Friedrich Schiller - Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 23 lyrics

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Friedrich Schiller - Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 23 lyrics

Vierter Auftritt. Der König. Carlos. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Der Prinz von Parma. Graf Lerma. Domingo und viele Granden. König (mit gütigem Tone). Deine Bitte Hat Statt gefunden, mein Infant. Hier bin ich, Ich selbst mit allen Großen meines Reichs, Dir Freiheit anzukündigen. (Carlos blickt auf und sieht um sich her, wie einer, der aus dem Traum erwacht. Seine Augen heften sich bald auf den König, bald auf den Todten. Er antwortet nicht.) Empfange Dein Schwert zurück. Man hat zu rasch verfahren. (Er nähert sich ihm, reicht ihm die Hand und hilft ihm sich aufzurichten.) Mein Sohn ist nicht an seinem Platz. Steh auf. Komm in die Arme deines Vaters. Carlos (empfängt ohne Bewußtsein die Arme des Königs – besinnt sich aber plötzlich, hält inne und sieht ihn genauer an). Dein Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen. (Er stößt ihn zurück, alle Granden kommen in Bewegung.) Nein! Steht nicht so betroffen da! Was hab' Ich Ungeheures denn gethan? Des Himmels Gesalbten angetastet? Fürchtet nichts. Ich lege keine Hand an ihn. Seht ihr Das Brandmal nicht an seiner Stirne? Gott Hat ihn gezeichnet. König (bricht schnell auf). Folgt mir, meine Granden. Carlos. Wohin? Nicht von der Stelle, Sire – (Er hält ihn gewaltsam mit beiden Händen und bekommt mit der einen das Schwert zu fa**en, das der König mitgebracht hat. Es fährt aus der Scheide.) König. Das Schwert Gezückt auf deinen Vater? Alle anwesenden Granden (ziehen die ihrigen). Königsmord! Carlos (den König fest an der einen Hand, das bloße Schwert in der andern). Steckt eure Schwerter ein. Was wollt ihr? Glaubt Ihr, ich sei rasend? Nein, ich bin nicht rasend. Wär' ich's, so thatet ihr nicht gut, mich zu Erinnern, daß auf meines Schwertes Spitze Sein Leben schwebt. Ich bitte, haltet euch Entfernt. Verfa**ungen, wie meine, wollen Geschmeichelt sein – drum bleibt zurück. Was ich Mit diesem König abzumachen habe, Geht euern Leheneid nichts an. Seht nur, Wie seine Finger bluten! Seht ihn recht an! Seht ihr? O seht auch hieher – Das hat Er Gethan, der große Künstler! König (zu den Granden, welche sich besorgt um ihn herumdrängen wollen). Tretet Alle Zurück. Wovor erzittert ihr? – Sind wir Nicht Sohn und Vater? Ich will doch erwarten, Zu welcher Schandthat die Natur – Carlos. Natur? Ich weiß von keiner. Mord ist jetzt die Losung. Der Menschheit Bande sind entzwei. Du selbst Hast sie zerrissen, Sire, in deinen Reichen. Soll ich verehren, was du höhnst? – O, seht! Seht hieher! Es ist noch kein Mord geschehen, Als heute – Gibt es keinen Gott? Was? Dürfen In seiner Schöpfung Könige so hausen? Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange Mütter Geboren haben, ist nur Einer – Einer So unverdient gestorben – Weißt du auch, Was du gethan hast? – Nein, er weiß es nicht, Weiß nicht, daß er ein Leben hat gestohlen Aus dieser Welt, das wichtiger und edler Und theurer war, als er mit seinem ganzen Jahrhundert. König (mit gelindem Tone). Wenn ich allzu rasch gewesen, Geziemt es dir, für den ich es gewesen, Mich zur Verantwortung zu ziehen? Carlos. Wie? Ist's möglich? Sie errathen nicht, wer mir Der Todte war – O, sagt es ihm – helft seiner Allwissenheit das schwere Räthsel lösen. Der Todte war mein Freund – Und wollt ihr wissen, Warum er starb? Für mich ist er gestorben. König. Ha, meine Ahnung! Carlos. Blutender, vergib, Daß ich vor solchen Ohren es entweihe! Doch dieser große Menschenkenner sinke Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet. Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. Sein schöner Lebenslauf war Liebe. Liebe Für mich sein großer, schöner Tod. Mein war er, Als Sie mit seiner Achtung groß gethan, Als seine scherzende Beredsamkeit Mit Ihrem stolzen Riesengeiste spielte. Ihn zu beherrschen wähnten Sie – und waren Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Plane. Daß ich gefangen bin, war seiner Freundschaft Durchdachtes Werk. Mich zu erretten, schrieb Er an Oranien den Brief – O Gott, Er war die erste Lüge seiner Lebens! Mich zu erretten, warf er sich dem Tod, Den er erlitt, entgegen. Sie beschenkten ihn Mit Ihrer Gunst – er starb für mich. Ihr Herz Und Ihre Freundschaft drangen Sie ihm auf, Ihr Scepter war das Spielwerk seiner Hände, Er warf es hin und starb für mich! (Der König steht ohne Bewegung, den Blick starr auf den Boden geheftet. Alle Granden sehen betreten und furchtsam auf ihn.) Und war Es möglich? Dieser groben Lüge konnten Sie Glauben schenken? Wie gering mußt' er Sie schätzen, da er's unternahm, bei Ihnen Mit diesem plumpen Gaukelspiel zu reichen! Um seine Freundschaft wagten Sie zu buhlen Und unterlagen dieser leichten Probe! O, nein – nein, das war nichts für Sie. Das war Kein Mensch für Sie! Das wußt' er selbst recht gut, Als er mit allen Kronen Sie verstoßen. Dies feine Saitenspiel zerbrach in Ihrer Metallnen Hand. Sie konnten nichts, als ihn ermorden. Alba (hat den König bis jetzt nicht aus den Augen gela**en und mit sichtbarer Unruhe die Bewegungen beobachtet, welche in seinem Gesichte arbeiten. Jetzt nähert er sich ihm furchtsam). Sire – nicht diese Todtenstille. Sehen Sie um sich! Reden Sie mit uns! Carlos. Sie waren Ihm nicht gleichgültig. Seinen Antheil hatten Sie längst. Vielleicht! Er hätte Sie noch glücklich Gemacht. Sein Herz war reich genug, Sie selbst Von seinem Ueberflusse zu vergnügen. Die Splitter seines Geistes hätten Sie Zum Gott gemacht. Sich selber haben Sie Bestohlen – Was werden Sie bieten, eine Seele zu erstatten, Wie diese war? (Ein tiefes Schweigen. Viele von den Granden sehen weg oder verhüllen das Gesicht in ihren Mänteln.) O, die ihr hier versammelt steht und vor Entsetzen Und vor Bewunderung verstummt – verdammet Den Jüngling nicht, der diese Sprache gegen Den Vater und den König führt – Seht hieher! Für mich ist er gestorben! Habt ihr Thränen? Fließt Blut, nicht glühend Erz, in euren Adern? Seht hieher und verdammt mich nicht! (Er wendet sich zum König mit mehr Fa**ung und Gela**enheit.) Vielleicht Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte Sich enden wird? – Hier ist mein Schwert. Sie sind Mein König wieder. Denken Sie, daß ich Vor Ihrer Rache zittre? Morden Sie Mich auch, wie Sie den Edelsten gemordet. Mein Leben ist verwirkt. Ich weiß. Was ist Mir jetzt das Leben? Hier entsag' ich Allem, Was mich auf dieser Welt erwartet. Suchen Sie unter Fremdlingen sich einen Sohn – Da liegen meine Reiche – (Er sinkt an dem Leichnam nieder und nimmt an dem Folgenden keinen Antheil mehr. Man hört unterdessen von ferne ein verworrenes Getöse von Stimmen und ein Gedränge vieler Menschen. Um den König herum ist eine tiefe Stille. Seine Augen durchlaufen den ganzen Kreis, aber Niemand begegnet seinen Blicken.) König. Nun? Will Niemand Antworten? – Jeder Blick am Boden – jedes Gesicht verhüllt! – Mein Urtheil ist gesprochen. In diesen stummen Mienen les' ich es Verkündigt. Meine Unterthanen haben mich Gerichtet. (Das vorige Stillschweigen. – Der Tumult kommt näher und wird lauter. Durch die umstehenden Granden läuft ein Gemurmel, sie geben sich untereinander verlegene Winke; Graf Lerma stößt endlich leise den Herzog von Alba an.) Lerma. Wahrlich, das ist Sturm! Alba (leise). So fürcht' ich. Lerma. Man dringt herauf. Man kommt. Fünfter Auftritt. Ein