Friedrich Schiller - Wilhelm Tell - Kapitel 6 lyrics

Published

0 142 0

Friedrich Schiller - Wilhelm Tell - Kapitel 6 lyrics

Zweiter Aufzug Erste Szene Edelhof des Freiherrn von Attinghausen. Ein gotischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert. Der Freiherr, ein Greis von fünfundachtzig Jahren, von hoher edler Statur, an einem Stabe worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams gekleidet. Kuoni und noch sechs Knechte stehen um ihn her mit Rechen und Sensen. Ulrich von Rudenz tritt ein in Ritterkleidung. Rudenz: Hier bin ich Oheim – Was ist Euer Wille? Attinghausen: Erlaubt, da** ich nach altem Hausgebrauch Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten teile. Er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht. Sonst war ich selber mit in Feld und Wald, Mit meinem Auge ihren Fleiss regierend, Wie sie mein Banner führte in der Schlacht, Jetzt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen, Und kommt die warme Sonne nicht zu mir, Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen. Und so in enger stets und engerm Kreis, Beweg ich mich dem engesten und letzten, Wo alles Leben stillsteht, langsam zu, Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Name. Kuoni zu Rudenz mit dem Becher: Ich bring's Euch, Junker. Da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen: Trinket frisch! Es geht Aus einem Becher und aus einem Herzen. Attinghausen: Geht Kinder, und wenn's Feierabend ist, Dann reden wir auch von des Lands Geschäften. Knechte gehen ab. Attinghausen und Rudenz Attinghausen: Ich sehe dich gegürtet und gerüstet, Du willst nach Altdorf in die Herrenburg? Rudenz: Ja Oheim, und ich darf nicht länger säumen – Attinghausen setzt sich: Hast du's so eilig? Wie? Ist deiner Jugend Die Zeit so karg gemessen, da** du sie An deinem alten Oheim musst ersparen? Rudenz: Ich sehe, da** Ihr meiner nicht bedürft, Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause. Attinghausen hat ihn lange mit den Augen gemustert: Ja leider bist du's. Leider ist die Heimat Zur Fremde dir geworden! – Uli! Uli! Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du, Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau, Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern, Den Landsmann blickst du mit Verachtung an, Und schämst dich seiner traulichen Begrüssung. Rudenz: Die Ehr, die ihm gebührt, geb ich ihm gern, Das Recht, das er sich nimmt, verweigr ich ihm. Attinghausen: Das ganze Land liegt unterm schweren Zorn Des Königs – Jedes Biedermannes Herz Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt Die wir erdulden – Dich allein rührt nicht Der allgemeine Schmerz – Dich siehet man Abtrünnig von den Deinen auf der Seite Des Landesfeindes stehen, unsrer Not Hohnsprechend nach der leichten Freude jagen, Und buhlen um die Fürstengunst, indes Dein Vaterland von schwerer Geissel blutet. Rudenz: Das Land ist schwer bedrängt – Warum, mein Oheim? Wer ist's, der es gestürzt in diese Not? Es kostete ein einzig leichtes Wort, Um augenblicks des Dranges los zu sein, Und einen gnäd'gen Kaiser zu gewinnen. Weh ihnen, die dem Volk die Augen halten, Da** es dem wahren Besten widerstrebt. Um eignen Vorteils willen hindern sie, Da** die Waldstätte nicht zu Östreich schwören, Wie ringsum alle Lande doch getan. Wohl tut es ihnen, auf der Herrenbank Zu sitzen mit dem Edelmann – den Kaiser Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben. Attinghausen: Muss ich das hören und aus deinem Munde! Rudenz: Ihr habt mich aufgefordert, la**t mich enden. – Welche Person ist's, Oheim, die Ihr selbst Hier spielt? Habt Ihr nicht höhern Stolz, als hier Landammann oder Bannerherr zu sein Und neben diesen Hirten zu regieren? Wie? Ist's nicht eine rühmlichere Wahl, Zu huldigen dem königlichen Herrn, Sich an sein glänzend Lager anzuschliessen, Als Eurer eignen Knechte Pair zu sein, Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer? Attinghausen: Ach Uli! Uli! Ich erkenne sie Die Stimme der Verführung! Sie ergriff Dein offnes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet. Rudenz: Ja ich verberg es nicht – in tiefer Seele Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns Den Bauernadel schelten – Nicht ertrag ich's, Indes die edle Jugend ringsumher Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Fahnen, Auf meinem Erb hier müssig stillzuliegen, Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz Des Lebens zu verlieren – Anderswo Geschehen Taten, eine Welt des Ruhms Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge – Mir rosten in der Halle Helm und Schild, Der Kriegstrommete mutiges Getön, Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet, Er dringt in diese Täler nicht herein, Nichts als den Kuhreihn und der Herdeglocken Einförmiges Geläut vernehm ich hier. Attinghausen: Verblendeter, vom eiteln Glanz verführt! Verachte dein Geburtsland! Schäme dich Der uralt frommen Sitte deiner Väter! Mit heissen Tränen wirst du dich dereinst Heimsehnen nach den väterlichen Bergen, Und dieses Herdenreihens Melodie, Die du in stolzem Überdruss verschmähst. Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich ergreifen, Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde. O mächtig ist der Trieb des Vaterlands! Die fremde falsche Welt ist nicht für dich, Dort an dem stolzen Kaiserhof bleibst du Dir ewig fremd mit deinem treuen Herzen! Die Welt, sie fordert andre Tugenden, Als du in diesen Tälern dir erworben. – Geh hin, verkaufe deine freie Seele, Nimm Land zu Lehen, werd ein Fürstenknecht, Da du ein Selbstherr sein kannst und ein Fürst Auf deinem eignen Erb und freien Boden. Ach Uli! Uli! Bleibe bei den Deinen! Geh nicht nach Altdorf – O verla** sie nicht Die heil'ge Sache deines Vaterlands! – Ich bin der Letzte meines Stamms. Mein Name Endet mit mir. Da hängen Helm und Schild, Die werden sie mir in das Grab mitgeben. Und muss ich denken bei dem letzten Hauch, Da** du mein brechend Auge nur erwartest, Um hinzugehn vor diesen neuen Lehenhof, Und meine edeln Güter, die ich frei Von Gott empfing, von Östreich zu empfangen! Rudenz: Vergeblich widerstreben wir dem König, Die Welt gehört ihm, wollen wir allein Uns eigensinnig steifen und verstocken, Die Länderkette ihm zu unterbrechen, Die er gewaltig rings um uns gezogen? Sein sind die Märkte, die Gerichte, sein Die Kaufmannsstra**en, und das Saumross selbst, Das auf dem Gotthard ziehet, muss ihm zollen. Von seinen Ländern wie mit einem Netz Sind wir umgarnet rings und eingeschlossen. – Wird uns das Reich beschützen? Kann es selbst Sich schützen gegen Östreichs wachsende Gewalt? Hilft Gott uns nicht, kein Kaiser kann uns helfen. Was ist zu geben auf der Kaiser Wort, Wenn sie in Geld- und Kriegesnot die Städte, Die untern Schirm des Adlers sich geflüchtet, Verpfänden dürfen und dem Reich veräussern? – Nein Oheim! Wohltat ist's und weise Vorsicht, In diesen schweren Zeiten der Parteiung, Sich anzuschliessen an ein mächtig Haupt. Die Kaiserkrone geht von Stamm zu Stamm, Die hat für treue Dienste kein Gedächtnis, Doch um den mächt'gen Erbherrn wohl verdienen, Heisst Staaten in die Zukunft streun. Attinghausen: Bist du so weise? Willst heller sehn als deine edeln Väter, Die um der Freiheit kostbarn Edelstein Mit Gut und Blut und Heldenkraft gestritten? – Schiff nach Luzern hinunter, frage dort, Wie Östreichs Herrschaft lastet auf den Ländern! Sie werden kommen, unsre Schaf und Rinder Zu zählen, unsre Alpen abzumessen, Den Hochflug und das Hochgewilde bannen In unsern freien Wäldern, ihren Schlagbaum An unsre Brücken, unsre Tore setzen, Mit unsrer Armut ihre Länderkäufe, Mit unserm Blute ihre Kriege zahlen – – Nein, wenn wir unser Blut dransetzen sollen, So sei's für uns – wohlfeiler kaufen wir Die Freiheit als die Knechtschaft ein! Rudenz: Was können wir, Ein Volk der Hirten gegen Albrechts Heere! Attinghausen: Lern dieses Volk der Hirten kennen, Knabe! Ich kenn's, ich hab es angeführt in Schlachten, Ich hab es fechten sehen bei Favenz. Sie sollen kommen, uns ein Joch aufzwingen, Das wir entschlossen sind, nicht zu ertragen! – O lerne fühlen, welches Stamms du bist! Wirf nicht für eiteln Glanz und Flitterschein Die echte Perle deines Wertes hin – Das Haupt zu heissen eines freien Volks, Das dir aus Liebe nur sich herzlich weiht, Das treulich zu dir steht in Kampf und Tod – Das sei dein Stolz, des Adels rühme dich – Die angebornen Bande knüpfe fest, Ans Vaterland, ans teure, schliess dich an, Das halte fest mit deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft, Dort in der fremden Welt stehst du allein, Ein schwa*kes Rohr, das jeder Sturm zerknickt. O komm, du hast uns lang nicht mehr gesehn, Versuch's mit uns nur einen Tag – nur heute Geh nicht nach Altdorf – Hörst du? Heute nicht, Den einen Tag nur schenke dich den Deinen! Er fa**t seine Hand. Rudenz: Ich gab mein Wort – La**t mich – Ich bin gebunden. Attinghausen lässt seine Hand los, mit Ernst: Du bist gebunden – Ja Unglücklicher! Du bist's, doch nicht durch Wort und Schwur, Gebunden bist du durch der Liebe Seile! Rudenz wendet sich weg. – Verbirg dich wie du willst. Das Fräulein ist's Berta von Bruneck, die zur Herrenburg Dich zieht, dich fesselt an des Kaisers Dienst. Das Ritterfräulein willst du dir erwerben Mit deinem Abfall von dem Land – Betrüg dich nicht! Dich anzulocken zeigt man dir die Braut Doch deiner Unschuld ist sie nicht beschieden. Rudenz: Genug hab ich gehört. Gehabt Euch wohl. Er geht ab. Attinghausen: Wahnsinn'ger Jüngling, bleib! – Er geht dahin! Ich kann ihn nicht erhalten, nicht erretten – So ist der Wolfenschiessen abgefallen Von seinem Land – so werden andre folgen Der fremde Zauber reisst die Jugend fort, Gewaltsam strebend über unsre Berge. – O unglücksel'ge Stunde, da das Fremde In diese still beglückten Täler kam, Der Sitten fromme Unschuld zu zerstören! Das Neue dringt herein mit Macht, das Alte Das Würd'ge scheidet, andre Zeiten kommen, Es lebt ein andersdenkendes Geschlecht! Was tu ich hier? Sie sind begraben alle, Mit denen ich gewaltet und gelebt. Unter der Erde schon liegt meine Zeit, Wohl dem, der mit der neuen nicht mehr braucht zu leben! Geht ab.