Friedrich Schiller - Die Räuber (4. Akt - 2. Scene) lyrics

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Friedrich Schiller - Die Räuber (4. Akt - 2. Scene) lyrics

Galerie im Schloß. Räuber Moor. Amalia treten auf. Amalia. Und getrauten Sie sich wohl, sein Bildniß unter diesen Gemälden zu erkennen? Moor. O ganz gewiß. Sein Bild war immer lebendig in mir. (An den Gemälden herumgehend.) Dieser ist's nicht. Amalia. Errathen! – Er war der Stammvater des gräflichen Hauses und erhielt den Adel von Barbarossa, dem er wider die Seeräuber diente. Moor (immer an den Gemälden). Dieser ist's auch nicht – auch Der nicht – auch nicht Jener dort – er ist nicht unter ihnen. Amalia. Wie? Sehen Sie doch besser! ich dachte, Sie kennten ihn – Moor. Ich kenne meinen Vater nicht besser! Ihm fehlt der sanftmüthige Zug um den Mund, der ihn aus Tausenden kenntlich machte – er ist's nicht. Amalia. Ich erstaune. Wie? Achtzehn Jahre nicht gesehen, und noch – Moor (schnell mit einer fliegenden Röthe). Dieser ist's! (Er steht wie vom Blitz gerührt.) Amalia. Ein vortrefflicher Mann! Moor (in seinem Anblick versunken). Vater, Vater! vergib mir! – Ja, ein vortrefflicher Mann! – (Er wischt sich die Augen.) Ein göttlicher Mann! Amalia. Sie scheinen viel Antheil an ihm zu nehmen. Moor. Oh ein vortrefflicher Mann – und er sollte dahin sein? Amalia. Dahin! wie unsere besten Freuden dahin gehn – (Sanft seine Hand ergreifend.) Lieber Herr Graf, es reift keine Seligkeit unter dem Monde. Moor. Sehr wahr, sehr wahr – und sollten Sie schon diese traurige Erfahrung gemacht haben? Sie können nicht dreiundzwanzig Jahre alt sein. Amalia. Und habe sie gemacht. Alles lebt, um traurig wieder zu sterben. Wir interessieren und nur darum, wir gewinnen nur darum, daß wir wieder mit Schmerzen verlieren. Moor. Sie verloren schon etwas? Amalia. Nichts! Alles! Nichts – wollen wir weiter gehen, Herr Graf? Moor. So eilig? Weß ist dies Bild rechter Hand dort? mich däucht, es ist eine unglückliche Physiognomie. Amalia. Dies Bild linker Hand ist der Sohn des Grafen, der wirkliche Herr – Kommen Sie, kommen Sie! Moor. Aber dies Bild rechter Hand? Amalia. Sie wollen nicht in den Garten gehn? Moor. Aber dies Bild rechter Hand? – Du weinst, Amalia? Amalia (schnell ab). Moor. Sie liebt mich! sie liebt mich! – Ihr ganzes Wesen fing an, sich zu empören, verrätherisch rollten die Thränen von ihren Wangen. Sie liebt mich! – Elender, das verdientest du um sie! Steh' ich nicht hier wie ein Gerichteter vor dem tödlichen Block? Ist das der Sopha, wo ich an ihrem Halse in Wonne schwamm? Sind das die väterlichen Säle? (Ergriffen vom Anblick seines Vaters.) Du, du – Feuerflammen aus deinem Auge – Fluch, Fluch, Verwerfung! – Wo bin ich? Nacht vor meinen Augen – Schrecknisse Gottes – Ich, ich hab' ihn getödtet! (Er rennt davon.) Franz von Moor in tiefen Gedanken. Weg mit diesem Bild! weg, feige Memme! Was zagst du, und vor wem? Ist's mir nicht die wenigen Stunden, die der Graf in diesen Mauern wandelt, als schlich' immer ein Spion der Hölle meinen Fersen nach – Ich sollt' ihn kennen! Es ist so was Großes und Oftgesehenes in seinem wilden sonnenverbrannten Gesicht, das mich beben macht – Auch Amalia ist nicht gleichgültig gegen ihn! Läßt sie nicht so gierig schmachtende Blicke auf dem Kerl herumkreuzen, mit denen sie doch gegen alle Welt sonst so geizig thut? Sah ich's nicht, wie sie ein paar diebische Thränen in den Wein fallen ließ, den er hinter meinem Rücken so hastig in sich schlürfte, als wenn er das Glas mit hineinziehen wollte? Ja, das sah ich, durch