1 Einleitung
Ziel dieser Hauptseminars-Hausarbeit im Fach Geschichte soll es sein, einen Einblick in die frühe Phase der Punkbewegung der DDR zu geben. Die leitende Fragestellung soll hierbei sein, welchen Besonderheiten die Bewegung in der DDR unterworfen war. Im ersten Teil der Arbeit soll auf den Stand der Forschung zum Thema „Punkbewegung in der DDR“ eingegangen werden. Im Anschluss an den Forschungsstand soll eine – für den Zweck dieser Arbeit vereinfachte – Darstellung über die Entstehung der Punkbewegung und ihre Hauptanliegen im nichtdeutschen Ausland erfolgen. Hierbei wird bewusst auf die Punker in England und in Amerika eingegangen, um dann im nächsten Schritt zu untersuchen, ob die genannten Motive und Figuren sich auch in der ostdeutschen Bewegung wiederfinden la**en. Hierbei soll eine Beschreibung der DDR-Punker und der Entwicklung der DDR-Punkszene folgen, wobei auf die eigene Perspektive der Punks eingegangen wird. Gesondert hiervon wird auf die Einflussnahme, die das Ministerium für Staatssicherheit auf die Punkszene ausübte, eingegangen. Im letzten Schritt soll anhand einer an*lyse und Interpretation von Punk-Songtexten versucht werden, die Wahrnehmung der frühen Punks zu rekonstruieren. Im anschließenden Fazit soll zusätzlich zur üblichen Zusammenfa**ung noch ein Ausblick gegeben werden, welche Aspekte des Themas noch weiterer Forschung bedürfen.
Obwohl es inzwischen Versuche gibt die Begriffe 'Punker' und 'Punks' inhaltlich voneinander zu unterscheiden, werden diese Begriffe als Synonyme benutzt und beschreiben aktive Mitglieder in der Punkbewegung.
Fehler in Zitaten, die durch die sogenannte „Alte Deutsche Rechtschreibung“ bedingt sind, werden nicht durch ein „[sic!] markiert.
2 Forschungsstand
Zum Thema Rock- und Punk-Musik in der DDR haben bereits verschiedene Autoren Texte verfa**t. Die Qualität hierbei ist sehr unterschiedlich. Durch die Umstände, die später in der Arbeit erläutert werden, ist die Quellenlage zur Punkbewegung sehr einseitig. Oftmals werden die Akten des MfS als Quelle angeführt.1 Ebenfalls wird die Darstellung der jungen Punker in westlichen Medien als Quelle herangezogen. Nur selten kann auf Quellen direkt aus der Bewegung zurückgegriffen werden - etwa Flugblätter, Zeitschriften oder zumindest Fanzines, die es für 'westliche Länder' durchaus gibt2 - , da diese nie eine offizielle Überlieferung in Archiven erfuhren und sich meist in privaten Sammlungen befinden.3 Beim Archiv für Jugendkulturen in Berlin sind einige Quellen verfügbar, doch konnte für diese Arbeit leider keine Möglichkeit gefunden werden, in diese Einsicht zu erhalten.
Zum Thema Restriktion durch das Ministerium für Staatssicherheit ist vom Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR eine 66-seitige Broschüre mit unbekanntem Autor erschienen. Hierin werden verschiedene Akten des MfS zitiert, um darzustellen, wie die Staatsmacht versuchte den Punks Einhalt zu gebieten.4 Der Fokus liegt hauptsächlich bei der Restriktion der Punks durch das MfS und eher populistischen und unbelegten Ausführungen über dessen Anwerbung von Informellen Mitarbeitern (IM) in der Punk-Szene der DDR. Welche Auswirkungen dies alles auf die Bewegung tatsächlich hatte, lässt der Text offen. Auch weitere Texte zum Thema berühren das Thema der Einflussnahme durch das MfS, hierauf soll dann individuell hingewiesen sein.
In einem Sammelband zum Thema Rock-Musik in der DDR5 sind die Aufsätze von Michael Rauhut6 und Susanne Binas7 von Interesse.
Rauhut beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Wahrnehmung der jungen Punks durch ihre Umwelt, die er z.B. mit Artikeln aus ostdeutschen Zeitungen belegt. Auch hier werden teilweise offizielle Schriften von Staatsorganen zitiert.
Binas stellt in umfangreicher Weise dar, wie die DDR-Punks trotz fehlender Druckgenehmigungen und der Unmöglichkeit von Plattenveröffentlichungen mit viel Arbeit doch schafften ein Publikum zu erreichen. Im hauptsächlichen Fokus dieses Aussatzes steht die Herstellung und Verbreitung von ostdeutscher Punkmusik durch Ka**ettenaufnahmen. Binas kann hierbei auf diverse Quellen aus der Szene zurückgreifen, die sie in ihrer privaten Sammlung hat.
