aufzug, vierte Szene) lyrics

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Friedrich Schiller - Wilhelm Tell (Erster Aufzug, vierte Szene) lyrics

Vierte Scene (Walther Fürsts Wohnung) Walther Fürst und Arnold von Melchthal treten zugleich ein, von verschiedenen Seiten Melchthal Herr Walther Fürst – Walther Fürst Wenn man uns überraschte! Bleibt, wo ihr seyd. Wir sind umringt von Spähern. Melchthal Bringt ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts [37] Von meinem Vater? Nicht ertrag ich's länger, Als ein Gefang'ner müßig hier zu liegen. Was hab' ich denn so sträfliches gethan, Um mich gleich einem Mörder zu verbergen? Dem frechen Buben, der die Ochsen mir, Das trefflichste Gespann, vor meinen Augen Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiß, Hab' ich den Finger mit dem Stab gebrochen. Walther Fürst Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts, Von eurer Obrigkeit war er gesendet, Ihr wart in Straf' gefallen, mußtet euch, Wie schwer sie war, der Buße schweigend fügen. Melchthal Ertragen sollt' ich die leichtfert'ge Rede Des Unverschämten: „Wenn der Bauer Brod Wollt' essen, mög' er selbst am Pfluge zieh'n!“ In die Seele schnitt mir's, als der Bub die Ochsen, Die schönen Thiere, von dem Pfluge spannte, Dumpf brüllten sie, als hätten sie Gefühl Der Ungebühr, und stießen mit den Hörnern, [38] Da übernahm mich der gerechte Zorn, Und meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten. Walther Fürst O kaum bezwingen wir das eig'ne Herz, Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen! Melchthal Mich jammert nur der Vater – Er bedarf So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern. Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten. Drum werden sie den alten Mann bedrängen, Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze. – Werde mit mir was will, ich muß hinüber. Walther Fürst Erwartet nur und faßt euch in Geduld, Bis Nachricht uns herüber kommt vom Walde. – Ich höre klopfen, geht – Vielleicht ein Bote Vom Landvogt – Geht hinein – Ihr seid in Uri Nicht sicher vor des Landenbergers Arm, Denn die Tyrannen reichen sich die Hände. [39] Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges In seiner Höhle nicht mehr sicher ist? – Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir Die Armbrust spannen und die schwere Wucht Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward Ein Nothgewehr in der Verzweiflungsangst, Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt Der Meute sein gefürchtetes Geweih, Die Gemse reißt den Jäger in den Abgrund – Der Pflugstier selbst, der sanfte Hausgenoß Des Menschen, der die ungeheure Kraft Des Halses duldsam unters Joch gebogen, Springt auf, gereizt, wezt sein gewaltig Horn Und schleudert seinen Feind den Wolken zu. Walther Fürst Wenn die drey Lande dächten wie wir drey, So möchten wir vielleicht etwas vermögen. Stauffacher Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft, Der Schwytzer wird die alten Bünde ehren. [40] Stauffacher (ihm die Hand reichend) Die alten Zeiten und die alte Schweiz. Walther Fürst Die bringt ihr mit euch – Sieh, mir wird so wohl, Warm geht das Herz mir auf bei eurem Anblick. – Sezt euch, Herr Werner – Wie verließet ihr Frau Gertrud, eure angenehme Wirthin, Des weisen Ibergs hochverständ'ge Tochter? Von allen Wandrern aus dem deutschen Land, Die über Meinrads Zell nach Welschland fahren, Rühmt jeder euer gastlich Haus – Doch sagt, Kommt ihr so eben frisch von Fluelen her, Und habt euch nirgend sonst noch umgeseh'n, Eh' ihr den Fuß gesezt auf diese Schwelle? Stauffacher (sezt sich) Wohl ein erstaunlich neues Werk hab' ich Bereiten sehen, das mich nicht erfreute. Walther Fürst O Freund, da habt ihr's gleich mit Einem Blicke! Stauffacher Ein