den Spiegel sah ich's mit diesen meinen Augen. Holla, Franz! sieh dich vor! dahinter steckt irgend ein verderbenschwangeres Ungeheuer! (Er steht forschend dem Porträt Karls gegenüber.) Sein langer Gänsehals – seine schwarzen, feuerwerfenden Augen, hm! hm! – sein finsteres überhangendes, buschichtes Augenbraun. (Plötzlich zusammenfahrend.) – Schadenfrohe Hölle! jagst du mir diese Ahnung ein? Es ist Karl! ja! jetzt werden mir alle Züge wieder lebendig – Er ist's! trutz seiner Larve! – Er ist's – trutz seiner Larve – Er ist's – Tod und Verdammniß! (Auf und ab mit heftigen Schritten.) Hab' ich darum meine Nächte verpraßt, – darum Felsen hinweggeräumt und Abgründe eben gemacht, – bin ich darum gegen alle Instincte der Menschheit rebellisch worden, daß mir zuletzt dieser unstäte Landstreicher durch meine künstlichsten Wirbel tölple – Sachte! nur sachte! – Es ist nur noch Spielarbeit übrig – Bin ich doch ohnehin schon bis an die Ohren in Todsünden gewatet, daß es Unsinn wäre, zurückzuschwimmen, wenn das Ufer schon so weit hinten liegt – ans Umkehren ist doch nicht mehr zu gedenken – Die Gnade selbst würde an den Bettelstab gebracht und die unendliche Erbarmung bankerott werden, wenn sie für meine Schulden all gut sagen wollte – Also vorwärts wie ein Mann – (Er schellt.) – Er versammle sich zu dem Geist seines Vaters und komme! der Todten spott' ich. Daniel! he, Daniel! – Was gilt's, den haben sie auch schon gegen mich aufgewiegelt? Er sieht so geheimnißvoll. Daniel kommt. Daniel. Was steht zu Befehl, mein Gebieter? Franz. Nichts. Fort, fülle diesen Becher Wein, aber hurtig! (Daniel ab.) Wart, Alter! dich will ich fangen, ins Auge will ich dich fa**en, so starr, daß dein getroffenes Gewissen durch die Larve erbla**en soll! – Er soll sterben! Der ist ein Stümper, der sein Werk nur auf die Hälfte bringt und dann weggeht und müßig zugafft, wie es weiter damit werden wird. Daniel mit Wein. Franz. Stell' ihn hieher! Sieh mir fest ins Auge! Wie deine Kniee schlottern! wie du zitterst! Gesteh, Alter, was hast du gethan? Daniel. Nichts, gnädiger Herr, so wahr Gott lebt und meine arme Seele. Franz. Trink diesen Wein aus! – Was? du zauderst? – Heraus, schnell! Was hast du in den Wein geworfen? Daniel. Hilf Gott! Was? Ich – in den Wein? Franz. Gift hast du in den Wein geworfen! Bist du nicht bleich wie Schnee? Gesteh, gesteh! Wer hat's dir gegeben? Nicht wahr, der Graf, der Graf hat dir's gegeben? Daniel. Der Graf? Jesus Maria! Der Graf hat mir nichts gegeben. Franz (greift ihn hart an). Ich will dich würgen, daß du blau wirst, eisgrauer Lügner du! Nichts? Und was staket ihr denn so beisammen? Er und du und Amalia? Und was flüstertet ihr immer zusammen? Heraus damit! Was für Geheimnisse, was für Geheimnisse hat er dir anvertraut? Daniel. Das weiß der allwissende Gott. Er hat mir keine Geheimnisse anvertraut. Franz. Willst du es leugnen? Was für Kabalen habt ihr angezettelt, mich aus dem Weg zu räumen? Nicht wahr? Mich im Schlaf zu erdrosseln? Mir beim Bartscheeren die Gurgel abzuschneiden? Mir im Wein oder im Chocolade zu vergeben? Heraus, heraus! – oder mir in der Suppe den ewigen Schlaf zu geben? Heraus damit! ich weiß Alles. Daniel. So helfe mir Gott, wenn ich in Noth bin, wie ich Euch jetzt nichts anders sage, als die reine lautere Wahrheit. Franz. Diesmal will ich dir verzeihen. Aber gelt, er steckte dir gewiß Geld in deinen Beutel? Er drückte dir die Hand stärker, als der Brauch ist? so ungefähr, wie man sie seinen alten Bekannten zu drücken pflegt? Daniel. Niemals, mein Gebieter. Franz. Er