Ebenfalls von Michael Rauhut ist ein weiterer Aufsatz, der unter anderem auch die spätere Beeinflussung der DDR-Punkbewegung durch die westdeutschen Punks beschreibt.8 Auch die Einflussnahme durch das MfS mittels Informeller Mitarbeiter wird in diesem Aufsatz nochmals stärker thematisiert, wobei Rauhut hier viel differenzierter als die Informationsbroschüre des Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit vorgeht. So bearbeitet er nicht nur die MfS Akten, die sich konkret mit der Punkbewegung beschäftigen, sondern auch Informationsbroschüren und allgemeine Anweisungsblätter für die Staatssicherheit werden von ihm angeführt, um ein runderes Bild davon zu geben, wie die Punks vom MfS wahrgenommen wurden und wie man gegen sie vorzugehen gedachte.
Ronald Galenza und Heinz Havemeister haben eine Sammlung von Essays und Interviews veröffentlicht9, die sich mit alternativer Musik und Jugendkultur in der DDR beschäftigt. Leider fehlen bei den meisten Beiträgen, gerade bei den Interviews, zusätzliche Erklärungen, Erläuterungen und an*lysen, die den Kontext darstellen, den sie beschreiben. So bleiben die Beiträge wenig aussagekräftig.10
Im Rahmen der Ausstellung 'ostPUNK! Too much future' in Berlin 2005 ist ein Band – inzwischen in einer neuen und erweiterten Auflage verfügbar - mit Essays erschienen, die meist autobiographisch verschiedene Aspekte der Punkbewegung im Osten beleuchtet.11
Gilbert Furian stellt in seinem Band12 einige Interviews mit Punks und Berichte von Punks zur Verfügung, die er in den frühen achtziger Jahren gesammelt hat. Dazwischen finden sich Fotos, Zeitungsausschnitte und Auszüge aus MfS Dokumenten. Furian beschreibt an seiner eigenen Biographie, wie das MfS gegen Punks vorging. Leider wird auch hier nur Inhalt wiedergegeben und keine Relativierung oder Erklärung zu diesem gemacht.
Einige andere Beiträge zur Forschung sind erschienen, waren jedoch zur Erstellung dieser Hausarbeit nicht verfügbar.13
Über die Schwierigkeiten eines alternativen Lebensstils, die Unterdrückung durch den Staat und das MfS und die Musiker und Bands der DDR Punkbewegung ist durchaus eine große Anzahl von Veröffentlichungen verfügbar. Auch diverse, meist retrospektiv verfa**te Aufsätze und Interviews von und mit Mitgliedern der Bewegung gibt es. Doch über die tatsächliche damalige Lebenswelt der Punks kann man nur wenigen Texten Informationen entnehmen. Kontemporäre Quellen sind leider kaum verfügbar. Punks wurden spätestens ab 1983 durch den Staat gezielt drangsaliert, doch warum wurde ein junger Mensch in der DDR überhaupt Punk? Auf diese Frage soll im entsprechenden Abschnitt dieser Arbeit eine Antwort gefunden werden.
3 Punk
Es wäre naiv zu glauben, da** man eine Bewegung wie den Punk durch einige an*lysen und Beschreibungen allumfa**end darstellen könnte. Diverse Versuche hierzu haben letztendlich ergeben: „Punk [ist] etwas höchst Individuelles und letztendlich für jede und jeden etwas anderes. Ergo gab es auch immer starke regionale wie zeitliche Unterschiede.“14 Es wäre falsch im Zusammenhang mit Punk von einer gemeinsamen Ideologie und gemeinsamen konkreten Zielen, wie es sie etwa bei der 'Atomkraft Nein Danke'-Bewegung gab, auszugehen. Tatsächlich gab es beim Punk meist sogar von Gruppierung zu Gruppierung unterschiedliche eigene 'Punk-Ideologien'.15 Ideologie ist in diesem Zusammenhang als System moralischer und politischer Grundsätze zu verstehen, die die Macht- und Lebensansprüche der Punks legitimieren soll.16 Daher können die hier folgenden Beschreibungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und auch sicher nicht die Lösung für alle Fragen zum Thema bieten. Letztlich soll hier ein kurzer Einblick in die Bewegung und die ihr innewohnenden Dynamiken gegeben werden, um eine Grundlage für die weitere Arbeit zu haben.
