Friedrich Schiller - Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 25 lyrics

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Friedrich Schiller - Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 25 lyrics

Zehnter Auftritt. Der König und der Großinquisitor. (Ein langes Stillschweigen.) Großinquisitor. Steh' Ich vor dem König? König. Ja. Großinquisitor. Ich war mir's nicht mehr Vermuthend. König. Ich erneure einen Auftritt Vergangner Jahre. Philipp, der Infant, Holt Rath bei seinem Lehrer. Großinquisitor. Rath bedurfte Mein Zögling Carl, Ihr großer Vater, niemals. König. Um so viel glücklicher war er. Ich habe Gemordet, Cardinal, und keine Ruhe – Großinquisitor. Weßwegen haben Sie gemordet? König. Ein Betrug, der ohne Beispiel ist – Großinquisitor. Ich weiß ihn. König. Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann? Großinquisitor. Seit Jahren, Was Sie seit Sonnenuntergang. König (mit Befremdung). Ihr habt Von diesem Menschen schon gewußt? Großinquisitor. Sein Leben Liegt angefangen und beschlossen in Der Santa Casa heiligen Registern. König. Und er ging frei herum? Großinquisitor. Das Seil, an dem Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar. König. Er war schon außer meines Reiches Grenzen. Großinquisitor. Wo er sein mochte, war ich auch. König (geht unwillig auf und nieder). Man wußte, In wessen Hand ich war – Warum versäumte man, Mich zu erinnern? Großinquisitor. Diese Frage geb' ich Zurücke – Warum fragten Sie nicht an, Da Sie in dieses Menschen Arm sich warfen? Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen Den Ketzer. – Was vermochte Sie, dies Opfer Dem heil'gen Amt zu unterschlagen? Spielt Man so mit uns? Wenn sich die Majestät Zur Hehlerin erniedrigt – hinter unserm Rücken Mit unsern schlimmsten Feinden sich versteht, Was wird mit uns? Darf Einer Gnade finden, Mit welchem Rechte wurden Hunderttausend Geopfert? König. Er ist auch geopfert. Großinquisitor. Nein, Er ist ermordet – ruhmlos! freventlich! – Das Blut, Das unsrer Ehre glorreich fließen sollte, Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt. Der Mensch war unser – Was befugte Sie, Des Ordens heil'ge Güter anzutasten? Durch uns zu sterben, war er da. Ihn schenkte Der Nothdurft dieses Zeitenlaufes Gott, In seines Geistes feierlicher Schändung Die prahlende Vernunft zur Schau zu führen. Das war mein überlegter Plan. Nun liegt Sie hingestreckt, die Arbeit vieler Jahre! Wir sind bestohlen, und Sie haben nichts Als blut'ge Hände. König. Leidenschaft riß mich Dahin. Vergib mir. Großinquisitor. Leidenschaft? – Antwortet Mir Philipp, der Infant? Bin ich allein Zum alten Mann geworden? – Leidenschaft! (Mit unwilligem Kopfschütteln.) Gibt die Gewissen frei in deinen Reichen, Wenn du in deinen Ketten gehst. König. Ich bin In diesen Dingen noch ein Neuling. Habe Geduld mit mir. Großinquisitor. Nein! Ich bin nicht mit Ihnen Zufrieden. – Ihren ganzen vorigen Regentenlauf zu lästern! Wo war damals Der Philipp, dessen feste Seele, wie Der Angelstern am Himmel, unverändert Und ewig um sich selber treibt? War eine ganze Vergangenheit versunken hinter Ihnen? War in dem Augenblick die Welt nicht mehr Die nämliche, da Sie die Hand ihm boten? Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut und Uebel Und Wahr und Falsch die Scheidewand gefallen? Was ist ein Vorsatz, was Beständigkeit, Was Männertreue, wenn in einer lauen Minute eine sechzigjähr'ge Regel Wie eines Weibes Laune schmilzt? König. Ich sah in seine Augen – Halte mir Den Rückfall in die Sterblichkeit zu gut. Die Welt hat einen Zugang weniger Zu deinem Herzen. Deine Augen sind erloschen. Großinquisitor. Was sollte Ihnen dieser Mensch? Was konnte Er Neues Ihnen vorzuzeigen haben, Worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen Sie Schwärmersinn und Neuerung so wenig? Der Weltverbeßrer prahlerische Sprache Klang Ihrem Ohr so ungewohnt? Wenn das Gebäude Ihrer Ueberzeugung schon Von Worten fällt – mit welcher Stirne, muß Ich