Aesop - Der Fuchs und der Holzhacker (Kapitel 1-35) lyrics

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Aesop - Der Fuchs und der Holzhacker (Kapitel 1-35) lyrics

Der Fuchs und der Holzhacker Ein vor Jägern fliehender Fuchs fand, nachdem er lange in der Wildnis herumgelaufen war, endlich einen Holzhacker und bat denselben inständig, ihn doch bei sich zu verbergen. Dieser zeigte ihm seine Hütte, worauf der Fuchs hineinging und sich in einem Winkel versteckte. Als die Jäger kamen und sich bei dem Manne erkundigten, so versicherte dieser zwar durch Worte, er wisse nichts, deutete aber mit der Hand nach dem Orte hin, wo der Fuchs versteckt war. Allein die Jäger hatten nicht darauf geachtet und entfernten sich sogleich wieder. Wie nun der Fuchs sie fortgehen sah, ging er wieder heraus, ohne etwas zu sagen; und als der Holzhacker ihm Vorwürfe machte, daß er ihm, durch den er doch gerettet worden sei, keinen Dank bezeuge, drehte sich der Fuchs nochmals um und sprach: »Ich wüßte dir gerne Dank, wenn die Werke deiner Hand und deine Gesinnung mit deinen Reden im Einklange ständen.« Die Fabel geht diejenigen an, die zwar die Rechtschaffenheit im Munde führen, durch ihre Handlungen aber das Gegenteil an den Tag legen. Der Vogelsteller und die Schlange Ein Vogelsteller nahm Leim und Rohre und ging hinaus auf den Fang. Als er auf einem hohen Baume eine Drossel sitzen sah, befestigte er die Rohre der Länge nach aneinander und blickte in der Absicht, sie zu fangen, in die Höhe. Da trat er unvermerkt auf eine unter seinen Füßen liegende Schlange. Diese wurde zornig und biß ihn; er aber sagte noch im Verscheiden: »O ich Elender, während ich einen andern fangen wollte, bin ich selber von einem andern in den Tod gejagt worden.« Die Fabel lehrt, daß die, so ihren Nebenmenschen nachstellen, oft unversehens von andern das gleiche erfahren. Der wilde Hund Ein wilder Hund fror im Winter jämmerlich. Er kroch in eine Höhle, rollte sich zusammen, zitterte vor Kälte und sprach vor sich hin: »Wenn es nur wieder Sommer und warm wird, dann will ich mir eine Hütte bauen, damit ich im nächsten Winter nicht mehr frieren muß.« Als aber der Sommer mit seiner wohltuenden Wärme kam, hatte er seine guten Vorsätze vergessen. Er lag da, reckte und streckte sich, blinzelte behaglich in die Sonne und dachte nicht mehr daran, sich eine Hütte zu bauen. Der nächste Winter war bitter kalt, und der Hund mußte erfrieren. Der Adler und die Dohle Ein Adler stürzte sich hoch aus der Luft auf ein Lamm, faßte es mit seinen Krallen und trug es mit Leichtigkeit davon. Eine Dohle hatte dies mit angesehen, und da sie sich ebenso stark glaubte wie der Adler, flog sie auf einen Widder zu. Aber vergeblich bemühte sie sich, ihn fortzubringen, sie verwickelte sich in die Wolle und konnte nun auch nicht wieder davonfliegen. Als der Hirte sie zappeln sah, haschte er sie, beschnitt ihr die Flügel und nahm sie seinen Kindern zum Spielzeug mit. »Ei! Ei!« riefen hocherfreut die Knaben, »wie nennt man diesen Vogel?« »Vor einer Stunde noch«, antwortete der Vater, »hielt er sich für einen Adler, mußte aber bald einsehen, daß er nur eine elende Dohle ist.« Wage dich nicht an Dinge, die deine Kräfte übersteigen; es gibt sonst zum Schaden noch Spott. Der Ochsentreiber und Herkules Ein Ochsentreiber fuhr mit einem Wagen, welcher mit Holz schwer beladen war, nach Hause. Als der Wagen im Moraste steckenblieb, flehte sein Lenker, ohne sich selbst auch nur im geringsten zu bemühen, alle Götter und Göttinnen um Hilfe an. Vor allem bat er den wegen seiner Stärke allgemein verehrten Herkules, ihm beizustehen. Da soll ihm dieser erschienen sein und ihm seine Lässigkeit also vorgeworfen haben: »Lege die Hände an die Räder und treibe mit der Peitsche dein Gespann an, zu den Göttern flehe jedoch erst dann, wenn du selbst etwas getan hast; sonst wirst du sie vergeblich anrufen.