Seit den Jahren ihrer Entstehung wird versucht die Punk-Bewegung und ihrer verschiedenen Spielarten, ihre Motivationen und ihren alternativen Lebensentwurf zu ergründen und diese in einen soziologischen oder historischen Kontext zu setzen. Gerade dem amerikanischen und englischen Punk wird hierbei ein hoher Stellenwert beigemessen, gelten diese doch als erste Erscheinungen des Punk, von dem aus sich die Bewegung und ihre Formen ausbreiteten. Verschieden Autoren benennen verschiedene Ereignisse als Geburtsstunde des Punk. Doch ist der Entstehungsort und Entstehungszeitpunkt von Punk oder Punkmusik nicht von wirklich großer Bedeutung, da erst in den späten siebziger Jahren eine eigene sinngebende Definition der Bewegung stattfand und sich ein politisches Selbstverständnis der Punks entwickelte.17 Die Punkmusik als solche war im Westen dabei fast nebensächlich, „[e]s erscheint idealisierend und unglaubwürdig, da** Rockmusik (…) jemals einen über Unterhaltung hinausgehenden, höheren Zweck verfolgt haben soll.“18 Es waren vielmehr die Lebensumstände der jungen Menschen in den späten Siebzigern, die der Punkmusik einen politisch aufgeladenen Sinn gaben, da in der Musik die Punks ihre Ansichten und Wünsche wirksam äußern, sowie gezielt provozieren konnten: „Für die vielen Leute, die Sozialhilfe bezogen (...), und vor allem für viele junge Leute, schienen die Chancen schlecht, ihr Schicksal zu verbessern. In dieser Atmosphäre, in der die Engländer unter den Einfluss des zukunftsweisenden Punkrock der New Yorker Szene gerieten, nahmen Ironie, Pessimismus und amateurhafter Stil der Musik offen soziale und politische Züge an.“19
Punk wird hier als Reaktion und Ausdrucksform von Jugendlichen auf eine Umwelt gewertet, die für sie und ihre Möglichkeit zur Entwicklung und Selbstverwirklichung keine Perspektive bietet: „Punk in Großbritannien war letztlich eine Bewegung von unterprivilegierten, weißen Jugendlichen der Arbeiterkla**e. Vielen von ihnen ging ihre soziale Situation sehr nahe, und sie benutzten das Medium des Punk, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken.“20 Die wachsende Arbeitslosigkeit in den späten Siebzigern und der Mangel an Perspektive führten unter anderem zu dem von der britischen Punk-Band The Sex Pistols geprägten Ausspruch „No Future“21. Dieser wurde zu einer Art Motto der Punkbewegung. Die jungen Menschen, die sich zum Punk bekannten und in diesem wiederfanden hatten keine Perspektive und lehnten die Umstände und die Gesellschaft ab, in denen sie keine Zukunft sahen. Punk ist in diesem Zusammenhang also als eine Ausdrucksform von Unzufriedenheit zu verstehen. Punkmusik und Punkflugblätter, Diskussionsrunden und Provokation sind die Verbalisierung dieses Gefühls von Unzufriedenheit.
Craig O'Hara, der selbst ein Mitglied der amerikanischen Punkbewegung war, versucht gewisse Grundvoraussetzungen für das Entstehen verschiedener Bewegungen zu benennen, die sich unter dem Begriff Punk sammeln la**en. Hierbei ist zu beachten, da** O'Hara seine Beobachtungen 1989 im Nachhinein verfa**t hat. Vieles von dem, was er beschreibt, hat sich erst im Verlaufe der Bewegung und ihres Diskurses ergeben und entwickelt und wird von ihm retrospektiv interpretiert, das heißt er interpretiert und an*lysiert nach seiner heutigen Deutung des Punks.22 Er relativiert viele seiner Aussagen dahingehend, da** die Entwicklungen, die er beschreibt unbewusst geschahen.
Ein wichtiges Motiv des Punk, so O'Hara, ist die Ablehnung von Konformität. Er definiert Konformität als: „[E]ine Veränderung des Verhaltens oder der Meinung einer Person als Ergebnis realen oder imaginären Drucks, durch eine Person oder eine Gruppe.“23 Durch die offensichtliche Abgrenzung in Verhalten und Aussehen zeigten Punks ihre Ablehnung von Konformität und gesellschaftlichen Normen und Werten, welche mit ihren Wünschen und Bedürfnissen im Konflikt standen. Im Zusammenhang mit Punk führt O'Hara seine Ausführungen zur Konformität fort: „Der reale oder imaginäre Druck, den Punks ablehnen, ist nicht der physische Druck oder das Interesse daran, akzeptiert zu werden, sondern die Art Konformität, 'die aus der Beobachtung von anderen, mit dem Ziel, Informationen über ordnungsgemäßes Verhalten zu erhalten, resultiert...' Punks stellen Konformität nicht nur durch ihr abweichendes Äußeres infrage und dadurch, da** ihre Musik anders klingt (…), sondern dadurch, da** sie die herrschenden Denkmuster hinterfragen. (…) Konformität infrage zu stellen, bedeutet auch, Autorität infrage zu stellen. Punks haben keinen allzu großen Respekt vor Autoritäten jeglicher Art (…). Allgemein wird mit Zwang ausgeübte Autorität als Urheberin großen Übels angesehen.““24 Die Unzufriedenheit, die laut O'Hara zur Punkbewegung führte, beschränkt sich also nicht nur auf Arbeitslosigkeit, sondern wird durch den Wunsch, die Lebensbedingungen im Allgemeinen zu verändern verstärkt. Autorität wird abgelehnt, gerade die staatliche Macht und die etablierten Formen werden von Punks angegriffen: Die Sex Pistols etwa bezeichnen die britische Regierung in ihrem Song „God Save the Queen“ als 'faschistisches Regime', die westdeutsche Band Slime fordert in ihrem Song 'Deutschland': „Deutschland muß sterben, damit wir leben können!“25
Die Ablehnung von Autorität und Konformität ist laut O'Hara auch deshalb wichtig, da die jungen Punks ihren eigenen Lebensentwurf hatten, den sie klar von der restlichen Gesellschaft abgrenzten: „Das wichtigste (und vielleicht radikalste) Ziel für Punks ist, selbst Verantwortung zu übernehmen. Diese gilt zuerst einmal für sie selbst und dafür, das eigene Leben zu ordnen und zu meistern. Danach werden andere mit einbezogen. Doch worin genau besteht diese Verantwortung? ' Den eigenen Kopf anzustrengen, Leuten mit Respekt zu begegnen, kein Urteil aufgrund von Äußerlichkeiten zu fällen, andere im Kampf um das Recht >sie selbst< zu sein, zu unterstützen, ja sogar mitzuhelfen, eine positive Veränderung in der Welt zu bewirken.' (Mark Andersen) Nicht alle Punks sind sich darüber einig, wie andere unterstützt und wie Veränderungen außerhalb der eigenen Kreise herbeigeführt werden können, aber sie alle sind sich über die Notwendigkeit der Veränderung einig.“ Der Wunsch nach Eigenverantwortung und die Organisation eigener Lebensformen sind hierbei sicherlich wichtig, aber auch die Anerkennung von Andersartigkeit außerhalb der Gruppe und die Anerkennung, da** auch andere ein Recht auf Selbstverwirklichung besitzen und die Unterstützung dieser sind bemerkenswert. Gerade wenn im späteren Verlauf auf die Bewegung in der DDR und ihr Zusammenwirken mit anderen Bewegungen eingegangen wird, ist dieser Unterstützungsgedanke wichtig.
