Vielleicht, mein Bruder, wäre alles ganz anders gekommen Doch mit Gewissheit sagen kann ich's nicht Vielleicht hätt die Geschichte einen andren Lauf genommen Mag sein, es fällt auch gar nicht ins Gewicht Doch frag ich mich bedauernd, ohne es so recht zu wollen Was wäre, wenn nicht ich der Jüng're wär Und wäre unser Schicksal nun vertauscht und unsere Rollen Doch diese Frage wird wohl nie geklärt Vielleicht, mein Bruder, musstest du zu früh die Liebe teilen Die Mutter dir geschenkt zunächst allein Das Teilen fiel dir schwer und deine Angst konnt niemand heilen Die sich bei allem Fremden stellte ein Ich weiß nicht, ob ich tausche, könnte ich den Weg auswählen Hätt ich gewusst, wohin die Reise zielt Denn du warst so gewohnt zu unterdrücken und zu quälen Und ich zu wissen, wie ein Opfer fühlt Bruder, auf der anderen Seite weiß niemand genau, wie es wär Bruder auf der anderen Seite, das Leben ist doch niemals fair Was wäre, wärst du nicht der Erste und ich nicht der Zweite So, denk ich, ist es, Bruder, auf der anderen Seite Vielleicht, mein Bruder, waren wir vom Schicksal auserkoren Im Streit zu leben und so nicht-verwandt Als wären wir nicht in die gleiche Welt hineingeboren Und augenscheinlich nicht ins gleiche Land Wir konnten uns nur auf verschiedenen Seiten wiederfinden Als jäh ein Riss durch die Gesellschaft ging Die einen wollten Führung, andre sahn die Freiheit schwinden Wir wurden Feinde, als der Kampf anfing Du, Bruder, wolltest stolz hinter den Fahnen hermarschieren Geblendet von Versprechungen und Macht Und wer wie ich versuchte gegen Ha** zu demonstrieren Der fürchtete Besuch von euch bei Nacht So manchen kamt ihr holen, der verschwand bei Nacht und Nebel Ich fragte mich so oft, bist du dabei Wenn sie mich holen kommen und in Fesseln und mit Knebel Mich fast ersticken und den Hilfeschrei Bruder, auf der anderen Seite weiß niemand genau, wie es wär Bruder auf der anderen Seite, das Leben ist doch niemals fair Am Ende, denn es gab zu viel von dem, was uns entzweite Stand jeder von uns, Bruder, auf der anderen Seite Aus Kampf wurde ein Krieg und viel ist allen nicht geblieben Als Scherben, Schutt und Leid im Überfluss So viele Lebensläufe sind für immer ausgeschrieben Und fanden viel zu schnell und früh den Schluss Ach, Bruder, wie ich wünschte, da** wir uns bald wiedersehen Als Kinder ohne Angst und ohne Ha** Ganz einfach nur zwei Jungen, die im Sommer spielen gehen Mit kurzen Hosen durch das lange Gras Vielleicht als Forscherfreunde einen Bachlauf anzusteuern So möchte ich uns gerne sehn, vereint Wo alles Fremde, statt zu ängstigen ein Abenteuer Und wunder- wie geheimnisvoll uns scheint Wir werden uns verstehn in jenen fernen Sommertagen Und leben einmal in demselben Land Wir ziehn die Stiefel aus und grinsend werden wir ihn wagen Den Schritt zur andren Seite Hand in Hand Bruder, auf der anderen Seite weiß niemand genau, wie es wär Bruder auf der anderen Seite, das Leben ist doch niemals fair Wenn jeder von dem, was er war, sich schließlich ganz befreite Ich warte auf dich, Bruder, auf der anderen Seite Dann warte ich, mein Bruder, auf der anderen Seite