Am heutigen Tag hat sich ein ungewöhnlicher Vorfall ereignet. Ich stand morgens ziemlich spät auf; denn erst als Mawra mir die geputzten Stiefel brachte, fragte ich, wie spät es sei. Als ich erfuhr, da** zehn schon lange vorüber war, beeilte ich mich mit dem Ankleiden. Ich wäre gar nicht ins Departement gegangen, denn ich wusste im voraus, was für eine saure Miene unser Abteilungsleiter ziehen würde. Er hat schon immer gesagt: »Was ist das für ein Wirrwarr in deinem Kopf, Freundchen? Manchmal rennst du umher wie ein Besessener, bringst die Akten durcheinander, da** selbst der Satan sie nicht wieder auseinander-sortiert, schreibst die Titel mit kleinen Anfangsbuchstaben, gibst keine Aktennummer und kein Datum an.« Verfluchter Quaker! Er ist wahrscheinlich neidisch, weil ich im Zimmer des Direktors sitze und für seine Exzellenz die Federn anspitze. Kurzum, ich wäre nicht ins Departement gegangen, hätte mich nicht die Hoffnung getrieben, den Ka**ierer zu sehen und von diesem Juden vielleicht einen Vorschuss auf mein Gehalt zu erbetteln. Das ist ein Geschöpf! Ehe der einmal das Geld im voraus gibt – Herr du mein Gott, eher bricht das Jüngste Gericht herein. Da kann man bitten, bis man platzt, da kann man in der äußersten Not sein – nichts gibt er heraus, der grauhaarige Teufel. Zu Hause aber wird er von seiner Köchin geohrfeigt. Das weiß alle Welt. Ich sehe keinen Vorteil darin, im Departement zu dienen. Nicht die geringsten Zuschüsse erhält man da. In der Gouvernementsverwaltung, im städtischen oder im Gerichtsdienst ist das eine andere Sache. Dort gibt es nämlich manchen, der sich nur in ein Eckchen drückt und schreibt. Er hat einen grässlichen Frack an und eine Fratze, die man anspucken möchte, aber man muss sehen, was für ein Landhaus er sich mietet. Eine vergoldete Porzellanta**e darf man dem gar nicht erst anbieten. »Das ist ein Geschenk für einen Doktor!« sagt er. Ihm muss man ein Paar Traber bringen oder eine Kutsche oder einen Biberpelz von dreihundert Rubel Wert. Er sieht so sanftmütig aus und spricht mit so viel Zartgefühl: »Reichen Sie mir bitte das Messerchen, damit ich das Federchen beschneiden kann«, und dann beschneidet er so, da** dem Bittsteller bloß noch das Hemd verbleibt. Unser Dienst ist ja anderseits vornehmer; es herrscht in allem eine Sauberkeit, wie sie die Gouvernementsverwaltung in alle Ewigkeit nicht sieht. Die Tische sind aus Mahagoniholz, und alle Abteilungsleiter reden sich mit Sie an. Doch ich gestehe es, wenn diese Vornehmheit des Dienstes nicht wäre, ich hätte längst das Departement verla**en.