Zur Ablehnung von Autorität und althergebrachten Formen gehörte für die Punks auch, da** die Musik, die sie produzierten sich in Form und Textinhalten von der Musik der Machthabenden absetzte. Der Brockhaus beschreibt Punkmusik als: „v.a. den Wohlklang etablierter Pop- und Rockmusik ablehnende Laienmusik (→ Punkrock)“26. Durch die Andersartigkeit ihrer Musik zeigten die Punks, da** sie nicht auf die Inhalte der herrschenden Kultur angewiesen waren und das neue Wege möglich waren.
Die Punks nutzten gezielt Provokation der Öffentlichkeit, um auf sich und ihre Ziele hinzuweisen27.
Also kann man als Grundfiguren des Punks Ablehnung von Konformität und des Status Quo, den Wunsch nach eigenen Lebensformen und Selbstverwirklichung, sowie die Provokation der Öffentlichkeit, um auf ihre Ziele und eigene Lebensart hinzuweisen, feststellen.
Ob O'Haras Ausführungen sich auf alle Bewegungen, die unter dem Sammelbegriff 'Punk' zusammengefa**t sind, beziehen la**en, ist sicherlich fragwürdig. Gerade die sogenannten Mode-Punks nahmen die Formen der Bewegung für sich an, ohne für die Inhalte einzustehen. Für den Fall der Punks in der DDR soll zumindest im Folgenden der Versuch unternommen werden, dies zu klären. Ob O'Haras Beschreibungen von Grundfiguren der Punk-Bewegung auf die Ausprägung in der DDR zutreffen soll im Folgenden untersucht werden.
4 Beschreibung des Punk in der DDR
Im nun Folgenden soll die Punkbewegung der DDR beschrieben werden. Eingangs wird darauf hingewiesen, da** auch in der DDR die Punks und die Bewegung regional bedingt sehr unterschiedlich waren. So gab es etwa eine Punkszene in und um Leipzig, Dresden oder in Ost-Berlin. Gerade die Punks in Ost-Berlin zum Beispiel unterlagen einer starken Beeinflussung durch die Punks in West-Berlin, mit denen man einen regen Austausch pflegte.28 Die folgenden Ausführungen sollen hauptsächlich die überregionalen Gemeinsamkeiten der DDR-Punks darstellen, soweit das möglich ist.
4.1 Kurze Geschichte des Punk in der DDR
„Punk war in den Jahren 1977-1982 auch in der DDR angekommen, und traf dort auf ganz andere Bedingungen (…). In den ersten Jahren fristeten die jungen Punks ein weitgehend unbemerktes, und verglichen mit später relativ unbehindertes Dasein.“29 Zu dieser Zeit war Punk vermehrt noch eine Mode, die sich an den Vorbildern im Westen orientierte: „Bezeichnenderweise orientierte sich zumindest die erste Generation von DDR-Punks (…) zunächst am Punk englischer Prägung und erst dann an der Szene im Westen Deutschlands oder in Westberlin. Die soziale Brisanz von Punk in der englischen Gesellschaft entsprach der gesellschaftlichen Brisanz von Punk im sozialistischen Realismus eher, als daß sich die ostdeutsche Version an der westdeutschen Variante des Originals orientiert hätte.“30 Anfangs gab es nur einige wenige Punks, die sehr verstreut waren und meist nur in sehr kleinen Gruppen auftraten.„In den Jahren 1979 und 1980 sammelten sich die bis dahin einzeln umherstreunenden Punks in Ostberliner Discotheken und Gaststätten (…).“31
Die öffentliche Meinung gegenüber den Punks war schon früh sehr negativ. Einerseits war ja die Provokation durch die Punks beabsichtigt, doch die öffentliche Reaktion war extrem: Unter den Anfeindungen gegen die Punks waren auch solche Aussagen zu finden, die verlangten, da** man 'die Bunthaarigen' doch vergasen oder in Arbeitslager stecken sollte.32 Tatsächlich hatten zu diesem Zeitpunkt noch viele DDR-Punks eine feste Anstellung,33 erst später begannen sie ihre Arbeit einzustellen um sich selbst zu verwirklichen.