« Der Esel auf Probe Ein Mann kaufte einen Esel, aber nicht gleich endgültig, sondern er machte eine Probezeit aus. Als er mit ihm in seinen Hof kam, wo schon mehrere Esel teils bei der Arbeit, teils bei der Abfütterung waren, ließ er ihn frei laufen. Sogleich trottete der neue zu dem faulsten und gefräßigsten Gefährten und stellte sich zu ihm an die Futterkrippe. Da legte ihm der Mann den Strick wieder um den Hals und brachte ihn dem bisherigen Besitzer zurück. »So schnell kannst du ihn doch gar nicht erprobt haben«, wunderte sich der. »O mir genügt, was ich gesehen und erfahren habe: Nach der Gesellschaft, die er sich ausgesucht hat, ist er ein übler Bursche!« Der Hund und das Schaf Man sagt, daß zur Zeit, als die Tiere noch sprechen konnten, das Schaf zu seinem Herrn geredet habe: »Du tust sonderbar daran, daß du uns, die wir dir Wolle, Käse und Lämmer schenken, nichts gibst, als was wir uns auf der Erde selbst suchen, dem Hunde aber, der dir nichts dergleichen gewährt, von jeder Speise mitteilst, die du selbst hast.« Als der Hund dies hörte, soll er gesagt haben: »Beim Jupiter, ich bin es ja, der dich und deine Gefährten bewacht, damit ihr nicht von Dieben gestohlen oder vom Wolfe zerrissen werdet. Denn ihr würdet, wenn ich euch nicht bewachte, nicht einmal in Ruhe weiden können.« Hierauf soll es auch das Schaf recht und billig gefunden haben, daß der Hund ihm vorgezogen wurde. Der Fuchs und der Storch Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gaste gebeten, und setzte die leckersten Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig fraß der Fuchs alles allein, obgleich er den Storch unaufhörlich bat, es sieh doch schmecken zu la**en. Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter, lobte außerordentlich die Bewirtung und bat seinen Freund auf den andern Tag zu Gaste. Der Fuchs mochte wohl ahnen, daß der Storch sich rächen wollte, und wies die Einladung ab. Der Storch ließ aber nicht nach, ihn zu bitten, und der Fuchs willigte endlich ein. Als er nun anderen Tages zum Storche kam, fand er alle möglichen Leckerbissen aufgetischt, aber nur in langhalsigen Geschirren. »Folge meinem Beispiele«, rief ihm der Storch zu, »tue, als wenn du zu Hause wärest.« Und er schlürfte mit seinem Schnabel ebenfalls alles allein, während der Fuchs zu seinem größten Ärger nur das Äußere der Geschirre belecken konnte und nur das Riechen hatte. Hungrig stand er vom Tische auf und gestand zu, daß ihn der Storch für seinen Mutwillen hinlänglich gestraft habe. Was du nicht willst, daß man dir tu', Das füg' auch keinem anderen zu. Rabe und Fuchs Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum und wollte dort seine Beute in Ruhe verzehren. Da es aber der Raben Art ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender Fuchs den Raben über dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu und begann den Raben zu loben: »O Rabe, was bist du für ein wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!« Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vorzusingen. Dabei entfiel ihm der Käse. Den nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte über den törichten Raben. Der Löwe und das Mäuschen Ein Mäuschen lief über einen schlafenden Löwen. Der Löwe erwachte und ergriff es mit seinen gewaltigen Tatzen. »Verzeihe mir«, flehte das Mäuschen, »meine Unvorsichtigkeit, und schenke mir mein Leben, ich will dir ewig dafür dankbar sein. Ich habe dich nicht stören wollen.