Ich zog meinen alten Mantel an und nahm den Regenschirm, weil gerade ein Platzregen niederging. Kein Mensch war auf der Straße. Nur alte Weiber, die sich den Rock über den Kopf zogen, und russische Kaufleute mit Regenschirmen und Eilboten sah ich. An Vor-nehmen traf ich nur einen meinesgleichen, einen Beamten. Ich sah ihn an der Kreuzung stehen und sagte mir gleich: Aha! Nein, mein Täubchen, du gehst nicht ins Departement, du läufst der nach, die vor dir geht, und betrachtest ihre Beinchen! Was sind doch die Beamten für Bestien! Bei Gott, sie stehn den Offizieren nicht nach. Es braucht nur eine im Hut vor-überzugehn, schon heften sie sich an ihre Fersen. Während ich das überlegte, sah ich einen Wagen an dem Geschäft vorfahren, an dem ich gerade vorbeiging. Ich erkannte ihn sogleich: Das war der Wagen unseres Direktors. Aber für ihn gab es nichts in dem Laden zu kaufen. Ich dachte: Wahrscheinlich ist es seine Tochter. Ich drückte mich an die Mauer. Der Lakai öffnete den Wagenschlag, und sie flatterte wie ein Vögelchen aus dem Wagen. Wie schaute sie nach rechts, nach links, wie blitzten ihre Augen und zuckten ihre Brauen! Herr du mein Gott! Ich war verloren, war rettungslos verloren. Warum fährt sie nur bei solchem Regenwetter aus! Jetzt behaupte noch einer, die Leidenschaft der Frauen für Fähnchen sei nicht groß. Sie erkannte mich nicht, und ich schlug absichtlich den Kragen vors Gesicht, weil mein Mantel schmutzig und obendrein von altmodischem Schnitt war. Jetzt trägt man Mäntel mit langen Kragen; ich aber hatte kurze Kragen, einen über dem andern. Und auch das Tuch war nicht verfeinert. Ihr Hündchen war nicht schnell genug durch die Tür des Ladens geschlüpft und blieb auf der Straße. Ich kenne das Hündchen. Es heißt Maggy. Noch war keine Minute vergangen, als ich ein feines Stimmchen hörte: »Guten Tag, Maggy!« Was ist denn das? Wer spricht da? Ich drehte mich um und sah zwei Damen unter einem Regenschirm vorübergehen. Die eine war alt, die andere jung. Schon waren sie vorbei, da hörte ich neben mir wieder: »Deine Sünden mögen über dich kommen, Maggy!« Zum Teufel auch! Ich sah, da** Maggy sich mit dem Hündchen beschnupperte, das zu den Damen gehörte. Ei, sagte ich mir, jetzt hört doch alles auf. Bin ich denn betrunken? Doch das kommt selten bei mir vor. »Nein, Fidele, du denkst falsch von mir« – ich sah mit eigenen Augen, da** Maggy es war, die sprach –, »ich war, wau, wau ! – ich war sehr krank, wau, wau!« Ei, du bist eines, Hündchen! Ich war sehr verwundert, sie so nach Menschenart sprechen zu hören. Aber als ich mir alles ordentlich überlegte, wunderte ich mich nicht mehr. In der Tat, auf der Welt hat es schon eine Menge ähnlicher Fälle gegeben. Man sagt, in England sei ein Fisch aufgetaucht und habe zwei Worte in einer so seltsamen Sprache gesprochen, da** sich die Gelehrten schon seit drei Jahren bemühen, die Sprache festzustellen, und bis zum heutigen Tage noch nicht die richtige fanden. Ich habe auch in der Zeitung von zwei Kühen gelesen, die in einen Laden kamen und ein Pfund Tee verlangten. Und doch muss ich gestehen, ich war sehr erstaunt, als Maggy sagte: »Ich habe dir geschrieben, Fidele. Wahrscheinlich hat Cäsar dir meinen Brief nicht gebracht.« Ich will mein Gehalt nicht bekommen! Mein Lebtag hatte ich nicht gehört, da** Hunde schreiben können. Richtig schreiben kann nur der Edelmann. Zwar schreiben auch manche Kaufleute und Kontoristen, und sogar Leibeigene verstehen sich darauf; aber ihr Schreiben entbehrt meistens jeglicher Überlegung, sie kennen keine Kommas, keine Punkte, keinen Stil.
Das wunderte mich also. Ich muss zwar gestehen, da** ich seit einiger Zeit öfters Dinge höre und sehe, die noch kein Mensch gesehen oder gehört hat. Ich will dem Hündchen nachgehen, sagte ich mir, und sehen, was es mit ihm auf sich hat und was es sich so denkt.
Ich spannte meinen Schirm auf und ging den beiden Damen nach. Sie wandten sich nach der Erbsenstraße, bogen in die Kleinbürgerstraße ein, von dort in die Tischlerstraße, gingen endlich zur Kuckucksbrücke und blieben vor einem großen Haus stehen. Das Haus kenne ich, sagte ich mir. Es ist das Haus Swerkows. Das ist ein Monstrum! Da wohnen Leute drinnen! Köchinnen, Ausländer und Beamte wie ich – wie Heringe, einer über dem andern. Hier wohnt auch ein Freund von mir, der die Trompete gut bläst. Die Damen stiegen bis zum fünften Stockwerk hinauf. Gut, dachte ich, ich folge ihnen jetzt nicht, beobachte aber den Ort, und die erste Gelegenheit nehme ich wahr.