Eine Zusammenkunft der zuvor noch vereinzelt auftretenden Punks war Anfang der achtziger Jahre auch deshalb nötig geworden, da einzelne Punks in der Öffentlichkeit regelmäßig verfolgt und verprügelt wurden. In der großen Gruppe suchten sie Schutz vor Übergriffen.34 In einzelnen Fällen gingen die nun vereinigten Punks auch gemeinsam auf ihre ehemaligen Peiniger los.35
Ab dem Jahr 1981 bemühte sich die evangelische Kirche darum, die Punks in die offene Jugendarbeit der Kirche zu integrieren. Eine Entwicklung, die für verschiedene Aspekte der Punkbewegung der DDR wichtig war, wie im weiteren Verlauf j**eils aufgezeigt werden soll.
1983 wurden: „mit einem Erla** des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke (...) Punks in der DDR (…) als politischer Gegner wahrgenommen“36 und es wurde gezielter gegen die Punks vorgegangen. Dies führte jedoch nicht wirklich zu einem Rückgang an Punks.
Diese Umstände hielten bis etwa 1986 an, als erste Bestrebungen gemacht wurden, die Punks in die größere 'DDR-Leitkultur' einzubeziehen. So wurde zum Beispiel über die sogenannten Untergrundbands in den Medien berichtet. Bis zum Ende der DDR entspannte sich das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Punks.
4.2 Eigenheiten des DDR-Punk
Eine Schwierigkeit, die sich bei der Arbeit zum Thema ergibt, ist, da** zumeist die Ausmaße der Bewegung nicht nachvollziehbar sind. 1983 stellt das MfS fest: „[... G]egenwärtig sind ca. 900 Jugendliche als Anhänger der 'Punk-Bewegung' bekannt (…).“37 Wie viele Punks nicht registriert wurden und wie viele Sympathisanten die Punks hatten, bleibt hier und auch in weiteren Unterlagen unklar. Als eine weitere Zahl sind hier die insgesamt etwa 150 „anderen Bands“ zu nennen, die über die Jahre in der DDR existiert haben sollen.38 Dennoch kann bei etwa 16 Millionen Einwohnern in der DDR vom Punk nur als einer Randerscheinung und einer kleinen Bewegung die Rede sein.
Was die Punkbewegung in der DDR von den Formen, die für ähnliche Bewegungen im Ausland eingangs beschrieben wurde, unterschied, war der soziale Hintergrund ihrer Mitglieder. „Es war nicht nur eine Gruppe von Arbeiterkindern oder woher auch immer 'nichts besseres zu erwarten wäre', nein, die Punks waren die Kinder von Künstlern, Wissenschaftlern, Arbeitern, Theologen, Polizisten, Parteifunktionären, Raumpflegerinnen und was auch immer. Sie waren also nicht eindeutig von ihrer sozialen Herkunft definierbar. Es gab auch keine einheitlichen greifbaren Gründe, weshalb jemand zum Punk wurde. Der Definitionen des Punk gab es so viele, wie Punks selbst.“39 Die Unzufriedenheit, die O'Hara als Antrieb der Punkbewegung ansieht, lässt sich in der DDR also nicht einfach, wie in anderen Ländern, auf Arbeitslosigkeit und die schlechte wirtschaftliche Situation zurückführen. Als Gegenentwurf zum westlichen 'No Future' wird im Zusammenhang mit DDR-Punks auch von 'Too Much Future' gesprochen40. Hauptsächlich wird dieses Konzept des Ostpunk von Henryk Gericke beschrieben und der Name durch seinen autobiographischen Aufsatz unter gleichem Titel41 geprägt. Während die westlichen Punks unter Perspektivlosigkeit litten, war es der vorgeschriebene und festgelegte Werdegang, der die ostdeutsche Jugend bedrückte. Für sie gab es nur eine Perspektive, die eigene Biographie war in großen Teilen bereits geplant. Jungpionier, Einberufung in die FDJ und Dienst bei der NVA waren festgelegte Stationen auf dem Weg zur Rente, Raum für individuelle Entwicklung gab es kaum.42 Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung war - zwar unter anderen Umständen, als in Großbritannien - sehr eingeschränkt. Die Identifikation mit den Punks erschien also gar nicht so abwegig. Gericke beschreibt exemplarisch seine Entfremdung von einer 'DDR-Leitkultur', welche mit seinen eigenen Wertvorstellungen und seiner gewünschten Lebensplanung im Konflikt stand. Durch westlichen Einfluss – die Ostmedien berichteten über dieses Phänomen und erregten sein Interesse - kam er dann zum Punk, der - obwohl er auf ganz anderen sozialen Grundlagen beruhte - doch Jugendliche in der DDR ansprach: „Ich hatte Arbeit und mit 16 meine Planstelle weg. In der DDR brauchte man keine Lebensversicherung, das Glück war Mitglied der Partei und die Zukunft ein Pudel, der auf Befehl Männchen machte. Dennoch spürte ich, daß das No Future der West-Punks mit meinen Erfahrungen auf verdrehte Weise korrespondierte.