« Großmütig schenkte er ihr die Freiheit und sagte lächelnd zu sich, wie will wohl ein Mäuschen einem Löwen dankbar sein. Kurze Zeit darauf hörte das Mäuschen in seinem Loche das fürchterliche Gebrüll eines Löwen, lief neugierig dahin, von wo der Schall kam, und fand ihren Wohltäter in einem Netze gefangen. Sogleich eilte sie herzu und zernagte einige Knoten des Netzes, so daß der Löwe mit seinen Tatzen das übrige zerreißen konnte. So vergalt das Mäuschen die ihm erwiesene Großmut. Selbst unbedeutende Menschen können bisweilen Wohltaten mit Wucher vergelten, darum behandle auch den Geringsten nicht übermütig. Der Hund und das Stück Fleisch Ein großer Hund hatte einem kleinen, schwächlichen Hündchen ein dickes Stück Fleisch abgejagt. Er brauste mit seiner Beute davon. Als er über eine schmale Brücke lief, fiel zufällig sein Blick ins Wa**er. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, denn er sah unter sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt. »Der kommt mir zur rechten Zeit«, sagte der Hund auf der Brücke, »heute habe ich wirklich Glück. Sein Stück Fleisch scheint noch größer zu sein als meins.« Gefräßig stürzte sich der Hund kopfüber in den Bach und biß nach dem Hund, den er von der Brücke aus gesehen hatte. Das Wa**er spritzte auf. Er ruderte wild im Bach umher und spähte hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte den Hund mit dem Stück Fleisch nicht mehr entdecken, er war verschwunden. Da fiel dem Hund sein soeben erbeutetes, eigenes Stück ein. Wo war es geblieben? Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Doch vergeblich, in seiner dummen Gier war ihm auch noch das Stück Fleisch verlorengegangen, das er schon sicher zwischen seinen Zähnen gehabt hatte. Der Wolf und der Kranich Ein Wolf hatte ein Schaf erbeutet und verschlang es so gierig, daß ihm ein Knochen im Rachen steckenblieb. In seiner Not setzte er demjenigen eine große Belohnung aus, der ihn von dieser Beschwerde befreien würde. Der Kranich kam als Helfer herbei; glücklich gelang ihm die Kur, und er forderte nun die wohlverdiente Belohnung. »Wie?« höhnte der Wolf, »du Unverschämter! Ist es dir nicht Belohnung genug, daß du deinen Kopf aus dem Rachen eines Wolfes wieder herausbrachtest? Gehe heim, und verdanke es meiner Milde, daß du noch lebest!« Hilf gern in der Not, erwarte aber keinen Dank von einem Bösewichte, sondern sei zufrieden, wenn er dich nicht beschädigt. Die beiden Hähne Von zwei Hähnen, welche um Hennen miteinander kämpften, behielt der eine die Oberhand über den andern. Der Überwundene zog sich zurück und verbarg sich an einem dunklen Orte; der Sieger aber flog aufwärts, stellte sich auf eine hohe Wand und krähte mit lauter Stimme. Da schoß jählings ein Adler herab und nahm ihn mit sich fort. Nunmehr kam der Versteckte ungehindert wieder aus seinem Verschlupf hervor und gesellte sich zu den Hennen. Zwei Frösche In einem außerordentlich heißen Sommer war ein tiefer Sumpf ausgetrocknet und die Frösche, die bisherigen Bewohner desselben, mußten sich nach einem andern Wohnort umsehen. Zwei derselben kamen auf ihrer Wanderschaft zu einem tiefen Brunnen, worin es noch Wa**er gab. »Ei! Sieh da!« rief der eine. »Warum wollen wir weitergehen? Laß uns hier hinunterhüpfen!« »Halt!« antwortete der andere, »das Hinunterkommen ist zwar ganz leicht, aber wenn auch der Brunnen eintrocknet, wie willst du dann wieder herauskommen?