Officier von der Leibwache. Die Vorigen. Officier (dringend). Rebellion! Wo ist der König? (Er arbeitet sich durch die Menge und dringt bis zum König.) Ganz Madrid in Waffen! Zu Tausenden umringt der wüthende Soldat, der Pöbel den Palast. Prinz Carlos, Verbreitet man, sei in Verhaft genommen, Sein Leben in Gefahr. Das Volk will ihn Lebendig sehen, oder ganz Madrid In Flammen aufgehn la**en. Alle Granden (in Bewegung). Rettet! rettet Den König! Alba (zum König, der ruhig und unbeweglich steht). Flüchten Sie sich, Sire – Es hat Gefahr – Noch wissen wir nicht, wer Den Pöbel waffnet – König (erwacht aus seiner Betäubung, richtet sich auf und tritt mit Majestät unter sie). Steht mein Thron noch? Bin ich noch König dieses Landes? – Nein, Ich bin es nicht mehr. Diese Memmen weinen, Von einem Knaben weich gemacht. Man wartet Nur auf die Losung, von mir abzufallen. Ich bin verrathen von Rebellen. Alba. Sire, Welch fürchterliche Phantasie! König. Dorthin! Dort werft euch nieder! vor dem blühenden, Dem jungen König werft euch nieder! – Ich Bin nichts mehr – ein ohnmächt'ger Greis! Alba. Dahin Ist es gekommen! – Spanier! (Alle drängen sich um den König herum und knieen mit gezogenen Schwertern vor ihm nieder. Carlos bleibt allein und von allen verla**en bei dem Leichnam.) König (reißt seinen Mantel ab und wirft ihn von sich). Bekleidet Ihn mit dem königlichen Schmuck – Auf meiner Zertretnen Leiche tragt ihn – (Er bleibt ohnmächtig in Albas und Lermas Armen.) Lerma. Hilfe! Gott! Feria. Gott, welcher Zufall! Lerma. Er ist von sich – Alba (läßt den König in Lermas und Ferias Händen). Bringen Sie ihn zu Bette. Unterdessen geb' ich Madrid den Frieden. (Er geht ab. Der König wird weggetragen, und alle Granden begleiten ihn.) Sechster Auftritt. Carlos bleibt allein bei dem Leichnam zurück. Nach einigen Augenblicken erscheint Ludwig Mercado, sieht sich schüchtern um und steht eine Zeit lang stillschweigend hinter dem Prinzen, der ihn nicht bemerkt. Mercado. Ich komme Von Ihrer Majestät der Königin. (Carlos sieht wieder weg und gibt ihm keine Antwort.) Mein Name ist Mercado – Ich bin Leibarzt Bei Ihrer Majestät – und hier ist meine Beglaubigung. (Er zeigt dem Prinzen einen Siegelring. – Dieser verharrt in seinem Stillschweigen.) Die Königin wünscht sehr, Sie heute noch zu sprechen – wichtige Geschäfte – Carlos. Wichtig ist mir nichts mehr Auf dieser Welt. Mercado. Ein Auftrag, sagte sie, Den Marquis Posa hinterla**en – Carlos (steht schnell auf). Was? Sogleich. (Er will mit ihm gehen.) Mercado. Nein, jetzt nicht, gnäd'ger Prinz. Sie müssen Die Nacht erwarten. Jeder Zugang ist Besetzt und alle Wachen dort verdoppelt. Unmöglich ist es, diese Flügel des Palastes ungesehen zu betreten. Sie würden Alles wagen – Carlos. Aber – Mercado. Nur Ein Mittel, Prinz, ist höchstens noch vorhanden – Die Königin hat es erdacht. Sie legt Es Ihnen vor – Doch es ist kühn und seltsam Und abenteuerlich. Carlos. Das ist? Mercado. Schon längst Geht eine Sage, wie Sie wissen, daß Um Mitternacht in den gewölbten Gängen Der königlichen Burg, in Mönchsgestalt, Der abgeschiedne Geist des Kaisers wandle. Der Pöbel glaubt an dies Gerücht, die Wachen Beziehen nur mit Schauer diesen Posten. Wenn Sie entschlossen sind, sich dieser Verkleidung zu bedienen, können Sie Durch alle Wachen frei und unversehrt Bis zum Gemach der Königin gelangen, Das dieser Schlüssel öffnen wird. Vor jedem Angriff Schützt Sie die heilige Gestalt. Doch auf Der Stelle, Prinz, muß Ihr Entschluß gefaßt sein. Das nöth'ge Kleid, die Maske finden Sie In Ihrem Zimmer. Ich muß eilen, Ihrer Majestät Antwort zu bringen. Carlos. Und die Zeit? Mercado. Die Zeit Ist zwölf Uhr. Carlos. Sagen Sie ihr, daß sie mich Erwarten könne. (Mercado geht ab.)