“43 Die Ablehnung der gesellschaftlichen Bedingungen und der unbeeinflussbaren Zukunft hatten die Jugendlichen im Osten, wie im Westen schließlich gemein. Auch die Ablehnung die der westliche Punk in westlichen, sowie in Ostmedien erfuhr, hatte eine Anziehungskraft für Ostjugendliche. Denn was die Ostpresse als fehlgeleiteten Protest gegen den Kapitalismus verurteilte, hatte den Reiz des Verbotenen.44
Laut Gerickes Beschreibungen treffen diese Gründe auch auf sein näheres soziales Umfeld zu und es scheint ein Grund gewesen zu sein, warum Jugendliche in der DDR zum Punk fanden. Außerdem war wohl auch ein gemeinsames Gruppengefühl, wie es viele Jugendbewegungen innehaben, dafür verantwortlich, da** sich langsam eine eigene Punkbewegung in der DDR formierte: „Der Gruppenprozeß war intakt und Andersartigkeit möglich im Rahmen der gemeinsamen Ideale.“45
Ebenfalls früh in den achtziger Jahren fanden die Punks ihren Weg in die evangelische Kirche, die, da sie vor dem Zugriff des MfS teilweise geschützt war, Raum für individuelle Entwicklung bot.46 Hier kam die Punkbewegung in Berührung mit anderen Jugendbewegungen, gerade die frühe Solidarisierung mit der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ sei hier angeführt.47 Wobei die Punks nicht immer hinter den Zielen und Idealen der Bewegungen standen, mit denen sie in der offenen Arbeit der Kirche in Kontakt kamen: „Der Punk hingegen kroch in der Friedensbewegung rum, kreuzte die Ökobewegung, hatte Freunde in der Bürgerrechtsbewegung und nutzte ab 1981 Räume in der evangelischen Kirche, wo er auch nur geduldet und nicht gern gesehen war. Er wollte nicht reformieren, er wollte den verhaßten Staat abschaffen und damit alle Übel, die er hervorruft.“48 Die Punks hatten also ihre eigenen Ziele und Absichten, doch unterstützten andere in ihrem Bestreben nach Selbstverantwortung, wie es O'Hara als charakteristisch für den Punk beschreibt. „Wenn den Punks eine Sache gefiel, machten sie mit, und wenn nicht, dann nicht.“49 Diese Symbiose zwischen Punks und anderen Jugendbewegungen fand nur in der DDR statt, ist also ein ganz eigener Aspekt des DDR-Punk.
Ab spätestens 1983 wurde dann von staatlicher Seite ma**iv gegen die Punks durchgegriffen: „Mit einem Erla** des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke im Jahr 1983 wurden Punks in der DDR jedoch als politischer Gegner wahrgenommen und gezielt mit Repressionen bedroht, inhaftiert und zur Armee eingezogen, auf da** sie das Straßenbild des sozialistischen Vaterlandes nicht mehr beschmutzten bzw. 'öffentlich herabwürdigten'.“50 Nun wurde viel gezielter gegen Punker vorgegangen, es folgten immer häufiger Haftstrafen für Mitglieder von Punkbands.51 Auf die Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit soll später eingegangen werden.
Ab etwa 1986 wurde dann von staatlicher Seite der Versuch unternommen, die Bewegung oder zumindest die Punkbands zu vereinnahmen und die feindlich-negative Jugend zu kontrollieren. Auch hierauf soll im späteren Verlauf der Arbeit noch einmal eingegangen werden.
Ein eigentliches Ende der Punkbewegung der DDR kann man nicht benennen, die Bewegung überlebte die Deutsche Demokratische Republik. Kurz nach der Wiedervereinigung veröffentlichten diverse ehemalige Untergrundbands aus der DDR auf West-Labels erstmals ihre Alben.52 Die Bewegung selbst vermischte sich nach und nach mit den im Westen üblichen Formen, es gab nun kein DDR-Regime, dessen Formen und Inhalte man ablehnen konnte.
4.3 Besonderheiten für die DDR-Punkbewegung
Was speziell die Ausprägung der DDR-Punkbewegung stark beeinflusste, waren staatliche Auflagen, die in westlichen Ländern etablierte Figuren unmöglich machten. Und hierbei ist noch nicht einmal die Einflussnahme des MfS gemeint, auf die im späteren Verlauf noch gesondert eingegangen wird.
