Georg Christoph Lichtenberg - Sudelbuch B Jocoseria (1768 - 1771) lyrics

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Georg Christoph Lichtenberg - Sudelbuch B Jocoseria (1768 - 1771) lyrics

Er hatte zu nichts Appetit und aß doch von allem. [B 3] Der Pöbel wünscht sich Gold und Chargen und würde sich betrogen finden wenn er sie hätte. Unter den Großen ist es nun auch Mode geworden, die Quelle und den Strohsack dem Bauern zu beneiden, mancher würde sich auch in diesem Zustand betrogen finden. Der Dichter versteht aber ein Ideal wird man sagen, wer weiß aber ob nicht der Bauer sich den Zustand des Großen auch idealisiert. [B 6] Mich dünkt immer die ganz schlechten Schriftsteller sollte man immer in den gelehrten Zeitungen ungeahndet la**en, die gelehrten Zeitungsschreiber verfallen in den Fehler der Indianer die den Orang-Outang für ihresgleichen, und seine natürliche Stummheit für einen Eigensinn halten, von welchem sie ihn durch häufige Prügel vergeblich abzubringen suchen. [B 12] Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Ta**e Kaffee mit einer Pfeife Varinas. [B 15] Beobachtungen zur Erläuterung der Geschichte des Geists dieses Jahrhunderts. Die Geschichte eines Jahrhunderts ist aus den Geschichten der einzelnen Jahre zusammengesetzt. Den Geist eines Jahrhunderts zu schildern kann man nicht die Geister der hundert einzelnen Jahre zusammenflicken, unterdessen ist es dem der ihn entwerfen will allemal nützlich auch die letzteren zu kennen, sie können ihm immer neue Punkte darbieten seine steten Linien dadurch zu ziehen. [B 18] Unsere neuen Kritiker preisen uns im Stil die edle und ungekünstelte Einfalt an, ohne uns durch ihr Beispiel auf diese edle Einfalt zu führen, alles was sie zu sagen wissen ist daß sie uns auf die Alten verweisen. In der Tat eine Art zu verfahren die nicht anders als gefährlich sein kann. Nicht jeder der edel einfältig schreiben soll kann die Alten lesen, dieses wäre in der Tat zu viel verlangt, von dem aber der eine solche Forderung tut kann man mit Recht mehr verlangen. Ermuß sich erklären. Der meiste Teil der Menschen deren Stil getadelt worden ist, als nicht simpel genug, hat wenn er schrieb immer eine gewisse Spannung bei sich verspürt, eine gewisse Aufmerksamkeit nichts zudringen zu la**en, was schlecht wäre, nun wollen sie ganz edel und schlechtweg schreiben, la**en von dieser Spannung nach und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel und edel simpel schreiben erfordert vielleicht die größte Spannung der Kräfte, weil in einer allgemeinen Bestrebung unserer Seelenkräfte, gefallen zu wollen, sich nichts so leicht einschleicht als das Gesuchte, es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu erfordert die Dinge in der Welt zu betrachten, die eher das Werk eines nicht sehr belesenen schönen Geistes als eines Studiums des Altertums ist. Wenigstens glaube ich, soll man nie die Einfalt aus anderen Schriften zuerst kennen lernen wollen. Wer so viel Latein versteht, daß er den Horaz ohne Anstand lesen kann, und er gefällt ihm wirklich nicht bloß in einigen Sentenzen, sondern auch weiter, und spürt, daß trotz einer oft überraschenden Schönheit dennoch sein Gefühl immer mit dem Horazischen gleich geht, der kann hernach den Horaz zu seinem Unterricht lesen, er wird was in ihm Schönes liegt alsdann noch mehr entwickeln. Wer aber gehört hat Horaz sei schön, liest ihn ohne ihn wirklich seiner Empfindung harmonisch zu finden, merkt sich einige Züge und ahmt ihn nach, der muß entweder ein sehr feiner Betrüger sein, oder es wird allemal unglücklich ausfallen. Ein solcher Schriftsteller wird allemal glauben er habe ihn übertroffen, so oft er eine Zeile niederschreibt, und dieses zwar deswegen, weil er die Schönheiten des Horaz als absolut für sich bestehend ansieht und nicht bedenkt, daß sie in einer gewissen Verhältnis mit der menschlichen Natur stehen die er nicht kennt, also nicht weiß wo der Punkt ist, unter welchem keine Schönheit, und über welchem keine Simplizität mehr stattfindet. [B 20] Der Pöbel ruiniert sich durch das Fleisch, das wider den Geist, und der Gelehrte durch den Geist, dem zu sehr wider den Leib gelüstet. [B 21] Jeder Mensch hat auch seine moralische backside, die er nicht ohne Not zeigt, und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt. [B 74] In dem Hause, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und die Stimmung jeder Stufe einer alten hölzernen Treppe gelernt, und zugleich den Takt, in welchem sie jeder meiner Freunde, der zu mir wollte, schlug, und, ich muß gestehen, ich bebte allemal, wenn sie von einem Paar Füßen in einem mir unbekannten Ton heraufgespielt wurden. [B 75] Charakter einer mir bekannten Person. Ihr Körper ist so beschaffen, daß ihn auch ein schlechter Zeichner im Dunkeln besser zeichnen würde, und stünde es in ihrem Vermögen, ihn zu ändern, so würde sie manchen Teilen weniger Relief geben. Mit seiner Gesundheit ist dieser Mensch, ohnerachtet sie nicht die beste ist, doch noch immer so ziemlich zufrieden gewesen, er hat die Gabe, sich gesunde Tage zu Nutze zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft, seine treuste Gefährtin verläßt ihn alsdann nie, er steht