In der holprigen Straße, im hölzernen Haus,
da wohnte ein Mädchen, das trat kaum heraus.
Sie lebte allein und sprach nur mit Gott,
mit ihr trieben Kinder oft Spott.
Sie war klein und zierlich und ging etwas krumm,
denn sie trug unterm Jäckchen 'nen Buckel herum.
Manchmal warfen Jungs nach ihr Steine und Dreck
und kreischten: "Ey, Hexe, geh weg!"
Vielleicht war sie siebzig, vielleicht war sie zehn,
sie war halt ein Kind, das viel Leid hat gesehen.
Sie huschte zur Kirche und wieder nach Haus,
sah bitter und müde meist aus.
Einmal als sie heim kam, da fand sie entsetzt,
im Schnee einen Raben, die Flügel verletzt.
Und neben dem Tier einen kantigen Stein.
Schnell trug sie den Raben hinein.
Sie zog ihre wollene Strickjacke aus
und machte dem Raben ein Bettchen daraus.
Sie tränkte ein Löckchen in Heilkräutersud,
wie tat das dem kranken Tier gut.
Sie pflegte den Raben, sang leis' in sein Ohr,
mal Schlaflieder, manchmal ein Weihnachtslied vor.
Und lachte, denn immer beim "Halleluja"
sang er ein zufriedenes "Kraah!"
Zwar fühlte der Rabe sich wohl in dem Haus,
doch als er gesund war, wollt' er gern hinaus.
Da tat sie ihm traurig die Tür auf und schon
flog krächzend der Rabe davon.
Sie lachte und weinte vor Kummer und Glück,
ganz fern flog das Tierchen und kam nicht zurück.
Sie schaute und schaute, bis sie nichts mehr sah.
Noch krümmer als sonst stand sie da.
Der Schnee fiel herab und der Mond zog herauf.
Das Mädchen sah immer noch blicklos hinauf.
Da flatterte schwarz überm mondbleichen Schnee
der Rabe ganz in ihrer Näh'.
Behänd' ist er auf ihren Buckel gehupft,
hat da mit dem kräftigen Schnabel gezupft.
Und so, als ob man einen Fallschirm aufknüpft,
sind ihr ein Paar Flügel entschlüpft.
Erst hat sie nur leicht ihre Flügel bewegt
und sich dann mit Schwung in die Winde gelegt.
Zog noch ein paar Kreise hoch über dem Dach,
dann südwärts, der Rabe ihr nach.
Hey, war das ein Engel, ein menschlicher Schwan?
Die in jener Nacht aus dem Fenster raus sahen,
haben unheimlich lange zum Himmel geblickt
und sich in die Arme gezwickt.