Gotthold Ephraim Lessing - Nathan Der Weise - Kapitel 3 lyrics

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Gotthold Ephraim Lessing - Nathan Der Weise - Kapitel 3 lyrics

Dritter Aufzug Erster Auftritt (Szene: in Nathans Hause.) Recha und Daja. Recha. Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus? »Ich dürf' ihn jeden Augenblick erwarten?« Das klingt nicht wahr? als ob er noch so bald Erscheinen werde. Wieviel Augenblicke Sind aber schon vorbei! Ah nun: wer denkt An die verflossenen? Ich will allein In jedem nächsten Augenblicke leben. Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt. Daja. O der verwünschten Botschaft von dem Sultan! Denn Nathan hätte sicher ohne sie Ihn gleich mit hergebracht. Recha. Und wenn er nun Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn Nun meiner Wünsche wärmster, innigster Erfüllet ist: was dann? was dann? Daja. Was dann? Dann hoff ich, daß auch meiner Wünsche wärmster Soll in Erfüllung gehen. Recha. Was wird dann In meiner Brust an dessen Stelle treten, Die schon verlernt, ohn' einen herrschenden Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? Nichts? Ah, ich erschrecke! ... Daja. Mein, mein Wunsch wird dann An des erfüllten Stelle treten; meiner. Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen Zu wissen, welche deiner würdig sind. Recha. Du irrst. Was diesen Wunsch zu deinem macht, Das nämliche verhindert, daß er meiner Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland: Und meines, meines sollte mich nicht halten? Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen, Als die ich sehn, und greifen kann, und hören, Die Meinen? Daja. Sperre dich, soviel du willst! Des Himmels Wege sind des Himmels Wege. Und wenn es nun dein Retter selber wäre, Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in Das Land, dich zu dem Volke führen wollte, Für welche du geboren wurdest? Recha. Daja! Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja! Du hast doch wahrlich deine sonderbaren Begriffe! »Sein, sein Gott! für den er kämpft!« Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott, Der einem Menschen eignet? der für sich Muß kämpfen la**en? Und wie weiß Man denn, für welchen Erdkloß man geboren, Wenn man's für den nicht ist, auf welchem man Geboren? Wenn mein Vater dich so hörte! Was tat er dir, mir immer nur mein Glück So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln? Was tat er dir, den Samen der Vernunft, Den er so rein in meine Seele streute, Mit deines Landes Unkraut oder Blumen So gern zu mischen? Liebe, liebe Daja, Er will nun deine bunten Blumen nicht Auf meinem Boden! Und ich muß dir sagen, Ich selber fühle meinen Boden, wenn Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet, So ausgezehrt durch deine Blume; fühle In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte, Mich so betäubt, so schwindelnd! Dein Gehirn Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen. Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel, Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin Gemacht? Noch schäm ich mich vor meinem Vater Der Posse! Daja. Posse! Als ob der Verstand Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse! Wenn ich nur reden dürfte! Recha. Darfst du nicht? Wenn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten Nicht stets Bewunderung; und ihren Leiden Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube Schien freilich mir das Heldenmäßigste An ihnen nie. Doch so viel tröstender War mir die Lehre, daß Ergebenheit In Gott von unserm Wähnen über Gott So ganz und gar nicht abhängt. Liebe Daja, Das hat mein Vater uns so oft gesagt; Darüber hast du selbst mit ihm so oft Dich einverstanden: warum untergräbst Du denn allein, was du mit ihm zugleich Gebauet? Liebe Daja, das ist kein Gespräch, womit wir unserm Freund' am besten Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir, Mir liegt daran unendlich, ob auch er ... Horch, Daja! Kommt es nicht an unsre Türe? Wenn Er es wäre! horch! Zweiter Auftritt Recha. Daja und der Tempelherr, dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten: Nur hier herein! Recha (fährt zusammen, faßt sich und will ihm zu Füßen fallen). Er ist's! Mein Retter, ah! Tempelherr. Dies zu vermeiden Erschien ich bloß so spät: und doch Recha. Ich will Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne. Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig Als ihn der Wa**ereimer will, der bei Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen. Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der Ward nur so in die Glut hineingestoßen; Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm; Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen; Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide Herausschmiß aus der Glut. Was gibt es da Zu danken? In Europa treibt der Wein Zu noch weit andern Taten. Tempelherren, Die müssen einmal nun so handeln; müssen Wie etwas besser zugelernte Hunde, Sowohl aus Feuer, als aus Wa**er holen. Tempelherr (der sie mit Erstaunen und Unruhe die Zeit über betrachtet). O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken Des Kummers und der Galle, meine Laune Dich übel anließ, warum jede Torheit, Die meiner Zung' entfuhr, ihr hinterbringen? Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja! Doch wenn du nur von nun an besser mich Bei ihr vertreten willst. Daja. Ich denke, Ritter Ich denke nicht, daß diese kleinen Stacheln, Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr Geschadet haben. Recha. Wie? Ihr hattet Kummer? Und wart mit Euerm Kummer geiziger Als Euerm Leben? Tempelherr. Gutes, holdes Kind! Wie ist doch meine Seele zwischen Auge Und Ohr geteilt! Das war das Mädchen nicht, Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer Ich holte. Denn wer hätte die gekannt, Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte Auf mich gewartet? Zwar verstellt der Schreck. (Pause, unter der er, in Anschauung ihrer, sich wie verliert.) Recha. Ich aber find Euch noch den nämlichen. (Dergleichen; bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.) Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange Gewesen? Fast dürft' ich auch fragen: wo Ihr itzo seid? Tempelherr. Ich bin, wo ich vielleicht Nicht sollte sein. Recha. Wo Ihr gewesen? Auch Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen? Das ist nicht gut. Tempelherr. Auf auf wie heißt der Berg? Auf Sinai. Recha. Auf Sinai? Ah schön! Nun kann ich zuverlässig doch einmal Erfahren, ob es wahr ... Tempelherr. Was? was? Ob's wahr, Daß noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses Vor Gott gestanden, als ... Recha. Nun das wohl nicht. Denn wo er, stand, stand er vor Gott. Und davon Ist mir zur Gnüge schon bekannt. Ob's wahr, Möcht' ich nur gern von Euch erfahren, daß Daß es bei weitem nicht so mühsam sei, Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als Herab? Denn seht; soviel ich Berge noch Gestiegen bin, war's just das Gegenteil. Nun, Ritter? Was? Ihr kehrt Euch von mir ab? Wollt mich nicht sehn? Tempelherr. Weil ich Euch hören will. Recha. Weil Ihr mich nicht wollt merken la**en, daß Ihr meiner Einfalt lächelt; daß Ihr lächelt, Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers Von diesem heiligen Berg' aller Berge Zu fragen weiß? Nicht wahr? Tempelherr. So muß Ich doch Euch wieder in die Augen sehn. Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen, In zweifelhaften Mienen lesen will, Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich Mir sagt verschweigt? Ah Recha! Recha! Wie Hat er so wahr gesagt: »Kennt sie nur erst!« Recha. Wer hat? von wem? Euch das gesagt? Tempelherr. »Kennt sie Nur erst!« hat Euer Vater mir gesagt; Von Euch gesagt. Daja. Und ich nicht etwa auch? Ich denn nicht auch? Tempelherr. Allein wo ist er denn? Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch Beim Sultan? Recha. Ohne Zweifel. Tempelherr. Noch, noch da? O mich Vergeßlichen! Nein, nein; da ist Er schwerlich mehr. Er wird dort unten bei Dem Kloster meiner warten; ganz gewiß. So red'ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt! Ich geh, ich hol ihn ... Daja. Das ist meine Sache. Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich. Tempelherr. Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen; Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht ... wer weiß? ... Er könnte bei dem Sultan leicht,... Ihr kennt Den Sultan nicht! ... leicht in Verlegenheit Gekommen sein. Glaubt mir; es hat Gefahr, Wenn ich nicht geh. Recha. Gefahr? was für Gefahr? Tempelherr. Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich Nicht schleunig, schleunig geh.(Ab.) Dritter Auftritt Recha und Daja. Recha. Was ist das, Daja? So schnell? Was kömmt ihm an? Was fiel ihm auf? Was jagt ihn? Daja. Laßt nur, laßt. Ich denk, es ist Kein schlimmes Zeichen. Recha. Zeichen? und wovon? Daja. Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht, Und soll nicht überkochen. Laßt ihn nur. Nun ist's an Euch. Recha. Was ist an mir? Du wirst, Wie er, mir unbegreiflich. Daja. Bald nun könnt Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig. Recha. Wovon du sprichst, das magst du selber wissen. Daja. Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder? Recha. Das bin ich; ja das bin ich ... Daja. Wenigstens Gesteht, daß Ihr Euch seiner Unruh' freut; Und seiner Unruh' danket, was Ihr itzt Von Ruh' genießt. Recha. Mir völlig unbewußt! Denn was ich höchstens dir gestehen könnte, Wär', daß es mich mich selbst befremdet, wie Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen So eine Stille plötzlich folgen können. Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Ton Hat mich ... Daja. Gesättigt schon? Recha. Gesättigt, will Ich nun nicht sagen; nein bei weitem nicht Daja. Den heißen Hunger nur gestillt. Recha. Nun ja: Wenn du so willst. Daja. Ich eben nicht. Recha. Er wird Mir ewig wert; mir ewig werter, als Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt; Nicht mehr mein Herz, sooft ich an ihn denke, Geschwinder, stärker schlägt. Was schwatz ich? Komm, Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster, Das auf die Palmen sieht. Daja. So ist er doch Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger. Recha. Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn: Nicht ihn bloß untern Palmen. Daja. Diese Kälte Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur. Recha. Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe. Vierter Auftritt (Szene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.) Saladin und Sittah. Saladin (im Hereintreten, gegen die Türe). Hier bringt den Juden her, sobald er kömmt. Er scheint sich eben nicht zu übereilen. Sittah. Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich Zu finden. Saladin. Schwester! Schwester! Sittah. Tust du doch, Als stünde dir ein Treffen vor. Saladin. Und das Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen. Ich soll mich stellen; soll besorgen la**en; Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen. Wenn hätt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das Gelernt? Und soll das alles, ah, wozu? Wozu? Um Geld zu fischen; Geld! Um Geld, Geld einem Juden abzubangen; Geld! Zu solchen kleinen Listen wär' ich endlich Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir Zu schaffen? Sittah. Jede Kleinigkeit, zu sehr Verschmäht, die rächt sich, Bruder. Saladin. Leider wahr. Und wenn nun dieser Jude gar der gute, Vernünft'ge Mann ist, wie der Derwisch dir Ihn ehedem beschrieben? Sittah. O nun dann! Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt Ja nur dem geizigen, besorglichen, Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht Dem weisen Manne. Dieser ist ja so Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen, Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred't; Mit welcher dreisten Stärk' entweder er Die Stricke kurz zerreißet; oder auch Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast Du obendrein. Saladin. Nun, das ist wahr. Gewiß; Ich freue mich darauf. Sittah. So kann dich ja Auch weiter nichts verlegen machen. Denn Ist's einer aus der Menge bloß; ist's bloß Ein Jude, wie ein Jude: gegen den Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen, Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr; Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm Als Geck, als Narr. Saladin. So muß ich ja wohl gar Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht Schlecht denke? Sittah. Traun! wenn du schlecht handeln nennst, Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen. Saladin. Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er Nicht zu beschönen wüßte! Sittah. Zu beschönen! Saladin. Das feine, spitze Ding, besorg ich nur, In meiner plumpen Hand zerbricht! So was Will ausgeführt sein, wie's erfunden ist: Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. Doch, Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann; Und könnt' es freilich lieber schlechter noch Als besser. Sittah. Trau dir auch nur nicht zu wenig! Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. Daß uns die Männer deinesgleichen doch So gern bereden möchten, nur ihr Schwert, Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht. Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit Dem Fuchse jagt: des Fuchses, nicht der List. Saladin. Und daß die Weiber doch so gern den Mann Zu sich herunter hätten! Geh nur, geh! Ich glaube meine Lektion zu können. Sittah. Was? ich soll gehn? Saladin. Du wolltest doch nicht bleiben? Sittah. Wenn auch nicht bleiben ... im Gesicht euch bleiben Doch hier im Nebenzimmer Saladin. Da zu horchen? Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn. Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kömmt! doch daß Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach. (Indem sie sich durch eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.) Fünfter Auftritt Saladin und Nathan. Saladin. Tritt näher, Jude! Näher! Nur ganz her! Nur ohne Furcht! Nathan . Die bleibe deinem Feinde! Saladin. Du nennst dich Nathan? Nathan. Ja. Saladin. Den weisen Nathan? Nathan. Nein. Saladin. Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk. Nathan. Kann sein; das Volk! Saladin. Du glaubst doch nicht, daß ich Verächtlich von des Volkes Stimme denke? Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen, Den es den Weisen nennt. Nathan. Und wenn es ihn Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vorteil gut versteht? Saladin. Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch? Nathan. Dann freilich wär' der Eigennützigste Der Klügste. Dann wär' freilich klug und weise Nur eins. Saladin. Ich höre dich erweisen, was Du widersprechen willst. Des Menschen wahre Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du. Hast du zu kennen wenigstens gesucht; Hast drüber nachgedacht: das auch allein Macht schon den Weisen. Nathan. Der sich jeder dünkt Zu sein. Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! Denn sie nur immerdar zu hören, wo Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. (Er springt auf.) Laß uns zur Sache kommen! Aber, aber Aufrichtig, Jud', aufrichtig! Nathan. Sultan, ich Will sicherlich dich so bedienen, daß Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe. Saladin. Bedienen? wie? Nathan. Du sollst das Beste haben Von allem; sollst es um den billigsten Preis haben. Saladin. Wovon sprichst du? doch wohl nicht Von deinen Waren? Schachern wird mit dir Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!) Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun. Nathan. So wirst du ohne Zweifel wissen wollen, Was ich auf meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings sich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen? Wenn ich unverhohlen ... Saladin. Auch darauf bin ich eben nicht mit dir Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel Ich nötig habe. Kurz-, Nathan. Gebiete, Sultan. Saladin. Ich heische deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm. Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet? Nathan. Sultan, Ich bin ein Jud'. Saladin. Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. Wohlan! so teile deine Einsicht mir Dann mit. Laß mich die Gründe hören, denen Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit Gehabt. Laß mich die Wahl, die diese Gründe Bestimmt, versteht sich, im Vertrauen wissen, Damit ich sie zu meiner mache. Wie? Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? Kann Wohl sein, daß ich der erste Sultan bin, Der eine solche Grille hat; die mich Doch eines Sultans eben nicht so ganz Unwürdig dünkt. Nicht wahr? So rede doch! Sprich! Oder willst du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir. (Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen; Will hören, ob ich's recht gemacht. ) Denk nach. Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück- Zukommen. (Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.) Sechster Auftritt Nathan allein. Hm! hm! – wunderlich! – Wie ist Mir denn? Was will der Sultan? was? Ich bin Auf Geld gefaßt; und er will Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, so bar, so blank, als ob Die Wahrheit Münze wäre! ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! Das ginge noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er? Doch wie? Sollt' er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? Zwar, Zwar der Verdacht, daß er die Wahrheit nur Als Falle brauche, wär' auch gar zu klein! Zu klein? Was ist für einen Großen denn Zu klein? Gewiß, gewiß: er stürzte mit Der Türe so ins Haus! Man pocht doch, hört Doch erst, wenn man als Freund sich naht. Ich muß Behutsam gehn! Und wie? wie das? So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft' er mich nur fragen, Warum kein Muselmann? Das war's! Das kann Mich retten! Nicht die Kinder bloß, speist man Mit Märchen ab. Er kommt. Er komme nur! Siebenter Auftritt Saladin und Nathan. Saladin. (So ist das Feld hier rein!) Ich komm dir doch Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande Mit deiner Überlegung. Nun so rede! Es hört uns keine Seele. Nathan. Möcht' auch doch Die ganze Welt uns hören. Saladin. So gewiß Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! für sie alles auf das Spiel Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut! Nathan. Ja! Ja! wann's nötig ist und nutzt. Saladin. Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt und des Gesetzes, Mit Recht zu führen. Nathan. Traun, ein schöner Titel! Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue, Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu Erzählen? Saladin. Warum das nicht? Ich bin stets Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut Erzählt. Nathan. Ja, gut erzählen, das ist nun Wohl eben meine Sache nicht. Saladin. Schon wieder So stolz bescheiden? Mach! erzähl, erzähle! Nathan. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Daß ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring Von seinen Söhnen dem geliebtesten; Und setzte fest, daß dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. Versteh mich, Sultan. Saladin. Ich versteh dich. Weiter! Nathan. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, sowie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergießend Herz Die andern zwei nicht teilten, würdiger Des Ringes; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, solang es ging. Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort Verla**en, so zu kränken. Was zu tun? Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen, Und seinen Ring, und stirbt. Du hörst doch, Sultan? Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt). Ich hör, ich höre! Komm mit deinem Märchen Nur bald zu Ende. Wird's? Nathan. Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet) Fast so unerweislich, als Uns itzt der rechte Glaube. Saladin. Wie? das soll Die Antwort sein auf meine Frage? ... Nathan. Soll Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. Saladin. Die Ringe! Spiele nicht mit mir! Ich dächte, Daß die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank! Nathan. Und nur von seiten ihrer Gründe nicht. Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! Und Geschichte muß doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden? Nicht? Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir sind? doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war? Wie kann ich meinen Vätern weniger Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. Kann ich von dir verlangen, daß du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? Saladin. (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muß verstummen.) Nathan. Laß auf unsre Ring' Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben. Wie auch wahr! Nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Genießen. Wie nicht minder wahr! Der Vater, Beteurt' jeder, könne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnen la**': eh' müss' er seine Brüder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verräter Schon auszufinden wissen; sich schon rächen. Saladin. Und nun, der Richter? Mich verlangt zu hören, Was du den Richter sagen lässest. Sprich! Nathan. Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel Zu lösen da bin? Oder harret ihr, Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! Nun; wen lieben zwei Von Euch am meisten? Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurück? und nicht Nach außen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten? Oh, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. Saladin. Herrlich! herrlich! Nathan. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur! Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. Möglich; daß der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden willen! Und gewiß; Daß er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen. Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen. Geht! So sagte der Bescheidne Richter. Saladin. Gott! Gott! Nathan. Saladin, Wenn du dich fühlest, dieser weisere Versprochne Mann zu sein: ... Saladin (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren läßt). Ich Staub? Ich Nichts? O Gott! Nathan. Was ist dir, Sultan? Saladin. Nathan, lieber Nathan! Die tausend tausend Jahre deines Richters Sind noch nicht um. Sein Richterstuhl ist nicht Der meine. Geh! Geh! Aber sei mein Freund. Nathan. Und weiter hätte Saladin mir nichts Zu sagen? Saladin. Nichts. Nathan. Nichts? Saladin. Gar nichts. Und warum? Nathan. Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht, Dir eine Bitte vorzutragen. Saladin. Braucht's Gelegenheit zu einer Bitte? Rede! Nathan. Ich komm von einer weiten Reis', auf welcher Ich Schulden eingetrieben. Fast hab ich Des baren Gelds zuviel. Die Zeit beginnt Bedenklich wiederum zu werden; und Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht, weil doch Ein naher Krieg des Geldes immer mehr Erfordert, etwas brauchen könntest. Saladin (ihm steif in die Augen sehend). Nathan! Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon Bei dir gewesen; will nicht untersuchen, Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses Erbieten freierdings zu tun: ... Nathan. Ein Argwohn? Saladin. Ich bin ihn wert. Verzeih mir! Denn was hilft's? Ich muß dir nur gestehen, daß ich im Begriffe war Nathan. Doch nicht, das Nämliche An mich zu suchen? Saladin. Allerdings. Nathan. So wär' Uns beiden ja geholfen! Daß ich aber Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken, Das macht der junge Tempelherr. Du kennst Ihn ja. Ihm hab ich eine große Post Vorher noch zu bezahlen. Saladin. Tempelherr? Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht Mit deinem Geld auch unterstützen wollen? Nathan. Ich spreche von dem einen nur, dem du Das Leben spartest ... Saladin. Ah! woran erinnerst Du mich! Hab ich doch diesen Jüngling ganz Vergessen! Kennst du ihn? Wo ist er? Nathan. Wie? So weißt du nicht, wieviel von deiner Gnade Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet. Saladin. Er? Hat er das? Ha! darnach sah er aus. Das hätte traun mein Bruder auch getan, Dem er so ähnelt! Ist er denn noch hier? So bring ihn her! Ich habe meiner Schwester Von diesem ihren Bruder, den sie nicht Gekannt, so viel erzählet, daß ich sie Sein Ebenbild doch auch muß sehen la**en! Geh, hol ihn! Wie aus einer guten Tat, Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft, Doch so viel andre gute Taten fließen! Geh, hol ihn! Nathan (indem er Saladins Hand fahren läßt). Augenblicks! Und bei dem andern Bleibt es doch auch? (Ab.) Saladin. Ah! daß ich meine Schwester Nicht horchen la**en! Zu ihr! zu ihr! Denn Wie soll ich alles das ihr nun erzählen? (Ab von der andern Seite.) Achter Auftritt Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet. Tempelherr (geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab; bis er losbricht). Hier hält das Opfertier ermüdet still. Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen, Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern, Was vorgehn wird. Genug, ich bin umsonst Geflohn! umsonst. Und weiter konnt' ich doch Auch nichts, als fliehn! Nun komm', was kommen soll! Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell Gefallen; unter den zu kommen, ich So lang und viel mich weigerte. Sie sehn, Die ich zu sehn so wenig lüstern war, Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus Den Augen nie zu la**en. Was Entschluß? Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt', Ich litte bloß. Sie sehn, und das Gefühl An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein, War eins. Bleibt eins. Von ihr getrennt Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär' Mein Tod, und wo wir immer nach dem Tode Noch sind, auch da mein Tod. Ist das nun Liebe: So liebt der Tempelritter freilich, liebt Der Christ das Judenmädchen freilich. Hm! Was tut's? Ich hab in dem gelobten Lande, Und drum auch mir gelobt auf immerdar! Der Vorurteile mehr schon abgelegt. Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot, Der mich zu Saladins Gefangnen machte. Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär' Mein alter? Ist ein neuer; der von allem Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward, Was jenen band. Und ist ein beßrer; für Den väterlichen Himmel mehr gemacht. Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn Ich so zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht Von ihm mir vorgelegen. Märchen? doch Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr Zu straucheln laufe, wo er fiel. Er fiel? Ich will mit Männern lieber fallen, als Mit Kindern stehn. Sein Beispiel bürget mir Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall Liegt mir denn sonst? An Nathans? O an dessen Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir Noch weniger gebrechen. Welch ein Jude! Und der so ganz nur Jude scheinen will! Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude. Wer kam vom Saladin je anders? He! He, Nathan! Neunter Auftritt Nathan und der Tempelherr. Nathan. Wie? seid Ihr's? Tempelherr. Ihr habt Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten. Nathan. So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn Zu viel verweilt. Ah, wahrlich, Curd; der Mann Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind Nur sagen ... Tempelherr. Was? Nathan. Er will Euch sprechen; will, Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn Erst etwas anders zu verfügen habe: Und dann, so gehn wir! Tempelherr. Nathan, Euer Haus Betret ich wieder eher nicht ... Nathan. So seid Ihr doch indes schon da gewesen? habt Indes sie doch gesprochen? Nun? Sagt: wie Gefällt Euch Recha? Tempelherr. Über allen Ausdruck! Allein, sie wiedersehn das werd ich nie! Nie! nie! Ihr müßtet mir zur Stelle denn Versprechen: daß ich sie auf immer, immer Soll können sehn. Nathan. Wie wollt Ihr, daß ich das Versteh? Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend). Mein Vater! Nathan. J unger Mann! Tempelherr (ihn ebenso plötzlich wieder la**end). Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Nathan. Lieber junger Mann! Tempelherr. Nicht Sohn? Ich bitt Euch, Nathan! Ich beschwör Euch bei den ersten Banden der Natur! Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! Stoßt mich Nicht von Euch! Nathan. Lieber, lieber Freund! ... Tempelherr. Und Sohn? Sohn nicht? Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte? Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen, Auf Euern Wink nur beide warteten? Ihr schweigt? Nathan. Ihr überrascht mich, junger Ritter. Tempelherr. Ich überrasch Euch? überrasch Euch, Nathan, Mit Euern eigenen Gedanken? Ihr Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? Ich überrasch Euch? Nathan. Eh' ich einmal weiß, Was für ein Stauffen Euer Vater denn Gewesen ist! Tempelherr. Was sagt Ihr, Nathan? was? In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts Als Neubegier? Nathan. Denn seht! Ich habe selbst Wohl einen Stauffen ehedem gekannt, Der Conrad hieß. Tempelherr. Nun, wenn mein Vater denn Nun ebenso geheißen hätte? Nathan. Wahrlich? Tempelherr. Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd Ist Conrad. Nathan. Nun so war mein Conrad doch Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war, Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt. Tempelherr. O darum! Nathan. Wie? Tempelherr. O darum könnt' er doch Mein Vater wohl gewesen sein. Nathan. Ihr scherzt. Tempelherr. Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau! Was wär's Denn nun? So was von ba*tard oder Bankert! Der Schlag ist auch nicht zu verachten. Doch Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe. Ich will Euch Eurer wiederum entla**en. Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte! Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham Hinauf belegen. Und von da so weiter, Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören. Nathan. Ihr werdet bitter. Doch verdien ich's? Schlug Ich denn Euch schon was ab? Ich will Euch ja Nur bei dem Worte nicht den Augenblick So fa**en. Weiter nichts. Tempelherr. Gewiß? Nichts weiter? O so vergebt! ... Nathan. Nun kommt nur, kommt! Tempelherr. Wohin? Nein! Mit in Euer Haus? Das nicht! das nicht! Da brennt's! Ich will Euch hier erwarten. Geht! Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie Schon viel zu viel ... Nathan. Ich will mich möglichst eilen. Zehnter Auftritt Der Tempelherr und bald darauf Daja. Tempelherr. Schon mehr als g'nug! Des Menschen Hirn faßt so Unendlich viel; und ist doch manchmal auch So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit So plötzlich voll! Taugt nichts, taugt nichts; es sei Auch voll wovon es will. Doch nur Geduld! Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht Und Ordnung kommen wieder. Lieb ich denn Zum ersten Male? Oder war, was ich Als Liebe kenne, Liebe nicht? Ist Liebe Nur was ich itzt empfinde? ... Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen). Ritter! Ritter! Tempelherr. Wer ruft? Ha, Daja, Ihr? Daja. Ich habe mich Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. Drum kommt Doch näher zu mir, hinter diesen Baum. Tempelherr. Was gibt's denn? So geheimnisvoll? Was ist's? Daja. Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes. Das eine weiß nur ich; das andre wißt Nur Ihr. Wie wär' es, wenn wir tauschten? Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch Das meine. Tempelherr. Mit Vergnügen. Wenn ich nur Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch Das wird aus Euerm wohl erhellen. Fangt Nur immer an. Daja. Ei denkt doch! Nein, Herr Ritter. Erst Ihr; ich folge. Denn versichert, mein Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn Ich nicht zuvor das Eure habe. Nur Geschwind! Denn frag ich's Euch erst ab: so habt Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid Ihr los. Doch armer Ritter! Daß Ihr Männer Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben Zu können, auch nur glaubt! . Tempelherr. Das wir zu haben Oft selbst nicht wissen. Daja. Kann wohl sein. Drum muß Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt Zu machen, schon die Freundschaft haben. Sagt Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns So sitzenließet? daß Ihr nun mit Nathan Nicht wiederkommt? Hat Recha denn so wenig Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel? So viel! so viel! Lehrt Ihr des armen Vogels, Der an der Rute klebt, Geflattre mich Doch kennen! Kurz: gesteht es mir nur gleich, Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und Ich sag Euch was ... Tempelherr. Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr Versteht Euch trefflich drauf. Daja. Nun gebt mir nur Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch Erla**en. Tempelherr. Weil er sich von selbst versteht? Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ... Daja. Scheint freilich wenig Sinn zu haben. Doch Zuweilen ist des Sinns in einer Sache Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge Von selbst nicht leicht betreten würde. Tempelherr. Das So feierlich? (Und setz ich statt des Heilands Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht? ) Ihr macht Mich neubegieriger, als ich wohl sonst Zu sein gewohnt bin. Daja. Oh! das ist das Land Der Wunder! Tempelherr. (Nun! des Wunderbaren. Kann Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt Drängt sich ja hier zusammen.) Liebe Daja, Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt: Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife, Wie ohne sie ich leben werde; daß ... Daja. Gewiß? gewiß? So schwört mir, Ritter, sie Zur Eurigen zu machen; sie zu retten: Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten. Tempelherr. Und wie? Wie kann ich? Kann ich schwören, was In meiner Macht nicht steht? Daja. In Eurer Macht Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort In Eure Macht. Tempelherr. Daß selbst der Vater nichts Dawider hätte? Daja. Ei, was Vater! Vater! Der Vater soll schon müssen. Tempelherr. Müssen, Daja? Noch ist er unter Räuber nicht gefallen. Er muß nicht müssen. Daja. Nun, so muß er wollen; Muß gern am Ende wollen. Tempelherr. Muß und gern! Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen Bereits versucht? Daja. Was? und er fiel nicht ein? Tempelherr. Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich Beleidigte. Daja. Was sagt Ihr? Wie? Ihr hättet Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha Ihm blicken la**en: und er wär' vor Freuden Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten Gemacht? Tempelherr. So ungefähr. Daja. So will ich denn Mich länger keinen Augenblick bedenken (Pause.) Tempelherr. Und Ihr bedenkt Euch doch? Daja. Der Mann ist sonst So gut! Ich selber bin so viel ihm schuldig! Daß er doch gar nicht hören will! Gott weiß, Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen. Tempelherr. Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt, Gut oder böse, schändlich oder löblich Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, daß Ihr etwas zu verschweigen habt. Daja. Das sp**nt, Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha Ist keine Jüdin; ist ist eine Christin. Tempelherr (kalt). So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern: Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt! Daja. Wie, Ritter? Verdienet meine Nachricht diesen Spott? Daß Recha eine Christin ist: das freuet Euch, einen Christen, einen Tempelherrn, Der Ihr sie liebt, nicht mehr? Tempelherr. Besonders, da Sie eine Christin ist von Eurer Mache. Daja. Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! Nein! Den will ich sehn, der die bekehren soll! Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden Verdorben ist. Tempelherr. Erklärt Euch, oder geht! Daja. Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern Geboren; ist getauft ... Tempelherr (hastig). Und Nathan? Daja. Nicht Ihr Vater! Tempelherr. Nathan nicht ihr Vater? Wißt Ihr, was Ihr sagt? Daja. Die Wahrheit, die so oft Mich blut'ge Tränen weinen machen. Nein, Er ist ihr Vater nicht ... Tempelherr. Und hätte sie Als seine Tochter nur erzogen? hätte Das Christenkind als eine Jüdin sich Erzogen? Daja. Ganz gewiß. Tempelherr. Sie wüßte nicht, Was sie geboren sei? Sie hätt' es nie Von ihm erfahren, daß sie eine Christin Geboren sei, und keine Jüdin? Daja. Nie! Tempelherr. Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch In diesem Wahne? Daja. Leider! Tempelherr. Nathan Wie? Der weise gute Nathan hätte sich Erlaubt, die Stimme der Natur so zu Verfälschen? Die Ergießung eines Herzens So zu verrenken, die, sich selbst gela**en, Ganz andre Wege nehmen würde? Daja, Ihr habt mir allerdings etwas vertraut Von Wichtigkeit, was Folgen haben kann, Was mich verwirrt, worauf ich gleich nicht weiß, Was mir zu tun. Drum laßt mir Zeit. Drum geht! Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht' Uns überfallen. Geht! Daja. Ich wär' des Todes! Tempelherr. Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan Schon finden würden. Daja. Aber laßt Euch ja Nichts merken gegen ihn. Das soll nur so Den letzten Druck dem Dinge geben; soll Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur Benehmen! Wenn Ihr aber dann sie nach Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht Zurück? Tempelherr. Das wird sich finden. Geht nur, geht!