Siebenter Auftritt. Carlos. Graf Lerma. Lerma. Retten Sie sich, Prinz. Der König wüthet gegen Sie. Ein Anschlag Auf Ihre Freiheit – wo nicht auf Ihr Leben. Befragen Sie mich weiter nicht. Ich habe Mich weggestohlen, Sie zu warnen. Fliehen Sie ohne Aufschub. Carlos. Ich bin in den Händen Der Allmacht. Lerma. Wie die Königin mich eben Hat merken la**en, sollen Sie noch heute Madrid verla**en und nach Brüssel flüchten. Verschieben Sie es nicht, ja nicht! Der Aufruhr Begünstigt Ihre Flucht. In dieser Absicht Hat ihn die Königin veranlaßt. Jetzt Wird man sich nicht erkühnen, gegen Sie Gewalt zu brauchen. Im Karthäuserkloster Erwartet Sie die Post, und hier sind Waffen, Wenn Sie gezwungen sollten sein – (Er gibt ihm einen Dolch und Terzerolen.) Carlos. Dank, Dank, Graf Lerma! Lerma. Ihre heutige Geschichte Hat mich im Innersten gerührt. So liebt Kein Freund mehr! Alle Patrioten weinen Um Sie. Mehr darf ich jetzt nicht sagen. Carlos. Graf Lerma! Dieser Abgeschiedne nannte Sie einen edlen Mann. Lerma. Noch einmal, Prinz! Reisen Sie glücklich. Schönre Zeiten werden kommen; Dann aber werd' ich nicht mehr sein. Empfangen Sie meine Huldigung schon hier. (Er läßt sich auf ein Knie vor ihm nieder.) Carlos (will ihn zurückhalten. Sehr bewegt). Nicht also – Nicht also, Graf – Sie rühren mich – Ich möchte Nicht gerne weich sein – Lerma (küßt seine Hand mit Empfindung). König meiner Kinder! O, meine Kinder werden sterben dürfen Für Sie. Ich darf es nicht. Erinnern Sie sich meiner In meinen Kindern – Kehren Sie in Frieden Nach Spanien zurücke. Seien Sie Ein Mensch auf König Philipps Thron. Sie haben Auch Leiden kennen lernen. Unternehmen Sie Nichts Blut'ges gegen Ihren Vater! Ja Nichts Blutiges, mein Prinz! Philipp der Zweite Zwang Ihren Aeltervater, von dem Thron Zu steigen – Dieser Philipp zittert heute Vor seinem eignen Sohn! Daran gedenken Sie, Prinz – und so geleite Sie der Himmel! (Er geht schnell weg. Carlos ist im Begriff, auf einem andern Wege fortzueilen, kehrt aber plötzlich um und wirft sich vor dem Leichnam des Marquis nieder, den er noch einmal in seine Arme schließt. Dann verläßt er schnell das Zimmer.) Vorzimmer des Königs. Achter Auftritt. Herzog von Alba und Herzog von Feria kommen im Gespräch. Alba. Die Stadt ist ruhig. Wie verließen Sie Den König? Feria. In der fürchterlichsten Laune. Er hat sich eingeschlossen. Was sich auch Ereignen würde, keinen Menschen will Er vor sich la**en. Die Verrätherei Des Marquis hat auf ein Mal seine ganze Natur verändert. Wir erkennen ihn Nicht mehr. Alba. Ich muß zu ihm. Ich kann ihn diesmal Nicht schonen. Eine wichtige Entdeckung, Die eben jetzt gemacht wird – Feria. Eine neue Entdeckung? Alba. Ein Karthäusermönch, der in Des Prinzen Zimmer heimlich sich gestohlen Und mit verdächt'ger Wißbegier den Tod Des Marquis Posa sich erzählen la**en, Fällt meinen Wachen auf. Man hält ihn an. Man untersucht. Die Angst des Todes preßt Ihm ein Geständniß aus, daß er Papiere Von großem Werthe bei sich trage, die Ihm der Verstorbne anbefohlen in Des Prinzen Hand zu übergeben – wenn Er sich vor Sonnenuntergang nicht mehr Ihm zeigen würde. Feria. Nun? Alba. Die Briefe lauten, Daß Carlos binnen Mitternacht und Morgen Madrid verla**en soll. Feria. Was? Alba. Daß ein Schiff In Cadix segelfertig liege, ihn Nach Vlissingen zu bringen – daß die Staaten Der Niederlande seiner nur erwarten, Die span'schen Ketten abzuwerfen. Feria. Ha! Was ist das? Alba. Andre Briefe melden, Daß eine Flotte Solimans bereits Von Rhodus ausgelaufen – den Monarchen Von Spanien, laut des geschloßnen Bundes, Im mittelländ'schen Meere anzugreifen. Feria. Ist's möglich? Alba. Eben diese Briefe lehren Die Reisen mich verstehn, die der Maltheser Durch ganz Europa jüngst gethan. Es galt Nichts Kleineres, als alle nord'schen Mächte Für der Flamänder Freiheit zu bewaffnen. Feria. Das war er! Alba. Diesen Briefen endlich folgt Ein ausgeführter Plan des ganzen Krieges, Der von der span'schen Monarchie auf immer Die Niederlande trennen soll. Nichts, nichts Ist übersehen, Kraft und