« Was dir heute nutzt, das kann dir morgen schaden, darum denke nach, bevor du handelst. Die Maus und der Frosch Eine Maus schloß zu ihrem Verderben mit einem Frosche Freundschaft und lud ihn zum Mahle ein. Der Frosch band den Fuß der Maus an seinen eigenen an, und so gingen sie zuerst zu einem Orte, wo viele Speisen vorhanden waren. Der Frosch stillte hier seinen Hunger und beschloß, die Maus, da er ihr gutes Leben beneidete, zu verderben. Als sie bald darauf an den Rand eines Sees kamen, zog er sie in das tiefe Wa**er. Die unglückliche Maus kam im Wa**er um und schwamm in demselben, an den Fuß des Frosches angebunden, umher; doch ein Taubenfalke erblickte die Maus und faßte sie mit seinen Krallen. Da sich der Frosch nicht losmachen konnte, entführte er ihn gleichfalls in die Luft, wo er zuerst die Maus und dann jenen selbst verspeiste. Auch ein Toter ist imstande, das an ihm begangene Unrecht zu rächen, denn die Gottheit, die alles erblickt, teilt jedem sein gerechtes Schicksal zu. Die Ziege und der Ziegenhirt Ein Ziegenhirt musterte seine Ziegen, bevor er sie austrieb. Eine derselben hatte es sich gut schmecken la**en und sehr viel gefressen. Sie ging daher langsamer als die andern und blieb zurück. Der Hirt ärgerte sich über ihre Langsamkeit, und da er nicht lange auf sie warten wollte, hob er einen Stein auf und warf nach ihr. Unglücklicherweise traf er das eine Horn, daß es abbrach. Kaum geschehen, bereute er seine Unvorsichtigkeit und bat die Ziege, doch ja nichts ihrem Herrn zu klagen. »Sei doch gescheit«, antwortete die Ziege, »wenn ich auch nichts davon sagen wollte, so würde doch das fehlende Horn dich anklagen.« Wo Taten sprechen, laßt sich das einmal Geschehene nicht verhehlen. Aesop Die Dohle und die Tauben Eine Dohle sah, was die Tauben in ihrem Verschlag für ein schönes Leben hatten. Da färbte sie sich weiß und ging zu ihnen, um es ebensogut zu haben. Solange sie sich nun ruhig verhielt, waren die Tauben der Meinung, sie sei eine ihresgleichen und duldeten sie. Eines Tages aber vergaß sie sich und machte den Schnabel auf, da erkannten sie die Stimme und jagten sie fort. Da der Dohle so im Taubenschlag die gute Kost entging, kehrte sie zu den Dohlen zurück. Sie erkannten sie aber nicht wegen der Farbe und duldeten sie auch bei sich nicht. So hatte sie nun zweierlei gewollt, aber weder das eine noch das andere erreicht. So müssen auch wir, was wir haben, uns genügen la**en und bedenken, daß die Habgier nichts nützt und uns das nimmt, was wir besitzen. Zwei Krebse »Geh doch gerade und vorwärts!« rief einem jungen Krebs seine Mutter zu. »Von Herzen gerne, liebe Mutter«, antwortete dieser, »nur möchte ich es dich ebenso machen sehen.« Jedoch vergeblich war der Mutter Anstrengung und sichtbar ihre Klügelei und Tadelsucht. Gib keine Befehle, die man nicht vollbringen kann, und tadle an andern keine Fehler, die du selbst begehst! Drei Stiere und der Löwe Drei Stiere schlossen miteinander ein Bündnis, jede Gefahr auf der Weide mit vereinten Kräften abzuwehren; so vereinigt, trotzten sie sogar dem Löwen, daß dieser sich nicht an sie wagte. Als ihn eines Tages der Hunger arg plagte, stiftete er Uneinigkeit unter ihnen. Sie trennten sich, und nach nicht acht Tagen hatte er alle drei, jeden einzeln, angegriffen und verzehrt. Eintracht gibt Stärke und Sicherheit, Zwietracht bringt Schwäche und Verderben. Der Hirt und der Wolf Ein Hirte, der einen erst kurz geworfenen jungen Wolf gefunden hatte, nahm ihn mit sich und zog ihn mit seinen Hunden auf. Als derselbe herangewachsen war, verfolgte er, sooft ein Wolf ein Schaf raubte, diesen auch zugleich mit den Hunden. Da aber die Hunde den Wolf zuweilen nicht einholen konnten und deshalb wieder umkehrten, so verfolgte ihn jener allein und nahm, wenn er ihn erreicht hatte, als Wolf ebenfalls teil an der Beute; hierauf kehrte er zurück. Wenn jedoch kein fremder Wolf ein Schaf raubte, so brachte er selbst heimlich eines um und verzehrte es gemeinschaftlich mit den Hunden, bis der Hirte, nach langem Hin- und Herraten das Geschehene inneward, ihn an einen Baum aufhängte und tötete. Die Fabel lehrt, daß die schlimme Natur keine gute Gemütsart aufkommen läßt. Der Hahn und der Diamant Ein hungriger Hahn scharrte auf einem Misthaufen nach Fruchtkörnern und fand einen Diamanten. Unmutig stieß er ihn beiseite und rief aus: »Was nützt einem Hungrigen ein kostbarer Stein; sein Besitz macht wohl reich, aber nicht satt. Wie gerne würde ich diesen Schatz um nur einige Gerstenkörner geben.