Im Jahr 2013 schrieb ich in Kiel
Mein hundertstes Lied, es war kritisch-sozial
Ich dachte: Wow, wie fleißig, hundert ist viel
Ne Zahl mit zwei Nullen, ne echt fette Zahl
Doch dann ging ich nach Aachen auf einen Kongress
Politik und Musik und man stellte mir Fragen
Und wie soll ich nur sagen: Ich geriet sehr in Stress
Denn die Menschen begannen sich gleich zu beklagen:
Herr Ratz, wir verfolgen seit Jahren ihr Werk
Doch wo bleibt das Lied übers Grundeinkommen?
Und ein anderer rief böse, es sei ja noch nie Berg-
isch-Gladbach in einem Text vorgekommen
Eine Frau, die dem Weinen sehr nahe kam
Denn ihre Nichte litt an Bulemie
Und sei auch am rechten Bein etwas lahm
Schrie, sie wünschte, ich schrieb mal ein Lied über sie
Und ein Herr um die sechzig sagte empört
Es werde so viel übers Saufen gesungen
Aber er hätte noch nie einen Sänger gehört
Dem ein Lied über das...
reziproke Verhältnis diametraler Rhythmik im Raumzeitkontinuum
...gelungen
Ich will ja keinen enttäuschen, ich bin ja kreativ
Ich werde noch einiges schreiben, ihre Beine sind schief?
Bulemie, ein großes Thema, las ich neulich im Stern
Ach, lahm ist das Bein, Entschuldigung, ja, mach ich gern
Und ich schreib über Gärten, Käfer und Blumen
Und Mehlsorten, Torten, Rosinen und Krumen
Über die große Koalition in den achtziger Jahren
Und über Nackte in Sachsen, die Fahrrad fahren
Über Bodenseewa**er und eventuell
Über Sex, diesmal heteroflexibel
Über halbh*mo, wie? Über Milben? Na klar
Über Milben schreibe ich fast jedes Jahr
Ja, ich mach auch ein Lied über Rechtschreibreform
Inkontinenz interessiert mich enorm
Über Putenmast, Frauenknast, über Hygiene
Über Internet, Speisefett und Einschlafprobleme
Über Silikon, Finderlohn, Amputation
Über Menstruation bei Vater und Sohn
Übers Wohnen in Zonen und Sportlerikonen
Und Komplikationen durch Blähung bei Bohnen
Und Institutionen, die Drohnen nicht schonen
Und Reputationen von Leuten, die klonen
Ich schreib auch ein Lied übers Schreiben von Liedern
Und Fragen, die Fragen mit Fragen erwidern
Über Wilde, die irren und Irre, die wildern
Und mit Bild im Bild von bebilderten Bildern
Den erfrischenden Witz vom fischenden Fritz
Und den Straßenschäden zwischen Hünfeld und Schlitz
Auch die Wa**ergüte vom kaspischen Meer
Ist ein Bombenthema, gibt richtig was her
Und obs geil oder kra** war oder kra** oder geil
Und obs ein Gegenteil gibt von Gegenteil
Meine Damen und Heren, ist das okay?
Und der Saal schwieg lange und sagte dann: Nee!
Ist nicht politisch genug, nicht up-to-date
Wo bleibt die Hochzeit von Königin Kate?
Wo bleibt das Lied über Windenergie?
Über Euthanasie und Blasphemie?
Übers Wahlprogramm der jungen Union?
Oder Suchtberatung am Telefon?
Übers alte, geballte, kalte Sein?
Ach, leck mich, rief ich, das mach ich nicht, nein
Ich sage: Leck mich
Ich sage: Leck mich, das mach ich nicht
Im Jahr 2013, da hatt ich einen Traum
Ein Unterschied zur Wirklichkeit?
Ich würde sagen: kaum
Ich dachte, puh, wie stressig, das träum ich nicht noch mal
Und wenn mal wer ein Lied nicht mag
Und hat nen Wunsch zu Vatertag
Ein Vorschlag und ein Thema
Konzept oder ein Schema
Das kann er selber schreiben
Ich la**e das hübsch bleiben
Ich sage: Leck mich
Ich sage: Leck mich, das schreib ich nicht
Die Worte, die sind deutlich, doch ich setz noch einen drauf:
Statt öde rumzumeckern, steht doch selber auf
Meckern hat noch niemals das Gute angeregt
Du bewegst nur etwas, wenn dein Herz den Arsch bewegt
Wenn dein Herz deinen Arsch bewegt
Und nicht umgekehrt