Nun nahen neue Wonnen!
Das Festival, es hat begonnen!
Herr und Frau Schmidt rücken ihre Brille sich zurecht
Und werfen sich in die Sessel, wie der Ritter ins Gefecht!
Schnell liest Frau Schmidt ihrem Mann noch aus dem Programmheft vor:
"Personen: Pasifal, Lohengrin, Tannhäuser, alle Tenor
Wolfram von Eschenbach und Wotan, beide Bariton
Ein Wagner-Gesamtdrama, neuinszeniert von Teutsch und Sohn!
Elisabeth, Sopran, alte Besetzung - na, 'n bisschen bla**
Heinrich der Vogler, deutscher Kaiser, Ba**!
Als Gäste singen auch Ausländer mit? Na schön und gut!
Aber gibt's denn hier bei uns nicht reichlich talentiertes Blut?
Doch der Gipfel - stell dir vor! - die Töchter des Rhein
Wallgunde und Woglinde scheinen Japanerinnen zu sein!
In weit'ren Rollen treten Handwerker und Bürger auf
Würzkrämer und Strumpfwirker kommen zuhauf
Seifensieder, Landsknechte und Volk sogar -
Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr, was es mal war!"
Es hebt der Vorhang sich, Herr Schmidt beruhigt die Gattin noch geschwind
Da** das Volk ja schließlich bloß die Statisten sind!
In holder Verschwendung verbeugt sich alsdann - tusch-tusch -
Am Dirigentenpult Professor Aldo Knitterbusch!
Nun tritt der Kaiser auf, spricht: "Ich hab' Euch herberufen heut'
Ihr Minnesänger, Meistersinger - jung gefreit hat nie bayreuth!
Wer das schönste Lied singt, kriegt meine Tochter Elisabeth!
Der Talentschuppen ist eröffnet - es gilt die Wett'!"
Die Sänger treten auf und wohlgeformte Töne
Streifen, Sehnsucht süß entfesselnd, ahnungsvoll die Schöne!
Frau Schmidt flüstert noch schnell: "Was hat die hinter uns im Kopf?
Wagt sich zu Wagner mit einem Mozartzopf!"
Derweil hat ein Unbekannter Elisabeths Neugierde geweckt
Dem stelle sie - "Woher kommst du?" - die Frage mit dem Krimi Effekt
Er sprach: "Nie hätt'st du mich befragen soll'n!
Jetzt muss ich fort von hier!
Mein Schwan geht um halb Vier!"
Beim Abschied sang er noch: "Dû bist mîn, ich bin dîn
Des solt dû gewisse sîn
Dû bist beslozzen in mînem herzen, verloren ist das slüzzelîn
Dû muost immer darinne sîn!"
Und Walter von der Vogelweide saß auf einem Stein
Und deckte, wie's sein Image will, Bein mit Bein
Er sang: "Under der linden, an der heiden!"
Doch dies' Lied mocht' Elisabeth nicht leiden!
Er räumte das Feld und ein Bettelmönch trat auf
Der hat den»Song von den törichten Jungfrauen«drauf
Es folgte mit dem»Rheingold-Hit«Alberich der Schlappe
Doch man zog ihm mit dem Nibelungenschwert eins über die Kappe!
Ein sächsischer Edler sprach zu Elisabeth: "Nu
Singn gannisch nisch, doch viel andres, drum graif zu!"
Als Frau Schmidt nach ihrem Gatten griff und flüsterte: "Papa!
Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr, was es mal war!"
Nicht nur, da** sie nun einen Teil einer Bonbonpackung herauskullern lässt
Frau Schmidt merkt's nichtmal und knistert vor Entrüstung mit dem Rest!
Das Parkett, sanft geneigt, nimmt sich der gefall'nen Kugeln an
Wo man das Gesetz der Schwere nun überdeutlich hören kann!
Ein Teil des Publikums jedoch denkt, es wär'
Ein surrealisticher Gag vom diesjährigen Regisseur
Denn da nicht jedes Kügelchen sofort absackt
Bleibt noch was übrig für den zweiten Akt!
Als im Mondschein eine Kapuzengestalt die Lüfte durchmisst
Sich vor Elisabeth niederlässt, schreit Frau Schmidt: "Huch, der Exorzist!"
"Es ist der Fliegende Holländer!", hat ihr Gatte klargestellt -
Der war's aber auch nicht, sondern Tannhäuser, der Held!
Als fahrender Sänger hatte er, dem Heimatland entfernt
Eine entartet-fremde Sprache gelernt
Also sang Tannhäuser: "Hello, Eliza
Call me Tann!" - das missfiel dem Kaiser!
Ausserdem war allen beim Vortrag seines Liedes klar
Da** Tannhäuser hoffnungslos heiser war
Erkältet habe er sich im verruchten Venusberg, gestand er zögernd ein
Der Kaiser sprach: "Was du da wagnerst, wirst du bereu'n!"
Doch flehend rief Elisabeth: "O Vater, schone ihn
Denn ich kann nicht ohne ihn!"
"Gut!", sprach der Kaiser, "Ich geb' ihm eine Frist!
Er komme wieder, wenn er nicht mehr heiser ist!"
Und im Finale ist Tannhäuser dann nicht mehr indisponiert
Denn Elisabeth hat ihn mit Brustwickeln kuriert!
Geläutert singen nun er und Elisabeth
Mit des Kaisers Segen, klar und rein, das Happy-End-Duett!
Und noch bevor der Vorhang fällt, hat sie ihn unverwandt
Angeblickt und zärtlich "Mein Tannemann!" genannt
Was die Beiden alsdann taten
Mögen Wagnerkenner raten!
Etwas später, im Hotel, sagt zu ihrem Mann Frau Schmidt:
"Hach, von Wagner nimmt man immer etwas mit!"
Und während warme Wagner-Wonnen in ihrem Innern wallen
Findet sie an ihrem Mann wehmütig-wildes Gefallen:
"Weißt du noch, Wolfhardt, als wir hier vor fünfunddreißig Jahren
Anlässlich uns'rer Hochzeitsreise»Die Götterdammerung«sahen?"
Doch sie hält inne - nimmt ihren matten Gatten wahr:
"Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr, was es mal war!"