Wo sie auch immer stand und ging
Ob eine Grauwolke über ihr hing -
Immer lag Sonne auf ihrem Kastanienhaar!
Wann immer ich sie angeschaut
Schimmerte bronzen ihre Haut -
Sie war die Tochter vom Leihbibliothekar!
Wenn sie sich streckte, den Kriminalroman
Für mich von den höchsten Regalen nahm
War sie leibhaftig so schön wie Loreley!
Ich starrte die Himmelsleiter hinauf
Da schlingert mein Boot, ich denk' ich ersauf' -
Da regt sich so mancherlei!
Doch meine Regung ging ihr nicht nah -
Sie liebte den persischen Schah!
Wenn ich allmorgens zu ihr kam
Mit meinem Kriminalroman
Edel geschwellt vom Siege des Gerechten
Zeigte sie mir das Foto gleich -
Da saß er behaart, potent und reich
In dem Parfum aus tausend und mehr Nächten!
Ich schäumte und schrie: "Der üble Despot!
Dem tät' ein bisschen Bastillesturm not
Dem Playboy von Polizeignaden!"
Sie lächelte süchtig und sah schon ganz fern
Beschwärmte den goldgefa**ten Herrn -
Ich konnte dem Wahnbild nicht schaden!
Wenn es auch nur ein Märchen war -
Sie liebte den persischen Schah!
Als dann die Zeitung mit Schwarzpulver schoss:
"Allah ist winzig - sein Schah riesengroß!"
Da standen wir beide am Straßenrand -
In den Karossen aus schwarzem Blech
Saßen sie aristokratisch und frech
Lächelten Trinkgeld für uns, den Vierten Stand!
Ich schwang die Gitarre, lachte und pfiff
Und spürte am Hals den genormten Griff
Und den Stoß der Lakaienfaust!
Ich kenne den Stiefel auf meinem Fuß
Die Knüppel, die Schreie und einen Schuss
Ich weiß, warum uns so graust
Im Morgenland graust
Im Abendland graust
Und morgens und abends
Und mittags und nachts
Immerzu graust!
Da war das Märchen allzu nah -
Da lächelte, lächelte, lächelte nicht nur der Schah!
Mancher verschloss dem Flüchtling die Tür
Dahinter hockt feist die Bürgergier
Nach Herrscherwollust und dem Ritt auf einem Pfau!
Einer hält über der Menschenjagd Wacht
Der lobet und preist, was die Jagdmeute macht -
Alles zu Ehren des Gottkaisers fruchtbarer Frau!
Mich trifft eine Stichflamme, heiße Wut -
So ist es, wie es ist - für wen ist es gut?
Die Wut läuft Amok - der Rücken übt Kotau!
Wo sollten die Machtlosen anderwärts flieh'n
Aus Barcelona, aus Boston, Berlin?
Seht, an der Grenze hängt einer im Drahtverhau!
Wo sie auch immer stand und ging
Ob eine Grauwolke über ihr hing -
Immer lag Sonne auf ihrem Kastanienhaar!
Wann immer ich sie angeschaut
Schimmerte bronzen ihre Haut -
Sie war die Tochter vom Leihbibliothekar!
Sie hat mir - im Traum - meine Wunden geküsst
Sie hat mich - im Traum - geliebt, gewiss
In tausend und mehr Nächten!
Ich wach' morgens auf im bewachten Exil
Lese die Zeitung und red' nicht mehr viel!
Später einmal - wenn Gott will - werd' ich singen vom Sieg der Gerechten!