« Das Stücklein Brot, das dich ernährt, ist mehr als Gold und Perlen wert. Die weiße Dohle Eine Dohle sah öfters zu, wie reichlich die Tauben auf einem Bauernhof gefuttert wurden. »Sie bekommen das Futter hingestreut«, dachte sie neidisch, »während ich es mühsam suchen muß. Ich will lieber eine Taube werden!« Was tat sie nun? Sie bemalte sich weiß vom Kopf bis zum Fuß, glättete ihr Gefieder und mischte sich unter den Taubenschwarm. Vergnügt pickte sie die Körner auf. Die Tauben ließen sie ruhig gewähren, denn keine vermutete, daß dies ein fremder Vogel sei. So ging das einige Tage – bis die Dohle so unklug war, ihren Schnabel aufzutun und ihr Gekrächze hören zu la**en. »Eine Dohle, eine verkleidete Dohle!« schrien die Tauben wütend, stürzten auf sie zu und hätten sie unbarmherzig totgebissen, wenn es ihr nicht gelungen wäre zu entfliehen. Reumütig kehrte die Dohle zu ihrer Sippe zurück. Jedoch die andern Dohlen erkannten sie nicht mehr in ihrem weißen Kleide. Bösartig hackten sie auf den fremden Vogel los. Sie duldeten nicht, daß er unter ihnen lebte. So wurde die weiße Dohle heimatlos und hatte es noch viel schwerer, sich ihre Nahrung zu suchen. Das Schilfrohr und der Ölbaum Über Stärke, Festigkeit und Ruhe stritten sich ein Schilfrohr und ein Ölbaum. Das Rohr, welches von dem Ölbaum darob getadelt ward, daß es aller Stärke entbehre und leicht von allen Winden hin und her bewegt werde, schwieg und sagte kein Wort. Nach einer kleinen Weile erhob sich ein heftiger Sturm; das hin und her geschüttelte Rohr hatte den Windstößen nachgegeben und blieb unbeschädigt, der Ölbaum dagegen, welcher sich den Winden entgegengestemmt hatte, wurde durch deren Gewalt gebrochen. Die Löwin und die Füchsin Eine Füchsin, die auf ihre Fruchtbarkeit stolz war, schalt eine Löwin, daß sie nur ein einziges Junges zur Welt brächte. Die Löwin antwortete ihr darauf: »Fürwahr, ich bringe nur eines zur Welt, aber dieses einzige ist ein Löwe.« Die Stiere und der Löwe Drei Stiere weideten miteinander. Ein Löwe wünschte sich dieselben zur Beute, trug aber wegen ihres Beisammenseins doch Bedenken; nachdem er sie jedoch durch Schmeichelreden an verschiedene Plätze gelockt hatte, fiel er die Vereinzelten Stück für Stück an und verzehrte sie ohne Gnade. Die Hasen und die Frösche Die Hasen klagten einst über ihre mißliche Lage; »wir leben«, sprach ein Redner, »in steter Furcht vor Menschen und Tieren, eine Beute der Hunde, der Adler, ja fast aller Raubtiere! Unsere stete Angst ist ärger als der Tod selbst. Auf, laßt uns ein für allemal sterben.« In einem nahen Teich wollten sie sich nun ersäufen; sie eilten ihm zu; allein das außerordentliche Getöse und ihre wunderbare Gestalt erschreckte eine Menge Frösche, die am Ufer saßen, so sehr, daß sie aufs schnellste untertauchten. »Halt«, rief nun eben dieser Sprecher, »wir wollen das Ersäufen noch ein wenig aufschieben, denn auch uns fürchten, wie ihr seht, einige Tiere, welche also wohl noch unglücklicher sein müssen als wir.« Laß dich nie durch's Unglück niederschlagen; es gibt immer noch Unglücklichere, mit deren Lage du nicht tauschen würdest. Die Fledermaus Eine Fledermaus fiel in das Gras. Sofort stürzte ein Wiesel auf sie zu und wollte sie verspeisen. »Ach!« piepste die Fledermaus in Todesangst. »Was willst du? – Was tust du? O la**e mich am Leben!« »Ich kann nicht, ich ha**e dich, weil ich alle Vögel ha**e«, fauchte das Wiesel. Die Fledermaus besann sich einen Augenblick. »Ich bin doch kein Vogel; ich kann die Vögel nicht leiden; ich bin doch eine Maus!