[Intro]
Deswegen eine kleine Geschichte darüber, da** ich... naja, ich sach mal, momentan an mir selber feststelle, da** ich so langsam so bisschen spießig werde. Also ich bin jetzt so knapp über 30 und so langsam geht das los: ich hab so ein bisschen die Angst, da** ich in spätestens in einem Jahr ‘ne Multifunktionsjacke besitze, und ich glaube, ich bin nicht mehr weit davon entfernt, ich glaube, irgendwann morgen wache ich auf, und hab so'n Thermomix, und eigentlich kannst du mich einbuddeln, wahrscheinlich. Damit kann man ja, mit gewissen Maß an Selbstironie, auch immer schön umgehen, es gibt aber allerdings ein Phänomen, bei dem ich bis heute ein kleinen wenig überfordert bin, und das sind Pärchenabende! Das endet irgendwie immer im Chaos und am Ende stirbt einer. Ich weiß noch nicht woran es liegt, aber ich finde da nich so den richtigen Zugang für. Deswegen habe ich über dieses Phänomen eine kleine Geschichte geschrieben. Sie heißt: Der Racletteabend!
Das Treppenhaus einer Altbauwohnung im Dortmunder Süden, 3. Stock, an der Tür hängt ein Salzteigschild mit der Aufschrift: ”Hier leben, lieben, lachen und streiten Volker und Kerstin.”
Ich bin geneigt, zu brechen. Wir klopfen an der Tür. In meinem Kopf schweben lediglich zwei Gedanken: 1. ich ha**e mein Leben, 2. Vorurteile über Pärchenabende sind wie Gitarristen vorm Auftritt: sie stimmen!
[Exkursion]
Heute sind wir bei Volker und Kerstin beim Raclette eingeladen. Kerstin sieht aus, wie man sich eine Kerstin so vorstellt. Noch schlimmer: sie nennt ihren Mann: “Mein Menne”, was ich auf einer Stufe der Grausamkeit nur knapp unter “Völkermord” einstufen würde, in diesem Fall wohl eher Volker-Mord, aber für diesen Witz schäme ich mich selber. Sie ist eine, dieser Frauen, die sich irgendwann als Mid-40er-innen eine kesse lgelfrisur schneiden la**en wird, und sich dann lustige Blechschilder in die Wohnung hängt. Ich sehe die Bilder schon deutlich vor mir. Volker wiederum hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Reinhold Beckmann, sieht also irgendwie aus, wie eine Mischung aus ambitionierten Elternbeirat und belesenem Jazz-Fan. Einer dieser Menschen, die ihren Urlaub mit den Worten “Ich bin dann mal weg” ankündigen, und die sich selber als total verrückt oder positiv bekloppt bezeichnen, und dann ständig Sachen sagen, wie: “Stück mal ein Rück” oder “Alles Gute zum Wurzeltag”. Es ist ein einziger Alptraum, doch die Erfahrung hat mich vieles gelehrt: Menschen, die von sich behaupten, sie seien positiv bekloppt, sind meistens einfach nur negativ grenzdebil.
Wir klingeln. Kerstin öffnet die Tür. Sie strahlt über das ganze Gesicht und trägt eine kesse Igelfrisur. “Das ging schneller ,als gedacht”, denke ich und sehe auf das Deko-Blechschild im Flur: “Lebe jeden Tag, als wäre es dein Letzter”. “Schön wäre es”, denke ich, und möchte auf der Stelle sterben. Es war einmal eine meiner größten Ängste, irgendwann nur noch Pärchen im Bekanntenkreis zu haben. Gemeinsames kochen, geteilte Ferienwohnungen, Käsefondue… Die komplette Bandbreite. Das alles habe ich mir bis vor kurzer Zeit als unglaublich grausam vorgestellt. Aber ich war naiv und muss mein Urteil korrigieren: Es ist alles noch viel schlimmer!
Volker und Kerstin haben wir vor wenigen Wochen in der Krabbelgruppe kennengelernt. Dieser Satz klingt fast so grausam wie “Die beiden haben wir vor wenigen Wochen beim Bingo kennengelernt”, aber was soll man machen?