fragen, schrieben Sie das Bluturtheil Der hunderttausend schwachen Seelen, die Den Holzstoß für nichts Schlimmeres bestiegen? König. Mich lüsterte nach einem Menschen. Diese Domingo – Großinquisitor. Wozu Menschen? Menschen sind Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich Die Elemente der Monarchenkunst Mit meinem grauen Schüler überhören? Der Erde Gott verlerne zu bedürfen, Was ihm verweigert werden kann. Wenn Sie Um Mitgefühle wimmern, haben Sie Der Welt nicht Ihresgleichen zugestanden? Und welche Rechte, möcht' ich wissen, haben Sie aufzuweisen über Ihresgleichen? König (wirft sich in den Sessel). Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühl's – Du forderst Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer leistet. Großinquisitor. Nein, Sire, mich hintergeht man nicht. Sie sind Durchschaut – uns wollten Sie entfliehen. Des Ordens schwere Ketten drückten Sie; Sie wollten frei und einzig sein. (Er hält inne. Der König schweigt.) Wir sind gerochen – Danken Sie der Kirche, Die sich begnügt, als Mutter Sie zu strafen. Die Wahl, die man Sie blindlings treffen la**en, War Ihre Züchtigung. Sie sind belehrt. Jetzt kehren Sie zu uns zurück – Stünd' ich Nicht jetzt vor Ihnen – beim lebend'gen Gott! – Sie wären morgen so vor mir gestanden. König. Nicht diese Sprache! Mäßige dich, Priester! Ich duld' es nicht. Ich kann in diesem Ton Nicht mit mir sprechen hören. Großinquisitor. Warum rufen Sie Den Schatten Samuels herauf? Ich gab Zwei Könige dem span'schen Thron und hoffte, Ein fest gegründet Werk zu hinterla**en. Verloren seh' ich meines Lebens Frucht, Don Philipp selbst erschüttert mein Gebäude. Und jetzo, Sire – Wozu bin ich gerufen? Was soll ich hier? – Ich bin nicht Willens, diesen Besuch zu wiederholen. König. Eine Arbeit noch, Die letzte – dann magst du in Frieden scheiden. Vorbei sei das Vergangne, Friede sei Geschlossen zwischen uns – Wir sind versöhnt? Großinquisitor. Wenn Philipp sich in Demuth beugt. König (nach einer Pause). Mein Sohn Sinnt auf Empörung. Großinquisitor. Was beschließen Sie? König. Nichts – oder Alles. Großinquisitor. Und was heißt hier Alles? König. Ich la**' ihn fliehen, wenn ich ihn Nicht sterben la**en kann. Großinquisitor. Nun, Sire? König. Kannst du mir einen neuen Glauben gründen, Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt? Großinquisitor. Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen, Starb an dem Holze Gottes Sohn. König. Du willst Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen? Großinquisitor. So weit, als man das Kreuz verehrt. König. Ich frevle An der Natur – auch diese mächt'ge Stimme Willst du zum Schweigen bringen? Großinquisitor. Vor dem Glauben Gilt keine Stimme der Natur. König. Ich lege Mein Richteramt in deine Hände. – Kann Ich ganz zurücke treten? Großinquisitor. Geben Sie Ihn mir. König. Es ist mein einz'ger Sohn – Wem hab' ich Gesammelt? Großinquisitor. Der Verwesung lieber, als Der Freiheit. König (steht auf). Wir sind einig. Kommt. Großinquisitor. Wohin? König. Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen. (Er führt ihn hinweg.) Zimmer der Königin. Letzter Auftritt. Carlos. Die Königin. Zuletzt der König mit Gefolge. Carlos (in einem Mönchsgewand, eine Maske vor dem Gesichte, die er eben jetzt abnimmt, unter dem Arm ein bloßes Schwert. Es ist ganz finster. Er nähert sich einer Thüre, welche geöffnet wird. Die Königin tritt heraus im Nachtkleide, mit einem brennenden Licht. Carlos läßt sich vor ihr auf ein Knie nieder). Elisabeth! Königin (mit stiller Wehmuth auf seinem Anblick verweilend). So sehen wir uns wieder? Carlos. So sehen wir uns wieder! (Stillschweigen.) Königin (sucht sich zu fa**en). Stehn Sie auf. Wir wollen Einander nicht erweichen, Carl. Nicht durch Ohnmächt'ge Thränen will der große Todte Gefeiert werden. Thränen mögen fließen Für kleinre Leiden! – Er hat sich geopfert Für Sie! Mit seinem theuern Leben Hat er das Ihrige erkauft – Und diese Blut Wär' einem Hirngespinst