« beteuerte sie. – Da schenkte ihr das Wiesel das Leben. Kurze Zeit nachher hatte die Fledermaus da**elbe Unglück. Wieder war ein Wiesel daran, ihr den Hals durchzubeißen. »Du sollst augenblicklich gefressen werden«, sagte es, »ich ha**e alle Mäuse und dich auch!« »Aber ich bin doch keine Maus, ich kann die Mäuse nicht leiden! Ich bin doch ein Vogel!« – beteuerte die Fledermaus. »Was du nicht sagst –, entschuldige!« antwortete das Wiesel. Und die Fledermaus kam wirklich wieder mit dem Leben davon. Der Haushahn und die Mägde Ein gutes, altes Hausmütterchen weckte ihre Mägde alle Morgen gewöhnlich mit dem ersten Hahnenschrei. Dies frühe Aufwecken und Aufstehen verdroß diese. »Wäre der verzweifelte Hahn nicht«, sagten sie, »so dürften wir auch länger schlafen«, und so drehten sie ihm den Hals um. Aber oft und viel wünschten sie ihn ins Leben zurück, weil sie von der Hausfrau, welche altershalber wenig schlief und ihre gewohnte Hausuhr, den Hahn, nicht mehr hatte, nun sogar um Mitternacht geweckt wurden. Man sucht oft kleinen Unannehmlichkeiten zu entgehen, und kommt in weit größere. Der Löwe mit anderen Tieren auf der Jagd Der Löwe, ein Schaf und andere Tiere gingen zusammen auf die Jagd. Der Löwe schwur, er wolle nach ihrer Zurückkunft alles Erbeutete mit ihnen redlich teilen. Als nun ein Hirsch in einem Sumpfe steckenblieb, wo gerade das Schaf Wache hielt, meldete dieses dem Löwen den Vorfall. Der Löwe eilte herbei, erwürgte den Hirsch und teilte die Beute in vier gleiche Teile. »Der erste Teil gehört mir«, sagte er nun zu den Umstehenden, »weil ich der Löwe bin; der zweite, weil ich der Herzhafteste unter euch bin; den dritten müßt ihr nür als dem Stärksten überla**en, und den werde ich auf der Stelle erwürgen, welcher mir den vierten abspricht.« So behielt der Löwe den ganzen Hirsch, ohne daß es seine Jagdgenossen auch nur wagen durften, darüber zu klagen. Mit einem starken Gewalttätigen gehe nicht gemeinschaftlich auf Geschäfte aus, er teilet immer zum Nachteil des Schwächeren. Der Esel, der Rabe und der Hirt Auf einer Wiese weidete ein Esel, der sich den Rücken wund geschunden hatte. Dies sah ein Rabe, flog auf den Esel zu, setzte sich auf dessen Rücken und fing an, mit dem Schnabel in das rohe Fleisch zu picken. Dies schmerzte den Esel sehr, und obgleich er sich bemühte, den lästigen Gast los zu werden, gelang es ihm nicht. Wenige Schritte davon lag sein Hüter, der mit einem Worte den Raben hätte vertreiben können. Der aber ergötzte sich an den tollen und possierlichen Sprüngen und Gesichtern, welche der Esel von Schmerz getrieben machte, und lachte laut dazu. »Oh!« rief der Esel aus, »jetzt fühle ich wirklich meine Schmerzen doppelt, weil mich auch der verlacht, der mir helfen könnte und sollte.« Statt Hilfe Hohn zum Schaden schmerzt doppelt. Der Frosch, die Ratte und die Weihe Ein Frosch stritt mit einer Ratte um einen Sumpf. Der Frosch behauptete, daß er ihn mit dem größten Rechte besitze; die Ratte hingegen, daß er ihr gehöre und daß der Frosch ihr denselben abtreten müsse. Dieser wollte aber nichts davon hören, und so gerieten sie bei diesem Streite hart aneinander. Wieviel besser hätten sie getan, wenn sie sich verglichen hätten; denn in der Hitze des Streites hatten sie nicht auf die Weihe geachtet, welche in der Ferne gelauert hatte, nun über die Kämpfer herfiel und beide zerriß. Wenn sich zwei Schwache zanken, so endigt oft ein dritter, Mächtigerer zu seinem Vorteil den Streit. Der Löwe und die Mücke Eine Mücke forderte mit den übermütigsten Worten einen Löwen zum Zweikampf heraus: »Ich fürchte dich nicht, du großes Ungeheuer«, rief sie ihm zu, »weil du gar keine Vorzüge vor mir hast; oder nenne sie mir, wenn du solche zu haben glaubst; etwa die, daß du deinen Raub mit Krallen zerreißest und mit Zähnen zermalmest? Jedes andere feige Tier, wenn es mit einem Tapfern kämpft, tut da**elbe, es beißt und kratzt. Du sollst aber empfinden, daß ich stärker bin als du!