Widerstand Berechnet, alle Quellen, alle Kräfte Des Landes pünktlich angegeben, alle Maximen, welche zu befolgen, alle Bündnisse, die zu schließen. Der Entwurf Ist teuflisch, aber wahrlich – göttlich. Feria. Welch undurchdringlicher Verräther! Alba. Noch Beruft man sich in diesem Brief auf eine Geheime Unterredung, die der Prinz Am Abend seiner Flucht mit seiner Mutter Zu Stande bringen sollte. Feria. Wie? Das wäre Ja heute. Alba. Diese Mitternacht. Auch hab' ich Für diesen Fall Befehle schon gegeben. Sie sehen, daß es dringt. Kein Augenblick Ist zu verlieren – Oeffnen Sie das Zimmer Der Königs. Feria. Nein! Der Eintritt ist verboten. Alba. So öffn' ich selbst – die wachsende Gefahr Rechtfertigt diese Kühnheit – (Wie er gegen die Thür geht, wird sie geöffnet, und der König tritt heraus.) Feria. Ha, er selbst! Neunter Auftritt. König zu den Vorigen. (Alle erschrecken über seinen Anblick, weichen zurück und la**en ihn ehrerbietig mitten durch. Er kommt in einem wachen Traume, wie eines Nachtwandlers. – Sein Anzug und seine Gestalt zeigen noch die Unordnung, worein ihn die gehabte Ohnmacht versetzt hat. Mit langsamen Schritten geht er an den anwesenden Granden vorbei, sieht jeden starr an, ohne einen einzigen wahrzunehmen. Endlich bleibt er gedankenvoll stehen, die Augen zur Erde gesenkt, bis seine Gemüthsbewegung nach und nach laut wird.) König. Gib diesen Todten mir heraus. Ich muß Ihn wieder haben. Domingo (leise zum Herzog von Alba). Reden Sie ihn an. König (wie oben). Er dachte klein von mir und starb. Ich muß Ihn wieder haben. Er maß anders von Mir denken. Alba (nähert sich mit Furcht). Sire – König. Wer redet hier? (Er sieht lange im ganzen Kreise herum.) Hat man Vergessen, wer ich bin? Warum nicht auf Den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin Ich König. Unterwerfung will ich sehen. Setzt Alles mich hintan, weil Einer mich Verachtet hat? Alba. Nichts mehr von ihm, mein König! Ein neuer Feind, bedeutender als dieser, Steht auf im Herzen Ihres Reichs. – Feria. Prinz Carlos – König. Er hatte einen Freund, der in den Tod Gegangen ist für ihn – für ihn! Mit mir Hätt' er ein Königreich getheilt! – Wie er Auf mich herunter sah! So stolz sieht man Von Thronen nicht herunter. War's nicht sichtbar, Wie viel er sich mit der Erobrung wußte? Was er verlor, gestand sein Schmerz. So wird Um nichts Vergängliches geweint – Daß er noch lebte! Ich gäb' ein Indien dafür. Trostlose Allmacht, Die nicht einmal in Gräber ihren Arm Verlängern, eine kleine Uebereilung Mit Menschenleben nicht verbessern kann! Die Todten stehen nicht mehr auf. Wer darf Mir sagen, daß ich glücklich bin? Im Grabe Wohnt Einer, der mir Achtung vorenthalten. Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geist, Ein freier Mann stand auf in diesem ganzen Jahrhundert – Einer – Er verachtet mich Und stirbt. Alba. So lebten wir umsonst! – Laßt uns Zu Grabe gehen, Spanier! Auch noch Im Tode raubt uns dieser Mensch das Herz Des Königs! König (Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm gestützt). Wär' er mir also gestorben! Ich hab' ihn lieb gehabt, sehr lieb. Er war Mir theuer, wie ein Sohn. In diesem Jüngling Ging mir ein neuer, schönrer Morgen auf. Wer weiß, was ich ihm aufbehalten! Er War meine erste Liebe. Ganz Europa Verfluche mich! Europa mag mir fluchen. Von diesem hab' ich Dank verdient. Domingo. Durch welche Bezauberung – König. Und wem bracht' er dies Opfer? Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr. Ich glaub' es nicht. Für einen Knaben stirbt Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern. Sie zu vergnügen fand er einen Thron – Und geht vorüber? Diesen Hochverrath An seiner Menschheit sollte Posa sich Vergeben? Nein. Ich kenn' ihn besser. Nicht Den Philipp opfert er dem Carlos, nur Den alten Mann dem Jüngling, seinem Schüler. Der Vaters untergehnde Sonne lohnt Das neue Tagwerk nicht mehr. Das verspart man Dem nahen Aufgang seines Sohns – O, es ist klar! Auf meinen Hintritt wird gewartet. Alba. Lesen Sie In diesen Briefen die Bekräftigung. König (steht auf). Er könnte sich verrechnet haben. Noch, Noch bin ich. Habe Dank, Natur! Ich fühle In meinen Sehnen Jünglingskraft. Ich will Ihn zum Gelächter machen. Seine Tugend Sei eines Träumers Hirngespinst gewesen. Er sei gestorben als ein Thor. Sein Sturz Erdrücke seinen Freund und sein Jahrhundert! Laß sehen, wie man mich entbehrt. Die Welt Ist noch auf einen Abend mein. Ich will Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern Auf dieser Brandstatt ernten soll. Er brachte Der Menschheit, seinem Götzen, mich zum Opfer; Die Menschheit büße mir für ihn – Und jetzt – Mit seiner Puppe fang' ich an. (Zum Herzog von Alba.) Was war's Mit dem Infanten? Wiederholt es mir. Was lehren Mich diese Briefe? Alba. Diese Briefe, Sire, Enthalten die Verla**enschaft des Marquis Von Posa an Prinz Carl. König (durchläuft die Papiere, wobei er von allen Umstehenden scharf beobachtet wird. Nachdem er eine Zeit lang gelesen, legt er sie weg und geht stillschweigend durch das Zimmer). Man rufe mir Den Inquisitor Cardinal. Ich la**' Ihn bitten, eine Stunde mir zu schenken. (Einer von den Granden geht hinaus. Der König nimmt die Papiere wieder, liest fort und legt sie abermals weg.) In dieser Nacht also? Taxis. Schlag zwei Uhr soll Die Post vor dem Karthäuserkloster halten. Alba. Und Leute, die ich ausgesendet, sahen Verschiednes Reis'geräthe, an dem Wappen Der Krone kenntlich, nach dem Kloster tragen. Feria. Auch sollen große Summen auf den Namen Der Königin bei maurischen Agenten Betrieben worden sein, in Brüssel zu Erheben. König. Wo verließ man den Infanten? Alba. Beim Leichnam des Malthesers. König. Ist noch Licht im Zimmer? Der Königin? Alba. Dort ist Alles still. Auch hat Sie ihre Kammerfrauen zeitiger, Als sonsten zu geschehen pflegt, entla**en. Die Herzogin von Arcos, die zuletzt Aus ihrem Zimmer ging, verließ sie schon In tiefem Schlaf. (Ein Officier von der Leibwache tritt herein, zieht den Herzog von Feria auf die Seite und spricht leise mit ihm. Dieser wendet sich betreten zum Herzog von Alba, Andre drängen sich hinzu, und es entsteht ein Gemurmel.) Feria, Taxis, Domingo (gleichzeitig). Sonderbar! König. Was gibt es? Feria. Eine Nachricht, Sire, die kaum Zu glauben ist – Domingo. Zwei Schweizer, die so eben Von ihrem Posten kommen, melden – es Ist lächerlich, es nachzusagen. König. Nun? Alba. Daß in dem linken Flügel des Palasts Der Geist des Kaisers sich erblicken la**en Und mit beherztem, feierlichem Schritt an ihnen Vorbei gegangen. Eben diese Nachricht Bekräft'gen alle Wachen, die durch diesen Pavillon verbreitet stehn, und setzen Hinzu, daß die Erscheinung in den Zimmern Der Königin verschwunden. König. Und in welcher Gestalt erschien er? Officier. In dem nämlichen Gewand, das er zum letzten Mal in Justi Als Hieronymitermönch getragen. König. Als Mönch? Und also haben ihn die Wachen Im Leben noch gekannt? Denn woher wußten Sie sonst, daß es der Kaiser war? Officier. Daß es Der Kaiser müsse sein, bewies das Scepter, Das er in Händen trug. Domingo. Auch will man ihn Schon öfters, wie die Sage geht, in dieser Gestalt gesehen haben. König. Angeredet hat Ihn Niemand? Officier. Niemand unterstand sich. Die Wachen sprachen ihr Gebet und ließen Ihn ehrerbietig mitten durch. König. Und in den Zimmern Der Königin verlor sich die Erscheinung? Officier. Im Vorgemach der Königin. (Allgemeines Stillschweigen.) König (wendet sich schnell um). Was sagt ihr? Alba. Sire, wir sind stumm. König (nach einigem Besinnen zu dem Officier). Laßt meine Garden unter Die Waffen treten und jedweden Zugang Zu diesem Flügel sperren. Ich bin lüstern, Ein Wort mit diesem Geist zu reden. (Der Officier geht ab. Gleich darauf ein Page.) Page. Sire! Der Inquisitor Cardinal. König (zu den Anwesenden). Verlaßt uns. (Der Cardinal Großinquisitor, ein Greis von neunzig Jahren und blind, auf einen Stab gestützt und von zwei Dominicanern geführt. Wie er durch ihre Reihen geht, werfen sich alle Granden vor ihm nieder und berühren den Saum seines Kleides. Er ertheilt ihnen den Segen. Alle entfernen sich.)