Spoken prose:
Reisen in fremde Länder sind wirklich etwas sehr Schönes. Aber sie bedürfen einer umsichtigen
Planung. Bevor man abfährt sollte man zumindest wissen, wohin man reist, vor allem aber mit wem.
Eine alte Reiseweisheit sagt: "Lieber mit einem geliebten Wesen in den verschneiten Steppen
Sibiriens, als mit einem Ungeheuer am herrlichsten Palmenstrand". Ich bin ein Mann des
Kompromisses und fahre mit meinem geliebten Ungeheuer in die griechische Inselwelt.
Die Insel unserer Wahl heißt Lesbos und gilt als das Eiland der Dichterinnen und Dichter, besonders
Jener legendären Sappho, die nicht nur die lesbische Liebe erfunden haben soll, sondern überdies
Noch wunderschöne Gedichte schrieb, die möglicherweise auch an wunderschöne Frauen gerichtet
Waren.
Das Erste, was mir allerdings nach der Landung auf der Insel auffällt, ist ein für lesbische Verhältnisse
Unerfreulicher Männerüberhang. Unter den circa 250 wartenden Taxichauffeuren gibt es nur circa eine
Frau. Und die ist natürlich vorbestellt, natürlich von einem weiblichen Pärchen. So wählen wir denn
Von den verbliebenen 249 Chauffeuren den aus, der sich am meisten aufdrängt. Er fragt auf
Griechisch, ob wir englisch sprächen. Das gibt mir Gelegenheit einen der zwei mir geläufigen
Griechischen Sätze anzubringen, nämlich wir seien Deutsche und sprächen kein Griechisch. Das
Beantwortet zwar nicht direkt seine Frage, schafft aber klare Fronten.
"Ich lerne nämlich deutsch!" erklärt der Taxifahrer unvermittelt. "Von meiner Frau!" Toll, denke ich, so
Eine Frau habe ich mir auch schon immer gewünscht. "Im Sommer haben wir viel Arbeit mit dem Taxi,
Aber im Winter lernen wir deutsch." Aha, so teilt man sich also auf Lesbos die Jahreszeiten ein. Schon
Wissen wir eine ganze Menge über die Insel. Meine Liebste aber will noch mehr wissen. "Haben Sie
Familie in Deutschland?" Diese Frage war unvernünftig. Denn nun erklärt der Taxifahrer weitläufig die
Lesbos-Germany-Connection. Ich schalte automatisch die Ohren auf Durchzug, schaue mir die
Landschaft an und ab und zu auch meine Liebste, die gebannt der lesbiotischen Familiensaga
Lauscht. "Letztes Jahr haben wir Urlaub gemacht in Deutschland", schnappe ich gerade auf, "in
Wuppertal." Faszinierend. Da fährt unsereiner tausende von Meilen, um die heile griechische Inselwelt
Zu sehen, und dieser Mann setzt seine in sommerlicher Schwerstarbeit erworbenen Ersparnisse ein
Und macht Urlaub in Wuppertal!
Meine Liebste interessiert das allerdings augenblicklich nur am Rande, denn sie hat andere Probleme.
"Wir wollen mal kurz anhalten", stellt sie fest, "ich muss mal für kleine Lesben." Der Fahrer versteht
Nur Bahnhof und ich erkläre: "Sie möchte alpha, alpha machen!" Er wird ja wohl sein eigenes ABC
Verstehen.
In der Ferne, hoch auf dem Berg und leuchtend angestrahlt, steht etwas, wovon ich annehme, da** es
Das Schloss von unserem Zielort ist. Um nicht vorlaut oder altklug zu wirken halte ich diese Vermutung
Zurück bis der Taxifahrer sagt: "Das, was da oben auf dem Berg so leuchtet, ist schon das Schloss
Von eurem Zielort." ‚Schon' ist gut. Wir haben eine zweistündige Berg- und Talfahrt hinter uns, ein
Ebenso bewegtes Familienepos, gegen das die Ilias eine kümmerliche Kurzgeschichte ist. "Man sieht
Sich" ruft uns der Taxifahrer zum Abschied zu. "Im schlimmsten Fall in Wuppertal" entgegne ich
Vergnügt.
Bepackt wie Saumtiere treten wir am nächsten Morgen den Weg zum Meer an über steile Treppen
Und holperiges Pflaster. Die Sonne meint es gut mit uns. "Ein kleiner Esel wäre nicht schlecht" stöhne
Ich unter der Last meiner Strandutensilien. "Wieso? Wir haben doch dich!" entgegnet meine Liebste,
Die leichtfüßig einen Entwässerungsgraben überspringt.
Am Strand stapft vor uns ein fettleibiges Ehepaar, der Mann voran, nennen wir ihn Klöterjahn, um den
Literaten unter uns Gelegenheit zu geben darüber nachzudenken, wo ihnen dieser Name schon
Einmal begegnet ist. Unter den verfügbaren Sonnenschirmen wählt Herr Klöterjahn mit
Schlafwandlerischer Sicherheit den kaputtesten aus, mit den beiden ausgeleihertsten Liegestühlen.
Fluchend wuracht er an dem widerborstigen Schirm herum, der ihm immer wieder auf die Ohren fällt.
Am Liegestuhl klemmt er sich Hände und Füße. Der Wind treibt überdies noch seine Bildzeitung ins
Meer, das Meer spuckt sie angeekelt wieder auf den Strand. Herr Klöterjahn sieht aus, als würde er
Gleich in die Luft gehen, wie einst das geplagte HB-Männchen. Den Vorschlag seiner Frau jedoch,
Eine andere Liege zu wählen, ignoriert er. Lieber möchte er seine Wut an dem albanischen
Strandwächter ausla**en, der die Gebühr für Sonnenschirm und Liege ka**iert und natürlich kein
Deutsch versteht. "Hello" grüßt der Strandwächter freundlich "how are you?" "Schleim hier nicht rum,
Du albanische Filzlaus" grüßt Herr Klöterjahn zurück. "Yes, yes, I'm Alban from Kosovo" lächelt der
Strandwächter. "Nimm deine Kohle und verpiss dich, du Kanake" sagt Herr Klöterjahn. "Ja gern"
Entgegnet der Albaner akzentfrei "und Ihnen beiden noch einen schönen Tag."
Frau Klöterjahn möchte gerne sterben und meine Liebste möchte gern ins Strandcafe. Das Strandcafe
Ist brechend voll, wie immer, und kein Mensch nimmt Notiz von uns. Ich überlege, wie ich die
Aufmerksamkeit des Kellners erregen kann. Mein Standardsatz ‚wir sind Deutsche und sprechen kein
Griechisch' kommt nicht so recht zum Tragen. Da schießt mir die Erinnerung an einen versehentlichen
Besuch der heiligen Messe in den Kopf und ich rufe dem Kellner zu "Kyrie Eleison". Das ist
Altgriechisch und heißt auf Deutsch: "Herr, erbarme dich". Aber der Herr Ober erbarmt sich mitnichten.
Hilflos schaue ich meine Liebste an, die zuckt mit den Schultern, steckt zwei Finger in den Mund und
Stößt einen markerschütternden Pfiff aus. Schon steht das Essen auf dem Tisch. "Das ist bei uns so
Ouzo" lacht der Kellner.
Er war wohl auch schon mal in Wuppertal.