« Mit diesen Worten flog sie in eines seiner Nasenlöcher und stach ihn so sehr, daß er sich vor Schmerz selbst zerfleischte und sich für überwunden erklärte. Stolz auf diesen Sieg flog die Mücke davon, um ihn aller Welt auszuposaunen, übersah aber das Gewebe einer Spinne und verfing sich in demselben. Gierig umarmte die Spinne sie und sog ihr das Heldenblut aus. Sterbend empfand die Mücke ihre Nichtigkeit, indem sie, die Besiegerin des Löwen, einem so verächtlichen Tiere, einer Spinne, erliegen mußte. Der Hirsch und der Löwe Ein Hirsch, von einem Jäger bemerkt, flüchtete, geriet aber dabei in eine Höhle, in der zu seinem Unglück ein Löwe hauste. Diesem kam er gerade recht. Ohne weitere Umstände erwürgte er den Hirsch. »Oh!« rief dieser sterbend aus, »wie unglücklich sind wir, während wir dem einen Feind zu entrinnen suchen, laufen wir dem andern in die Arme.« In blinder Hast entgeht man oft einer Gefahr und kommt dabei in einer größeren um. Man muß vorne und hinten Augen haben. Der Esel und die Ziege Ein Bauer hatte einen Esel und eine Ziege. Weil nun der Esel sehr viel arbeiten und große Lasten tragen mußte, erhielt er ein reichlicheres und besseres Futter als die Ziege. Diese beneidete den Esel, und um ihn um die bessere Kost zu bringen, oder doch wenigstens ihm Schläge einzutragen, sprach sie eines Tages zu ihm: »Höre, lieber Freund! Oft schon habe ich dich von Herzen bedauert, daß du Tag für Tag die schwersten Lasten tragen und vom Morgen bis Abend arbeiten mußt; ich möchte dir wohl einen guten Rat geben.« »Warum nicht?« sagte der Esel, »ich bitte dich sogar darum!« »Nun, so höre: Wenn du an eine Grube kommst, so stürze dich hinein, stelle dich verletzt, und dann wirst du längere Zeit Ruhe haben und nichts arbeiten dürfen.« Dem Esel schien dies ein ganz guter Vorschlag, und kaum war er anderntags mit einer Last bei einer Grube angekommen, als er auch schon den Rat befolgte. Wie aus Zufall trat er fehl und stürzte hinein. Aber das hatte er sich nicht gedacht! Halb tot lag er da und daß er sich nicht ein Bein gebrochen, war ein Glück. Ganz geschunden wurde er herausgeholt und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Sein Herr hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Vieharzt zu schicken, der dann verordnete: der Kranke solle eine frische, pulverisierte Ziegenlunge einnehmen. Da dem Herrn der Esel mehr wert war als die Ziege, so ließ er diese sofort schlachten, um den Esel zu retten. So büßte die Ziege für ihren bösen Rat mit dem Leben. Die Folgen des Neides gereichen nicht selten dem Neider selbst zum Verderben. Die beiden Frösche Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne ausgetrocknet hatte, gingen auf die Wanderschaft. Gegen Abend kamen sie in die Kammer eines Bauernhofs und fanden dort eine große Schüssel Milch vor, die zum Abrahmen aufgestellt worden war. Sie hüpften sogleich hinein und ließen es sich schmecken. Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie wollten, konnten sie es nicht: die glatte Wand der Schüssel war nicht zu bezwingen, und sie rutschten immer wieder in die Milch zurück. Viele Stunden mühten sie sich nun vergeblich ab, und ihre Schenkel wurden allmählich immer matter. Da quakte der eine Frosch: »Alles Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist gegen uns, ich geb's auf!« Er machte keine Bewegung mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes und ertrank. Sein Gefährte aber kämpfte verzweifelt weiter bis tief in die Nacht hinein. Da fühlte er den ersten festen bu*terbrocken unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab und war im Freien.