Joey Bada$$ scheint nicht der einzige junge Rapper zu sein, der ein Faible für den Hip Hop der 90er hat und diesen als Inspiration für das eigene Schaffen nutzt: Kid Abstrakt (Jahrgang 1991) hat schon im Herbst 2011 ein Mixtape veröffentlicht, welches, ähnlich wie „1999“ von Joey Bada$$, bereits im Titel andeutet, worauf es sich bezieht. Diego Montoya, so der bürgerliche Name, widmet es der Frau aus „I Used To Love H.E.R.“, die Common 1994 als Metapher verwendete, um über die Geschichte des Hip Hop in den 80ern und frühen 90ern nachzudenken und sein persönliches Verhältnis zu Hip Hop als zwischenmenschliche Beziehung darzustellen („She was old school, when I was just a shorty/ Never knew throughout my life she would be there for me.“). Man ahnt bereits während des Hörens, da** hier nicht von einer realen Person die Rede ist, Gewissheit gibt dann spätestens die Schlusszeile, auf die vermutlich auch M. Night Shyamalan Stolz gewesen wäre: „Cause who I'm talking bout y'all is hip-hop.“ Die Abkürzung „H.E.R.“ steht dabei übrigens für „Hearing every rhyme“ oder „Hip Hop in its Essence is Real“.
Doch seitdem haben sich schon wieder fast zwei Jahrzehnte Hip Hop ereignet, außerdem war Kid Abstrakt gerade einmal drei Jahre alt, als Common diese Zeilen rappte, und hat dadurch natürlich einen völlig anderen Zugang zu Hip Hop. Doch obwohl sich einige der negativen Entwicklungen, die Common in seinem Song anprangert, nach 1994 noch verschärft haben (einige Pessimisten behaupten deshalb ja, da** der Hip Hop spätestens Ende der 90er seinen kreativen Zenit überschritten habe), ändert Kid Abstrakt die Vergangenheitsform im Titel des Originals in die positivere Aussage: „I Love H.E.R.“.
Pa**end dazu beginnt das Mixtape mit „Hip Hop Till Infinity“, was gleichzeitig auch die nächste Hommage an die 90er darstellt, da Kid Abstrakt das Instrumental des Kla**ikers „93 'til Infinity“ der Souls of Mischief verwendet („This is a cla**ic track right here but I had to get on it.“). Auch der Rest der Instrumentals kann mit diesem Kla**iker mithalten und verbreitet eine ähnlich jazzig-soulige Stimmung, zu den Highlights gehört hier das Vibraphon in „Jazz & Coffee“. Das R'n'B-beeinflusste „This is dope“ überzeugt durch eine schöne gesungene Hook im Refrain und stellt damit eine erfreuliche Ausnahme dar, gehören solche Hooks doch zu den Schwachstellen vieler Mixtape-Songs. Stattdessen bleibt das Niveau des Mixtapes konstant hoch, was vermutlich auch mit der Länge von nur 30 Minuten zusammenhängt.
Neben der Faszination für den Hip Hop der 90er eint Kid Abstrakt mit Joey Bada$$ und vielen weiteren aktuellen Newcomern im Hip Hop, da** er Teil eines Künstlerkollektivs, nämlich der R2-Gruppe (Revolutionary Rhythm) aus Los Angeles, ist. Auf deren Bandcamp-Seite kann man sich das Mixtape auch herunterladen und selbst bestimmen, ob/wie viel man dafür bezahlen möchte.