sagte dir, zum Exempel, daß er dich etwa schon kenne? – daß du ihn fast kennen solltest? daß dir einmal die Decke von den Augen fallen würde – daß – was? davon sollt' er dir niemals gesagt haben? Daniel. Nicht das Mindeste. Franz. Daß gewisse Umstände ihn abhielten – daß man oft Masken nehmen müsse, um seinen Feinden zuzukönnen – daß er sich rächen wolle, aufs grimmigste rächen wolle? Daniel. Nicht einen Laut von Diesem allem. Franz. Was? gar nichts? Besinne dich recht. – Daß er den alten Herrn sehr genau – besonders genau gekannt – daß er ihn liebe – ungemein liebe – wie ein Sohn liebe – Daniel. Etwas dergleichen erinnere ich mich von ihm gehört zu haben. Franz (blaß). Hat er, hat er wirklich? Wie, so laß mich doch hören! Er sagte, er sei mein Bruder? Daniel (betroffen). Was, mein Gebieter? – Nein, das sagte er nicht. Aber wie ihn das Fräulein in der Galerie herumführte, ich putzte eben den Staub von den Rahmen der Gemälde ab, stand er bei dem Portrait des seligen Herrn plötzlich still, wie vom Donner gerührt. Das gnädige Fräulein deutete darauf hin und sagte: ein vortrefflicher Mann! Ja, ein vortrefflicher Mann! gab er zur Antwort, indem er sich die Augen wischte. Franz. Höre, Daniel! Du weißt, ich bin immer ein gütiger Herr gegen dich gewesen, ich hab' dir Nahrung und Kleider gegeben und dein schwaches Alter in allen Geschäften geschonet – Daniel. Dafür lohn' Euch der liebe Herr Gott! und ich hab' Euch immer redlich gedienet. Franz. Das wollt' ich eben sagen. Du hast mir in deinem Leben noch keine Widerrede gegeben, denn du weißt gar zu wohl, daß du mir Gehorsam schuldig bist in allem, was ich dich heiße. Daniel. In Allem von ganzem Herzen, wenn es nicht wider Gott und mein Gewissen geht. Franz. Possen, Possen! Schämst du dich nicht? Ein alter Mann, und an das Weihnachtsmärchen zu glauben! Geh, Daniel! das war ein dummer Gedanke. Ich bin ja Herr. Mich werden Gott und Gewissen strafen, wenn es ja einen Gott und ein Gewissen gibt. Daniel (schlägt die Hände zusammen). Barmherziger Himmel! Franz. Bei deinem Gehorsam! Verstehst du das Wort auch? Bei deinem Gehorsam befehl' ich dir, morgen darf der Graf nimmer unter den Lebendigen wandeln. Daniel. Hilf, heiliger Gott! Weswegen? Franz. Bei deinem blinden Gehorsam! – und an dich werd' ich mich halten. Daniel. An mich? Hilf, selige Mutter Gottes! An mich? Was hab' ich alter Mann denn Böses gethan? Franz. Hier ist nicht lang Besinnszeit, dein Schicksal steht in meiner Hand. Willst du dein Leben im tiefsten meiner Thürme vollends ausschmachten, wo der Hunger dich zwingen wird, deine eigenen Knochen abzunagen, und der brennende Durst, dein eigenes Wa**er wieder zu saufen? – Oder willst du lieber dein Brod essen in Frieden, und Ruhe haben in deinem Alter? Daniel. Was, Herr? Fried' und Ruhe im Alter, und ein Todtschläger? Franz. Antwort' auf meine Frage! Daniel. Meine grauen Haare, meine grauen Haare! Franz. Ja oder Nein! Daniel. Nein! – Gott erbarme sich meiner! Franz (im Begriff zu gehen). Gut, du sollst's nöthig haben. (Daniel hält ihn auf und fällt vor ihm nieder.) Daniel. Erbarmen, Herr! Erbarmen! Franz. Ja oder Nein! Daniel. Gnädiger Herr, ich bin heute einundsiebenzig Jahr alt, und hab' Vater und Mutter geehret, und Niemand meines Wissens um des Hellers Werth im Leben vervortheilt, und hab' an meinem Glauben gehalten treu und redlich, und hab' in Eurem Hause gedient vierundvierzig Jahr, und erwarte jetzt ein ruhig seliges Ende, ach, Herr, Herr! (umfaßt seine Kniee heftig) und Ihr wollt mir den letzten Trost rauben im Sterben, daß