Sie sind da. Ganz nah. Wenn du genau hinsiehst, wenn du mit den Augen zwinkerst und ganz genau hinsiehst, dann kannst du sie erkennen. Und wenn du alle Geräusche ausblendest, kein Radio, kein Fernseher, dann – wenn du ganz genau lauschst – dann kannst du sie hören. Sie sind da. Zunächst hält man ihr Sprechen für ein monotones Wispern, ein Hintergrundgeräusch, das einlullt. Aber wenn man ganz genau hinhört, ganz genau, dann versteht man sie. Und wenn man sich dann noch stärker konzentriert, dann erkennt man, da** sie Wohnungen, Straßen, Geschäfte haben – genau wie wir. Nur viel kleiner. Mikroskopisch klein. Sie leben hier bei mir, in meinem Zimmer. Auf dem Fußboden. Seit ich sie entdeckt habe, wage ich kaum noch, mich zu bewegen. Ich befürchte, da** ich sie verletzen, ihre Welt beschädigen oder zerstören könnte. Wer weiß, wie viel davon ich schon zerstört habe, in der Zeit, als ich sie noch nicht bemerkt hatte, als meine Sinne noch nicht so geschärft waren, wie sie es heute sind.
Stundenlang kann ich da sitzen und sie beobachten. Wie sie lachen, streiten, wie sie ihr Leben meistern, manchmal auch versagen und aufgeben. All das beobachte ich mit einer gewissen Neugier, aber dennoch auf eine seltsame Art unbeteiligt. Fast ist es so, als wäre ich ihre Schöpferin, die sich längst aus der Verantwortung gestohlen hat. Und die sich – wie ein Voyeur – die Zeit damit vertreibt, zuzusehen, wie die Dinge geschehen. Manchmal fährt mir ein vermessener Gedanke durch den Kopf: Was, wenn Gott – indem er die Welt und alles in ihr schuf – damit seine schlimmsten Ängste und Phantasien materialisiert hat? Was, wenn er – vielleicht auf Anraten seines Psychiaters – alles, was wir kennen, erschuf, um sich selbst davon zu befreien? Was, wenn Gott, als geheilt erklärt, längst von dannen gezogen ist? Tot. Sie sind da! Ganz nah.