hinter dem Fenster den Kopf zwischen die zwo Hände gestützt, und wenn der Vorbeigehende nichts als den melancholischen Kopfhenker sieht, so tut er sich oft das stille Bekenntnis, daß er im Vergnügen wieder ausgeschweift hat. Er hat nur wenige Freunde, eigentlich ist sein Herz nur immer für einen Gegenwärtigen, aber für mehrere Abwesende offen, seine Gefälligkeit macht daß viele glauben er sei ihr Freund, er dient ihnen auch aus Ehrgeiz, Menschenliebe, aber nicht aus dem Trieb der ihn zum Dienst seiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er nur ein oder zweimal, das einemal nicht unglücklich, das anderemal aber glücklich, er gewann bloß durch Munterkeit und Leichtsinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird aber Munterkeit und Leichtsinn beständig als Eigenschaften seiner Seele verehren, die ihm die vergnügtesten Stunden seines Lebens verschafft haben, und könnte er sich noch ein Leben und noch eine Seele wählen, so wüßteich nicht ob er andere wählen würde, wenn er die seinigen noch einmal wiederhaben könnte. Von der Religion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 90. Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können. Ehe denn die Berge worden pp ist für ihn unendlich mehr als: Sing unsterbliche Seele pp. Er weiß nicht was er mehr haßt, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben. Für Assembleen sind sein Körper und seine Kleider selten gut, und seine Gesinnungen selten.... genug gewesen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartuffeln, Äpfel, Brod und auch etwas Wein, hofft er nie zu kommen, in beiden Fällen würde er unglücklich sein, er ist noch allzeit krank geworden, wenn er einige Tage außer diesen Grenzen gelebt hat. Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft es wird ihm nie an Büchern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht daß er an alles mit so vieler Gela**enheit denken könnte, und hofft sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war. [B 77] Der Mann zu sein, der so absolut in Deutschland herrschen könnte wie ich auf meinem Schreibtische, wünsche ich mir nie, ich würde gewiß nur Tintenfässer umwerfen, und durch Aufräumen die Sachen nur noch mehr verwirren. [B 81] Der Mensch kommt unter allen Tieren in der Welt dem Affen am nächsten. [B 103] Das Ding von dessen Augen und Ohren wir nichts und von dessen Nase und Kopfe wir nur sehr wenig sehen, kurz unser Körper. [B 105] Der Vignettenstecher muß sich allzeit doch nach großen und erhabenen Mustern bilden, denn das Nachlässige muß das Ausruhen einer mächtigen Hand, und nicht die mühsame Nachlässigkeit einer ungeübten sein. [B 107] Er hatte seine Bibliothek verwachsen, so wie man eine Weste verwächst. Bibliotheken können überhaupt der Seele zu enge und zu weit werden. [B 108] Einteilung. Ich teile mir das Publikum so ein, Leute die gar keine Besoldung und auch keine fixe Einnahmen haben, arme Teufel, Leute die unter 5 hundert Taler Besoldung oder bestimmte Einnahmen haben, Leute die über 5 hundert Taler haben, Leute die in die Tausende kommen, oder von Consequence sind. Dieses sind die 4 Kla**en in der natürlichen Ordnung, wo die 4. die größte ist. Ich deklariere also feierlichst im Angesicht dieser Messe, daß ich nie etwas in meinen Schriften gegen die 4. Kla**e, ja nicht einmal gegen die 3. geredet oder gedacht habe, sondern daß ich auch niemals etwas weder reden noch denken werde was dieser ehrwürdigen Kla**e entgegenlaufen könne. Die 2. Kla**e versichere ich meiner Freundschaft als Mitgenossen, allein die erste Kla**e! Sehet da das Feld für einen deutschen Satyrenschreiber, unübersehbar; arme Teufel gibt es überall, und wird vermutlich welche geben so lange die Welt stehen wird. [B 133] Was haben Sie hier? - Kompaß, um durch die Welt zu reisen. Wie, in einem Beutel? - Ja, es sind 50 Louisdor bar und Wechsel auf ein paar Tausend andere. [B 181] Wenn uns ein Engel einmal aus seiner Philosophie erzählte, ich glaube, es müßten wohl manche Sätze so klingen als wie: 2 mal 2 ist 13. [B 238] Es wäre nicht gut, wenn die Selbstmörder oft mit der eigentlichen Sprache ihre Gründe erzählen könnten; so aber reduziert sie sich jeder Hörer auf seine eigene Sprache and entkräftet sie nicht sowohl dadurch, als macht ganz andere Dinge daraus. Einen Menschen recht zu verstehen, müßte man zuweilen der nämliche Mensch sein, den man verstehen will. Wer versteht, was Gedankensystem ist, wird nur Beifall geben. Öfters allein zu sein und über sich selbst zu denken und seine Welt aus sich zu machen, kann uns großes Vergnügen gewähren, aber wir arbeiten auf diese Art unvermerkt an einer Philosophie, nach welcher der Selbstmord billig und erlaubt ist. Es ist daher gut, sich durch ein Mädchen oder einen Freund wieder an die Welt anzuhaken, um nicht ganz abzufallen. [B 258] Wer nich verständlick spreckt, mot lyden, dat het dann De Leser nich verstaht, und düdet als he kann. [B 307] Nun Liebster Ihre Hand. - - Ihren Mund - so, nächstens mehr. Leben Sie wohl. [B 343] Es kann nicht alles ganz richtig sein in der Welt, weil die Menschen noch mit Betrügereien regiert werden müssen. [B 381] Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun. [B 383]