Wer in der DDR als Band vor Publikum auftreten wollte, musste bei den Kulturbehörden eine Lizenz beantragen und vor einem Gremium aus Vertretern der SED und FDJ auftreten um eine „Einstufung“ zu erhalten. Hierbei wurden ästhetische und inhaltliche Kriterien, etwa Texte und Auftreten der Band festgelegt. Die wenigen Punkbands, die sich diesem Verfahren unterwarfen, scheiterten beim Versuch eine Einstufung zu erhalten.53 Eine Veröffentlichung bei der staatlichen Plattenfirma 'Amiga', sowie große öffentliche Auftritte waren somit für Punkbands ausgeschlossen.
Wenn eine Punkband also ihre Stücke einer breiteren Ma**e zugänglich machen wollte, mussten diese mit einem Ka**ettenrekorder aufgenommen und dann aufwändig überspielt werden. Bemerkenswert bei diesen Ka**ettenproduktionen ist, da** die relativ geringe Stückzahl der Kopien meist verschenkt wurde, also nicht gewinnbringend genutzt wurde.54 Eine Kommerzialisierung der Punkmusik, wie sie oftmals beim westlichen Punk beklagt wurde55, fand im Osten nie statt. Da die Ka**etten über private Kontakte verbreitet wurden, ist davon auszugehen, da** das Publikum in verhältnismäßig engem Kontakt mit den Künstlern stand.
Eine besondere Form der Veröffentlichung erreichten die Bands 'Schleimkeim' und 'Zwitschermaschine' 1983. Auf dem West-Berliner Label AGR erschien unter dem Pseudonym „Saukerle“ eine Platte mit eingeschmuggelten Aufnahmen der beiden Gruppen. Das Pseudonym wurde allerdings aufgedeckt und es folgen Haftstrafen für die beiden Bands.56
Ab Mitte der achtziger Jahre versuchte die Regierung die Punkbewegung zu vereinnahmen, vereinzelte Gruppierungen durften unter der Bezeichnung „Die anderen Bands“ auf dem Staats-Label Platten veröffentlichen und erhielten auch 'Airplay' im Jugendradio der DDR.57 Die Inhalte der Bands waren stark gemäßigt und die Untergrund-Punkbands blieben weiterhin bestehen, da sie eine Veröffentlichung unter solchen Umständen nicht wünschten.
Öffentliche Auftritte waren ohne Einstufung auch nicht möglich, weshalb zumeist in Hinterhöfen oder Künstlerateliers gespielt wurde. Einen weiteren Zufluchtsort für Punks und ihre Konzerte bot die Evangelische Kirche ab 1981 an.58 Im Zuge der offenen Jugendarbeit konnten die Punkbands in den Kirchen auftreten und nahmen an Diskussionsrunden teil. Für diese halbwegs öffentlichen Auftritte wurde keine Werbung gemacht, die Zuschauer wurden über private Kontakte informiert. Diese Kanäle funktionierten recht erfolgreich: Zu einem Konzert am 17. Oktober 1987 in der Zionskirche in Ost-Berlin, bei dem auch die westdeutsche Band 'Element of Crime' auftrat, kamen etwa 1 000 Zuschauer.59 Auch hier lässt sich wieder die große Nähe zwischen den Künstlern der Punkszene und ihrem Publikum erkennen.
Auch die sogenannten Fanzines und Flugblätter, die sich als Kommunikationsformen für Punks in Amerika und Westeuropa etabliert hatten, waren in der DDR nicht realisierbar. Für eine gedruckte Veröffentlichung, die eine Stückzahl von 99 Exemplaren überschritt benötigte man eine staatliche Genehmigung. Wegen der kritischen und staatsablehnenden Inhalte, die man hätte veröffentlichen wollen, war es den DDR-Punks nicht möglich, eine derartige Genehmigung zu erhalten. Stattdessen gingen die Punks eine Symbiose mit den sogenannten 'Samisdat-Zeitschriften' - „bereits existierende politische bzw. künstlerische Untergrundhefte“60 - ein, und machten hier ihre Inhalte öffentlich zugänglich. Diese Zeitschriften waren eigentlich nur für den innerkirchlichen Gebrauch gedacht und somit den Auflagen des Staates ein wenig entzogen. Die Auflage des Hefts 'mOAning star', welches in Berlin erschien, zum Beispiel stieg auf eintausend Exemplare an.61 Die Samisdat-Zeitschriften erreichten also ein viel weiteres Publikum als die Ka**ettenproduktionen. Erst zum Ende der achtziger Jahre, als die Restriktionen gegenüber Punks gelockert wurden, konnten eigene Fanzines gegründet und veröffentlicht werden. Der eigentliche Beginn einer Fanzine-Kultur, im westlichen Sinne, ist also höchstens mit dem Ende der DDR zu verbinden.62
4.4 Wie das MfS gegen die Punks vorging
Das Ministerium für Staatssicherheit war sich schon vergleichsweise früh der Punks bewusst, schließlich hielten diese sich ja auch nicht verborgen. In einem frühen Dokument charakterisiert man die Punker wie folgt: „Teilweise Ablehnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wollen insbesondere durch ihr äußeres Erscheinungsbild dokumentieren, daß sie 'Anders' sind und kein Interesse an der Mitarbeit zur Stärkung der Entwicklung der Gesellschaft haben.“63 Als weitere Besonderheiten werden politisches Desinteresse und erhöhter Alkoholkonsum angeführt.64 Hauptsächlich auffällig wurden die Punks dadurch, da** sie in der 'offenen Jugendarbeit' der evangelischen Kirche aktiv waren.65
