Hanns Dieter Hüsch - Monotones Lied lyrics

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Hanns Dieter Hüsch - Monotones Lied lyrics

Jede Nacht um zwei Uhr aufsteh'n Und um halb drei in den Bus Der schon voll mit Arbeiterkollegen Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen Weil die Nacht sehr kurz sein muss Und der Bus der rumpelt durchs Gelände Von Marienbaum zur Hütte nach Rheinhausen Flaches Land und nirgendwo vier Wände Wiesen nehmen hier kein Ende Graues Licht kennt keine Pausen Halb sechs dann an Ort und Stelle Denn um sechs beginnt die Schicht Hacke, Schaufel, Schotter, neue Schwelle Noch ein Schlag - für alle Fälle Denn sonst hält die Schiene nicht Ausgekoffert, raus den Schotter Eins-zwei-drei und eins-zwei-drei Bisschen schneller, bisschen flotter Raus die Schwelle, rein den Schotter Nächste Strecke - Schiene frei Raus den Schotter, rein die Schwelle Bücken, schaufeln, hacken, kontrollieren Noch einmal dieselbe Stelle Rottenarbeiter sind schnelle Bis sie ihren Rücken spüren Und um zwei Uhr ist die Schicht zu Ende Dann um halb drei wieder in den Bus Müde Augen, aufgeriss'ne Hände Und drei Stunden nochmals durchs Gelände Kartenspiel und Fußballstuss Dann ein bisschen noch im Garten kramen Und den Kindern "Gute Nacht!" gesagt Lebenslänglich "Ja und Amen!" Ohne Glanz und ohne Namen Keiner, der nach seinen Träumen fragt Jede Nacht um zwei Uhr aufsteh'n Und um halb drei in den Bus Der schon voll mit Arbeiterkollegen Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen Weil die Nacht sehr kurz sein muss Da ist nichts mit Goethe und mit Schiller Feinem Geist ästhetischem Konfekt Keiner übt hier Tonleitern und Triller Niemand kennt hier Dürrenmatt und Miller Wenn man mal in dieser Mühle steckt Halb sechs dann an Ort und Stelle Denn um sechs beginnt die Schicht Hacke, Schaufel, Schotter, neue Schwelle Noch ein Schlag - für alle Fälle Denn sonst hält die Schiene nicht Das ist mir im Kopf geblieben Und aus dem Erinnerungsmüll Habe ich's jetzt aufgeschrieben Weil, und das ist gar nicht übertrieben Weil ich's nicht vergessen will Damals als ich nur für neunzig Tage So als Werkstudent bei Krupp und Thyssen Sah ich viele Menschen, die in dieser Lage Dort für immer und für alle Tage Dieses monotone Leben leben müssen Und um zwei Uhr ist die Schicht zu Ende Dann um halb drei wieder in den Bus Müde Augen, aufgeriss'ne Hände Und drei Stunden nochmal durchs Gelände Kartenspiel und Fußballstuss Dann ein bisschen noch am Fernsehkasten Rumgedreht und wieder ausgemacht Mit der Frau noch schnell besprochen Was die Kinder so am Tag verbrochen Und schon ist sie wieder rum die Nacht Jede Nacht um zwei Uhr aufsteh'n Und um halb drei in den Bus Der schon voll mit Arbeiterkollegen Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen Weil die Nacht sehr kurz sein muss Zugegeben diese vielen Zeilen Sind kein polyphones Kunstgedicht Doch die so an uns vorübereilen Aufgebracht, zermürbt und kaum zu heilen Guckt doch diesen Menschen einmal richtig ins Gesicht Guckt doch diesen Menschen einmal richtig ins Gesicht! Mehr will dieses Liedchen nicht Mehr will dieses Liedchen nicht!