Ich hatte mir mein Leben früher auch irgendwie verruchter vorgestellt: Koks, Nutten, Spielhallenromantik, irgendwas muss aus dem Ruder gelaufen sein. Das Konzept “Krabbelgruppe” basiert ja auf dem Missverständnis, da** Menschen glauben, junge Eltern würden sich zwangsläufig nicht nur für die eigenen, sondern auch für andere Babys interessieren. Damit möchte ich aufräumen, das ist eine Lüge. Die eigenen Kinder empfindet man als faszinierend, empfindet nichts, außer bedingungsloser Liebe. Andere Kinder faszinieren mich ungefähr so viel, wie Brokkoli. Jetzt sind wir jedenfalls hier. Noch immer stehen wir in der Tür. Ich frage mich, warum Kerstin uns nicht längst rein gebeten hat. Wahrscheinlich, weil ich die ganze Zeit mitschreibe. Ich sehe auf die Fußmatte. “Schau mal”, sage ich zur Frau, “Da steht ‘Home' drauf!” Das ist in der Tat sehr praktisch, denn wie oft stehe ich bei mir zu Hause auf der Fußmatte und frag mich “Ja wo bin ich denn hier wieder gelandet?” Zu Hülf, zu Hülf, aber hier: klare Sache! Home!
Volker, a.k.a Reinhold Jazzy-Fizzel-Beckmann, steht nun auch in der Tür. “Hey, schön da** ihr da seid!” - “Geht so”, sage ich, während mir die Frau mahnend auf den Fuß tritt. Mein Blick schweift durch den Flur. Auf dem Schlüsselkasten steht das Wort “Keys”. “Das sind Freunde der klaren Zuweisung”, denke ich mir. Nicht, da** da einer Topfpflanzen rein stellen will! Inzwischen stehen wir im Wohnzimmer. Die ganze Wohnung sieht aus, als ob ein sehr dicker Mann eine komplette “Nanu Nana”-Filliale ausgekotzt hätte. Kerstin verschwindet kurz im Schlafzimmer, kommt dann aber umgehend wieder. “Hier, dein Geburtstagsgeschenk. Haben wir fast vergessen, alles Gute nachträglich”! Ich öffne das Paket und erblicke: eine Jochen Schweizer Box für Lebensdurstige. Wow! Schon morgen werde ich frustriert auf dem Boden kauern, mich nicht zwischen Jodelkurs und einer lustigen Segway-Tour entscheiden können. Am Ende überwiegt die Angst, da** all die Lebenslust mich furchtbar müde machen könnte. “Cool, danke”! Im Kopf gehe ich bereits durch, wie ich mich nächstes Jahr revangieren kann. Schwa*ke bisweilen zwischen einer einfachen Nackenschelle und einem Blumenstrauß aus Aspik-Wurst. Von weitem sehe ich auf eine Kollage mit Hochzeitsfotos. Volker und Kerstin erfüllen wirklich jedes Klischee. Die Braut hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten halbwegs rausgeputzt, aber Volker trägt Chucks zum Anzug. “So ein frecher Kerl”, denke ich, “einfach mal die Turnschuhe rausgeholt, der Lümmel”.
So fängt das an, und irgendwann wachst du auf, und bist Teil der R.A.F. “Was? Was hast du gesagt?” - “Nichts. Ihr seid super. Soll ich euch mal nen Witz erzählen? Haltet euch fest! Warum ist Beckmann noch draußen? Weil ihn niemand rein holt”. - “Gott war der schlecht. Aber wie kommst du jetzt auf Reinhold Beckmann?” Kerstin lacht. Ich ha**e Kerstin.
Plötzlich steht Volker wie euphorisiert auf. “Hey, ich habe eine tolle Idee: wie wäre es, wenn wir nächstes Jahr zusammen in den Urlaub fahren?” - “Heyyyyy, sage ich, ich habe auch eine tolle Idee: wie wäre es, wenn wir uns auf der Stelle erschießen?” - “Was hast du gesagt?” - “Nichts. Ihr... seid immer noch super. Aber, was mir gerade einfällt, wir müssen los, die Katze stirbt uns weg!” - “Ihr habt doch gar keine Katze…” - “Doch. Seit gestern.” - “Ach wie schön! Welche Ra**e denn?” - “Rollende Retriever.” - “Und wie heißt sie?” - “Reinhold.” - “Es ist wirklich besser, ihr geht jetzt”.
Vielen Dank!