Friedrich Schiller - Wilhelm Tell - Kapitel 9 lyrics

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Friedrich Schiller - Wilhelm Tell - Kapitel 9 lyrics

Dritter Aufzug Erste Szene Hof vor Tells Hause. Tell ist mit der Zimmeraxt, Hedwig mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Walther und Wilhelm in der Tiefe spielen mit einer kleinen Armbrust. Walther singt: Mit dem Pfeil, dem Bogen, Durch Gebirg und Tal Kommt der Schütz gezogen Früh am Morgenstrahl. Wie im Reich der Lüfte König ist der Weih – Durch Gebirg und Klüfte Herrscht der Schütze frei. Ihm gehört das Weite Was sein Pfeil erreicht, Das ist seine Beute, Was da kreucht und fleugt. Kommt gesprungen. Der Strang ist mir entzwei. Mach mir ihn Vater. Tell: Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst. Knaben entfernen sich. Hedwig: Die Knaben fangen zeitig an zu schiessen. Tell: Früh übt sich, was ein Meister werden will. Hedwig: Ach wollte Gott, sie lernten's nie! Tell: Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben Sich frisch will schlagen, muss zu Schutz und Trutz Gerüstet sein. Hedwig: Ach, es wird keiner seine Ruh Zu Hause finden. Tell: Mutter, ich kann's auch nicht, Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet, Rastlos muss ich ein flüchtig Ziel verfolgen, Dann erst geniess ich meines Lebens recht, Wenn ich mir's jeden Tag aufs neu erbeute. Hedwig: Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht, Die sich indessen, deiner wartend, härmt, Denn mich erfüllt's mit Grausen, was die Knechte Von euren Wagefahrten sich erzählen. Bei jedem Abschied zittert mir das Herz, Da** du mir nimmer werdest wiederkehren. Ich sehe dich im wilden Eisgebirg, Verirrt, von einer Klippe zu der andern Den Fehlsprung tun, seh wie die Gemse dich Rückspringend mit sich in den Abgrund reisst, Wie eine Windlawine dich verschüttet, Wie unter dir der trügerische Firn Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig Begrabner, in die schauerliche Gruft – Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht Der Tod in hundert wechselnden Gestalten, Das ist ein unglückseliges Gewerb, Das halsgefährlich führt am Abgrund hin! Tell: Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen, Auf Gott vertraut und die gelenke Kraft, Der ringt sich leicht aus jeder Fahr und Not, Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren. Er hat seine Arbeit vollendet, legt das Gerät hinweg. Jetzt, mein ich, hält das Tor auf Jahr und Tag. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann. Nimmt den Hut. Hedwig: Wo gehst du hin? Tell: Nach Altdorf, zu dem Vater. Hedwig: Sinnst du auch nichts Gefährliches? Gesteh mir's. Tell: Wie kommst du darauf Frau? Hedwig: Es spinnt sich etwas Gegen die Vögte – Auf dem Rütli ward Getagt, ich weiss, und du bist auch im Bunde. Tell: Ich war nicht mit dabei – doch werd ich mich Dem Lande nicht entziehen, wenn es ruft. Hedwig: Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist, Das Schwerste wird dein Anteil sein, wie immer. Tell: Ein jeder wird besteuert nach Vermögen. Hedwig: Den Unterwaldner hast du auch im Sturme Über den See geschafft – Ein Wunder war's, Da** ihr entkommen – Dachtest du denn gar nicht An Kind und Weib? Tell: Lieb Weib, ich dacht' an euch, Drum rettet' ich den Vater seinen Kindern. Hedwig: Zu schiffen in dem wüt'gen See! Das heisst Nicht Gott vertrauen! Das heisst Gott versuchen. Tell: Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten. Hedwig: Ja du bist gut und hilfreich, dienest allen, Und wenn du selbst in Not kommst, hilft dir keiner. Tell: Verhüt es Gott, da** ich nicht Hülfe brauche. Er nimmt die Armbrust und Pfeile. Hedwig: Was willst du mit der Armbrust? La** sie hier. Tell: Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt. Die Knaben kommen zurück. Walther: Vater, wo gehst du hin? Tell: Nach Altdorf, Knabe, Zum Ehni – Willst du mit? Walther: Ja freilich will ich. Hedwig: Der Landvogt ist jetzt dort. Bleib weg von Altdorf. Tell: Er geht, noch heute. Hedwig: Drum la**t ihn erst fort sein. Gemahn ihn nicht an dich, du weisst, er grollt uns. Tell: Mir soll sein böser Wille nicht viel schaden, Ich tue recht und scheue keinen Feind. Hedwig: Die recht tun, eben die ha**t er am meisten. Tell: Weil er nicht an sie kommen kann – Mich wird Der Ritter wohl in Frieden la**en, mein ich. Hedwig: So, weisst du das? Tell: Es ist nicht lange her, Da ging ich jagen durch die wilden Gründe Des Schächentals auf menschenleerer Spur, Und da ich einsam einen Felsensteig Verfolgte, wo nicht auszuweichen war, Denn über mir hing schroff die Felswand her, Und unten rauschte fürchterlich der Schächen, Die Knaben drängen sich rechts und links an ihn und sehen mit gespannter Neugier an ihm hinauf: Da kam der Landvogt gegen mich daher, Er ganz allein mit mir, der auch allein war, Bloss Mensch zu Mensch und neben uns der Abgrund. Und als der Herre mein ansichtig ward, Und mich erkannte, den er kurz zuvor Um kleiner Ursach willen schwer gebüsst, Und sah mich mit dem stattlichen Gewehr Dahergeschritten kommen, da verbla**t' er, Die Knie versagten ihm, ich sah es kommen, Da** er jetzt an die Felswand würde sinken. – Da jammerte mich sein, ich trat zu ihm Bescheidentlich und sprach: »Ich bin's, Herr Landvogt.« Er aber konnte keinen armen Laut Aus seinem Munde geben – Mit der Hand nur Winkt' er mir schweigend, meines Wegs zu gehn, Da ging ich fort, und sandt ihm sein Gefolge. Hedwig: Er hat vor dir gezittert – Wehe dir! Da** du ihn schwach gesehn, vergibt er nie. Tell: Drum meid ich ihn, und er wird mich nicht suchen. Hedwig: Bleib heute nur dort weg. Geh lieber jagen. Tell: Was fällt dir ein? Hedwig: Mich ängstigt's. Bleibe weg. Tell: Wie kannst du dich so ohne Ursach quälen? Hedwig: Weil's keine Ursach hat – Tell, bleibe hier. Tell: Ich hab's versprochen, liebes Weib, zu kommen. Hedwig: Musst du, so geh – Nur la**e mir den Knaben! Walther: Nein, Mütterchen. Ich gehe mit dem Vater. Hedwig: Wälti, verla**en willst du deine Mutter? Walther: Ich bring dir auch was Hübsches mit vom Ehni. Geht mit dem Vater. Wilhelm: Mutter, ich bleibe bei dir! Hedwig umarmt ihn: Ja, du bist Mein liebes Kind, du bleibst mir noch allein! Sie geht an das Hoftor und folgt den Abgehenden lange mit den Augen.