solches ist in Uri nie gewesen – [41] Seit Menschendenken war kein Twinghof hier, Und fest war keine Wohnung als das Grab. Walther Fürst Ein Grab der Freiheit ist's. Ihr nennt's mit Nahmen. Stauffacher Herr Walther Fürst, ich will euch nicht verhalten, Nicht eine müß'ge Neugier führt mich her, Mich drücken schwere Sorgen – Drangsal hab' ich Zu Haus verla**en, Drangsal find' ich hier. Denn ganz unleidlich ist's, was wir erdulden, Und dieses Dranges ist kein Ziel zu seh'n. Frei war der Schweitzer von Uralters her, Wir sind's gewohnt, daß man uns gut begegnet, Ein solches war im Lande nie erlebt, Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen. Walther Fürst Ja, es ist ohne Beispiel wie sie's treiben! Auch unser edler Herr von Attinghausen, Der noch die alten Zeiten hat geseh'n, Meint selber, es sey nicht mehr zu ertragen. [42] Stauffacher Auch drüben unter'm Wald geht schweres vor, Und blutig wird's gebüßt – der Wolfenschießen, Des Kaisers Vogt, der auf dem Roßberg haußte, Gelüsten trug er nach verbot'ner Frucht, Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen, Wollt' er zu frecher Ungebühr misbrauchen, Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen. Walther Fürst O die Gerichte Gottes sind gerecht! – Baumgarten sagt ihr? Ein bescheid'ner Mann! Er ist gerettet doch und wohl geborgen? Stauffacher Euer Eidam hat ihn über'n See geflüchtet, Bei mir zu Steinen halt' ich ihn verborgen – – Noch greulichers hat mir derselbe Mann Berichtet, was zu Sarnen ist gescheh'n, Das Herz muß jedem Biedermanne bluten. Walther Fürst (aufmerksam) Sagt an, was ist's? [43] Stauffacher Im Melchthal, da wo man Eintritt bey Kerns, wohnt ein gerechter Mann, Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden, Und seine Stimm' gilt was in der Gemeinde. Walther Fürst Wer kennt ihn nicht! Was ist's mit ihm? Vollendet. Stauffacher Der Landenberger büßte seinen Sohn Um kleinen Fehlers willen, ließ die Ochsen, Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen, Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig. Walther Fürst (in höchster Spannung) Der Vater aber – Sagt, wie steht's um den? Stauffacher Den Vater läßt der Landenberger fodern, Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn, Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört, Er habe von dem Flüchtling keine Kunde, Da läßt der Vogt die Folterknechte kommen – [44] Walther Fürst (springt auf und will ihn auf die andre Seite führen) O still, nichts mehr! Stauffacher (mit steigendem Ton) „Ist mir der Sohn entgangen, So hab' ich dich“ – Läßt ihn zu Boden werfen, Den spitz'gen Stahl ihm in die Augen bohren – Walther Fürst Barmherz'ger Himmel! Melchthal (stürzt heraus) In die Augen, sagt ihr? Stauffacher (erstaunt zum Walther Fürst) Wer ist der Jüngling? Melchthal (faßt ihn mit krampfhafter Heftigkeit) In die Augen? Redet. Walther Fürst O der bejammernswürdige! [45] Stauffacher Wer ists? (da Walther Fürst ihm ein Zeichen giebt.) Der Sohn ist's? Allgerechter Gott! Melchthal Und ich Muß ferne seyn! – In seine beiden Augen? Walther Fürst Bezwinget euch, ertragt es wie ein Mann! Melchthal Um meiner Schuld, um meines Frevels willen! – Blind also! Wirklich blind und ganz geblendet? Stauffacher Ich sagt's. Der Quell des Seh'ns ist ausgeflossen, Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder. Walther Fürst Schont seines Schmerzens! Melchthal Niemals! Niemals wieder! (er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem [46] andern, und spricht mit sanfter, von Tränen erstickter Stimme) O eine edle Himmelsgabe ist Das Licht des Auges – Alle Wesen leben Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf – Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte. Und er muß sitzen, fühlend, in der Nacht, Im ewig Finstern – ihn erquickt nicht mehr Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz, Die rothen Firnen kann er nicht mehr schauen – Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen, Das ist ein Unglück – Warum seht ihr mich So jammernd an? Ich hab' zwey frische Augen, Und kann dem blinden Vater keines geben, Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts, Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt. Stauffacher Ach, ich muß euren Jammer noch vergrößern, Statt ihn zu heilen – Er bedarf noch mehr! Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt, Nichts hat er ihm gela**en als den Stab, Um nackt und blind von Thür zu Thür zu wandern. [47] Melchthal Nichts als den Stab dem augenlosen Greis! Alles geraubt, und auch das Licht der Sonne, Des Aermsten allgemeines Gut – Jezt rede Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen! Was für ein feiger Elender bin ich, Daß ich auf meine Sicherheit gedacht, Und nicht auf Deine – dein geliebtes Haupt Als Pfand gela**en in des Wüthrichs Händen! Feigherz'ge Vorsicht fahre hin – Auf nichts Als blutige Vergeltung will ich denken, Hinüber will ich – Keiner soll mich halten – Des Vaters Auge von dem Landvogt fodern – Aus allen seinen Reisigen heraus Will ich ihn finden – Nichts liegt mir am Leben, Wenn ich den heißen ungeheuren Schmerz In seinem Lebensblute kühle. (er will gehen) Walther Fürst Bleibt! [48] Was könnt ihr gegen ihn? Er sizt zu Sarnen Auf seiner hohen Herrenburg und spottet Ohnmächt'gen Zorns in seiner sichern Veste. Melchthal Und wohnt' er droben auf dem Eispallast Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau Seit Ewigkeit verschleiert sizt – Ich mache Mir Bahn zu ihm, mit zwanzig Jünglingen Gesinnt wie ich, zerbrech' ich seine Veste. Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle Für eure Hütten bang und eure Heerden, Euch dem Tyrannenjoche beugt – die Hirten Will ich zusammen rufen im Gebirg, Dort unter'm freien Himmelsdache, wo Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund, Das ungeheuer Gräßliche erzählen. Stauffacher (zu Walther Fürst) Es ist auf seinem Gipfel – wollen wir Erwarten, bis das Aeuserste – Melchthal Welch' Aeuserstes [49] Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges In seiner Höhle nicht mehr sicher ist? – Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir Die Armbrust spannen und die schwere Wucht Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward Ein Nothgewehr in der Verzweiflungsangst, Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt Der Meute sein gefürchtetes Geweih, Die Gemse reißt den Jäger in den Abgrund – Der Pflugstier selbst, der sanfte Hausgenoß Des Menschen, der die ungeheure Kraft Des Halses duldsam unters Joch gebogen, Springt auf, gereizt, wezt sein gewaltig Horn Und schleudert seinen Feind den Wolken zu. Walther Fürst Wenn die drey Lande dächten wie wir drey, So möchten wir vielleicht etwas vermögen. Stauffacher Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft, Der Schwytzer wird die alten Bünde ehren. [50] Melchthal Groß ist in Unterwalden meine Freundschaft, Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut, Wenn er am andern einen Rücken hat Und Schirm – O fromme Väter dieses Landes! Ich stehe nur ein Jüngling zwischen euch, Den Vielerfahrnen – meine Stimme muß Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde. Nicht weil ich jung bin und nicht viel erlebte, Verachtet meinen Rath und meine Rede, Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt, Was auch den Stein des Felsen muß erbarmen. Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses, Und wünscht euch einen tugendhaften Sohn, Der eures Hauptes heilge Locken ehre, Und euch den Stern des Auges fromm bewache. O weil ihr selbst an eurem Leib und Gut Noch nichts erlitten, eure Augen sich Noch frisch und hell in ihren Kreisen regen, So sei euch darum unsre Noth nicht fremd. [51] Auch über euch hängt das Tyrannenschwert, Ihr habt das Land von Oestreich abgewendet, Kein anderes war meines Vaters Unrecht, Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammniß. Stauffacher (zu Walther Fürst) Beschließet ihr, ich bin bereit zu folgen. Walther Fürst Wir wollen hören, was die edeln Herrn Von Sillinen, von Attinghausen rathen – Ihr Nahme, denk' ich, wird uns Freunde werben. Melchthal Wo ist ein Nahme in dem Waldgebirg' Ehrwürdiger als Eurer und der Eure? An solcher Nahmen ächte Währung glaubt Das Volk, sie haben guten Klang im Lande. Ihr habt ein reiches Erb von Vätertugend, Und habt es selber reich vermehrt – Was braucht's Des Edelmanns? Laßts uns allein vollenden. Wären wir doch allein im Land! Ich meine, Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen. [52] Stauffacher Die Edeln drängt nicht gleiche Noth mit uns, Der Strom, der in den Niederungen wüthet, Bis jetzt hat er die Höh'n noch nicht erreicht – Doch ihre Hülfe wird uns nicht entsteh'n, Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken. Walther Fürst Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich, So möchte Recht entscheiden und Gesetz, Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser Und höchster Richter – so muß Gott uns helfen Durch unsern Arm – erforschet ihr die Männer Von Schwytz, ich will in Uri Freunde werben. Wen aber senden wir nach Unterwalden – Melchthal Mich sendet hin – wem läg' es näher an – Walther Fürst Ich geb's nicht zu, ihr seid mein Gast, ich muß Für eure Sicherheit gewähren! Melchthal Laßt mich! [53] Die Schliche kenn' ich und die Felsensteige, Auch Freunde find' ich gnug, die mich dem Feind Verhehlen und ein Obdach gern gewähren. Stauffacher Laßt ihn mit Gott hinüber geh'n. Dort drüben Ist kein Verräther – so verabscheut ist Die Tyrannei, daß sie kein Werkzeug findet. Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald Genossen werben und das Land erregen. Melchthal Wie bringen wir uns sich're Kunde zu, Daß wir den Argwohn der Tyrannen täuschen? Stauffacher Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen. Walther Fürst So offen dürfen wir das Werk nicht treiben. – Hört meine Meinung. Links am See, wenn man Nach Brunnen fährt, dem Mytenstein grad über, Liegt eine Matte heimlich im Gehölz, [54] Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten, Weil dort die Waldung ausgereutet ward. Dort ist's wo uns're Landmark und die eure (zu Melchthal) Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt (zu Stauffacher) Trägt Euch der leichte Kahn von Schwytz herüber. Auf öden Pfaden können wir dahin Bei Nachtzeit wandern und uns still berathen. Dahin mag jeder zehn vertraute Männer Mitbringen, die herzeinig sind mit uns, So können wir gemeinsam das Gemeine Besprechen und mit Gott es frisch beschließen. Stauffacher So sey's. Jezt reicht mir eure biedre Rechte, Reicht ihr die Eure her, und so wie wir Drey Männer jetzo, unter uns, die Hände Zusammen flechten, redlich, ohne Falsch, So wollen wir Drey Länder auch, zu Schutz Und Trutz, zusammen stehn auf Tod und Leben. [55] Walther Fürst und Melchthal Auf Tod und Leben! (sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammen geflochten und schweigen) Melchthal Blinder alter Vater! Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen, Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp Die Feuerzeichen flammend sich erheben, Die festen Schlösser der Tyrannen fallen, In deine Hütte soll der Schweizer wallen, Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen, Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen. (sie gehen auseinander)