der Wurm des Gewissens mich um mein letztes Gebet bringe, daß ich ein Gräuel vor Gott und Menschen schlafen gehen soll? Nein, nein, mein liebster bester, liebster gnädiger Herr! Das wollt Ihr nicht, Das könnt Ihr nicht wollen von einem einundsiebenzigjährigen Manne. Franz. Ja oder Nein! was soll das Geplapper? Daniel. Ich will Euch von nun an noch eifriger dienen, will meine dürren Sehnen in Eurem Dienst wie ein Taglöhner abarbeiten, will früher aufstehen, will später mich niederlegen – ach, und will Euch einschließen in mein Abend- und Morgengebet, und Gott wird das Gebet eines alten Mannes nicht wegwerfen. Franz. Gehorsam ist besser, denn Opfer. Hast du je gehört, daß sich der Henker zierte, wenn er ein Urtheil vollstrecken sollte? Daniel. Ach ja wohl! aber eine Unschuld erwürgen – einen – Franz. Bin ich dir etwa Rechenschaft schuldig? Darf das Beil den Henker fragen, warum dahin und nicht dorthin? – Aber sieh, wie langmüthig ich bin – ich biete dir eine Belohnung für Das, was du mir huldigtest. Daniel. Aber ich hoffte, ein Christ bleiben zu dürfen, da ich Euch huldigte. Franz. Keine Widerrede! Siehe, ich gebe dir einen ganzen Tag noch Bedenkzeit! Überlege es nochmals. Glück und Unglück – hörst du? verstehst du? das höchste Glück und das äußerste Unglück! Ich will Wunder thun im Peinigen. Daniel (nach einigem Nachdenken). Ich will's thun, morgen will ich's thun. (Ab.) Franz. Die Versuchung ist stark, und der war wohl nicht zum Märtyrer seines Glaubens geboren. – Wohl bekomm's denn, Herr Graf! Allem Ansehen nach werden Sie morgen Abend Ihre Henkermahlzeit halten! – Es kommt Alles nur darauf an, wie man davon denkt, und Der ist ein Narr, der wider seine Vortheile denkt. Den Vater, der vielleicht eine Bouteille Wein weiter getrunken hat, kommt der Kitzel an – und draus wird ein Mensch, und der Mensch war gewiß das Letzte, woran bei der ganzen Herculesarbeit gedacht wird. Nun kommt mich eben auch der Kitzel an – und dran krepiert ein Mensch, und gewiß ist hier mehr Verstand und Absichten, als dort bei seinem Entstehen war – Hängt nicht das Dasein der meisten Menschen mehrentheils an der Hitze eines Juliusmittags, oder am anziehenden Anblick eines Betttuchs, oder an der wagrechten Lage einer schlafenden Küchengrazie, oder an einem ausgelöschten Licht? – Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der Verneinung seiner Geburt sich einkommen la**en, an ein bedeutendes Etwas zu denken? Verflucht sei die Thorheit unserer Ammen und Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und gräßliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten abergläubischer Finsterniß legen – Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das Wort flattert – die Natur vergaß einen Mann mehr zu machen – die Nabelschnur ist nicht unterbunden worden – der Vater hat in der Hochzeitnacht glatten Leib bekommen – und die ganze Schattenspielerei ist verschwunden. Es war etwas und wird nichts – heißt es nicht eben so viel, als: es war nichts und wird nichts, und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt – der Mensch entsteht aus Morast, und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gährt wieder zusammen in Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unfläthig anklebt. Das ist das Ende vom Lied – der morastige Zirkel de menschlichen Bestimmung, und somit – glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag runzlichte Weiber aus Bordellen jagen und alte Wucherer auf dem Todesbett foltern – bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen. (Er geht ab.)