geflossen? – Carlos! Ich selber habe gut gesagt für Sie. Auf meine Bürgschaft schied er freudiger Von hinnen. Werden Sie zur Lügnerin Mich machen? Carlos (mit Begeisterung). Einen Leichenstein will ich Ihm setzen, wie noch keinem Könige Geworden – Ueber seiner Asche blühe Ein Paradies! Königin. So hab' ich Sie gewollt! Das war die große Meinung seines Todes! Mich wählte er zu seines letzten Willens Vollstreckerin. Ich mahne Sie. Ich werde Auf die Erfüllung dieses Eides halten. – Und noch ein anderes Vermächtnis legte Der Sterbende in meine Hand – Ich gab ihm Mein Wort – und – warum soll ich es verschweigen? Er übergab mir seinen Carl – Ich trotze Dem Schein – ich will vor Menschen nicht mehr zittern, Will einmal kühn sein, wie ein Freund. Mein Herz Soll reden. Tugend nannt' er unsre Liebe? Ich glaub' es ihm und will mein Herz nicht mehr – Carlos. Vollenden Sie nicht, Königin – Ich habe In einem langen, schweren Traum gelegen. Ich liebte – Jetzt bin ich erwacht. Vergessen Sei das Vergangne! Hier sind Ihre Briefe Zurück. Vernichten Sie die meinen. Fürchten Sie keine Wallung mehr von mir. Es ist Vorbei. Ein reiner Feuer hat mein Wesen Geläutert. Meine Leidenschaft wohnt in den Gräbern Der Todten. Keine sterbliche Begierde Theilt diesen Busen mehr. (Nach einem Stillschweigen ihre Hand fa**end.) Ich kam, um Abschied Zu nehmen – Mutter, endlich seh' ich ein, Es gibt ein höher, wünschenswerther Gut, Als dich besitzen – Eine kurze Nacht Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt, Frühzeitig mich zum Mann gereift. Ich habe Für dieses Leben keine Arbeit mehr, Als die Erinnerung an ihn! Vorbei Sind alle meine Ernten – (Er nähert sich der Königin, welche das Gesicht verhüllt.) Sagen Sie Mir gar nichts, Mutter? Königin. Kehren Sie sich nicht An meine Thränen, Carl – Ich kann nicht anders – Doch, glauben Sie mir, ich bewundre Sie. Carlos. Sie waren unsers Bundes einzige Vertraute – unter diesem Namen werden Wie auf der ganzen Welt das Theuerste Mit bleiben. Meine Freundschaft kann ich Ihnen So wenig, als noch gestern meine Liebe Verschenken an ein andres Weib – Doch heilig Sei mir die königliche Wittwe, führt Die Vorsicht mich auf diesen Thron. (Der König, begleitet vom Großinquisitor und seinen Granden, erscheint im Hintergrunde, ohne bemerkt zu werden.) Jetzt geh' ich Aus Spanien und sehe meinen Vater Nicht wieder – nie in diesem Leben wieder. Ich schätz' ihn nicht mehr. Ausgestorben ist In meinem Busen die Natur – Sei'n Sie Ihm wieder Gattin. Er hat einen Sohn Verloren. Treten Sie in Ihre Pflichten Zurück – Ich eile, mein bedrängtes Volk Zu retten von Tyrannenhand. Madrid Sieht nur als König oder nie mich wieder. Und jetzt zum letzten Lebewohl! (Er küßt sie.) Königin. O Carl! Was machen Sie aus mir? – Ich darf mich nicht Empor zu dieser Männergröße wagen; Doch fa**en und bewundern kann ich Sie. Carlos. Bin ich nicht stark, Elisabeth? Ich halte In meinen Armen Sie und wa*ke nicht. Von dieser Stelle hätten mich noch gestern Des nahen Todes Schrecken nicht gerissen. (Er verläßt sie.) Das ist vorbei. Jetzt trotz' ich jedem Schicksal Der Sterblichkeit. Ich hielt Sie in den Armen Und wa*kte nicht. – Still! Hörten Sie nicht etwas? (Eine Uhr schlägt.) Königin. Nichts hör' ich, als die fürchterliche Glocke, Die uns zur Trennung läutet. Carlos. Gute Nacht, denn, Mutter. Aus Gent empfangen Sie den ersten Brief Von mir, der das Geheimniß unsers Umgangs Laut machen soll. Ich gehe, mit Don Philipp Jetzt einen öffentlichen Gang zu thun. Von nun an, will ich, sei nichts Heimliches Mehr unter uns. Sie brauchen nicht das Auge Der Welt zu scheuen – Dies hier sei mein letzter Betrug. (Er will nach der Maske greifen. Der König steht zwischen ihnen.) König. Es ist dein letzter! (Die Königin fällt ohnmächtig nieder.) Carlos (eilt auf sie zu und empfängt sie mit den Armen). Ist sie todt? O Himmel und Erde! König (kalt und still zum Großinquisitor). Cardinal, ich habe Das Meinige gethan. Thun Sie das Ihre. (Er geht ab.)