Verglichen mit den Informationen, die am 25. November 1983 über die Jugendbewegung festgehalten werden, erscheinen diese Angaben über die frühen Punks jedoch schon fast wie eine Randnotiz. Ab 1983 wurde gezielter gegen Punks vorgegangen. Man hatte die Bewegung genauer untersucht und viele weitere Angaben über sie wurden festgehalten: „Nach vorliegenden Hinweisen ist festzustellen, daß in Nachahmung westlicher Dekadenz und Lebensweise verstärkt negativ-dekadente Jugendliche als sogenannte 'Punker' in der DDR in Erscheinung treten. Besonders bedeutsam ist, daß sich Punk-Gruppen immer mehr bemühen, nicht nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild, sondern auch durch Verhalten und gezielte Aktivitäten, unter Einbeziehung des sogenannten Punk-Rock, als oppositionelle Gruppen darzustellen.“66 Die angebliche Nachahmung westlicher Dekadenz ist in der vorhergehenden Akte des MfS nicht erwähnt, auch der Bezug auf Punk-Rock fehlt. Ob die Beeinflussung durch den Westen als eine tatsächliche Bedrohung wahrgenommen wurde, oder ob es nur ein Vorwand für härteres Durchgreifen war, lässt sich im Nachhinein nicht klären.
In der gleichen Akte wird jedoch auch auf Kontakte zu Westpunks, sowie deren vermehrte Einreise in die DDR verwiesen. Im weiteren Verlauf der Akte wird auch den Westmedien eine Rolle bei der Initiation einer Punkszene vorgeworfen, um „Dekadenz und Unkultur unter Teilen der DDR-Jugend weiter auszubreiten“67.
Das MfS stellte zumindest in seinen Akten die Situation so dar, da** die Punker nicht rebellierende Jugendliche nach westlichem Vorbild waren. Die Punker wurden als Agenten des Westens dargestellt, die ja auch regen Kontakt mit dem Kla**enfeind hatten. Die Hinweise auf Missstände in der DDR wurden als westliche Propaganda angesehen und dies wurde auch durch die Medien der DDR kommuniziert. Der Protest und die Ideen der Punker konnten nur auf taube Ohren stoßen.
Auch das offiziell angeordnete harte Vorgehen gegen Punker lässt sich in dieser Akte ablesen. Gerade die Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche sei zu unterbinden: „4. Verstärkt zu beachten und zu unterbinden sind Bestrebungen bestimmter Teile jugendlicher 'Punker', sich zusammen mit anderen 'Randgruppen' in Formen kirchlicher 'Friedensarbeit' zu integrieren. Hierbei sollen noch bewußter auftretende Differenzen, zwischen kirchlichen Kräften, die für einen störungsfreien Verlauf kirchlicher Veranstaltungen eintreten und 'Punkern', die durch ihr Auftreten und Verhalten einen ordnungsgemäßen Ablauf gefährden operativ genutzt werden. (…) In Abstimmung mit den staatlichen Einrichtungen auf kulturellem Gebiet und der DVP ist ein einheitliches Vorgehen bei öffentlichen Auftritten nicht registrierter Punk-Rock-Gruppen festzulegen. Auftritte derartiger Gruppen in kirchlichen Einrichtungen und Veranstaltungen sind im engen Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen (als Teilmaßnahme zur Zurückdrängung von Erscheinungen der 'Offenen Jugendarbeit') zu unterbinden.“68
Hierbei ist der Hinweis wichtig, da** die Differenzen zwischen Punkern und Kirche genutzt werden sollten. Zum einen ist dies ein Anzeichen, da** die Zusammenarbeit von Kirche und Punks nicht immer so einträchtig verlief, wie es die Literatur zum Thema manchmal darstellt69, zum anderen könnte es ein Hinweis darauf sein, da** das MfS begann Informelle Mitarbeiter in der Punkszene anzuwerben70, um diese unter Kontrolle zu bringen. Diese IM sollten zum einen Informationen über Ziele, Vorgehensweisen und geplante Auftritte und Zusammenkünfte geben, zum anderen die Szene von innen lähmen und zersetzen.
Die offene Jugendarbeit war ein Bereich der kirchlichen Arbeit, der Schutz vor der Überwachung durch das MfS bot. Daher war es durchaus auch ein Ziel, durch die Beeinflussung der Punkszene gegen die offene Jugendarbeit vorzugehen.
Übrigens wurde zwar ab 1983 gezielter und härter gegen Punker vorgegangen, doch wurde „das Punk sein“ als solches nicht illegal gemacht. Viele Autoren stellen es so dar, da** der Staat den Punk verboten hätte. Doch war es so, da** der Punk einfach gegen die bereits bestehenden Bestimmungen verstieß, wie es am Beispiel der Einstufung bereits beschrieben wurde.
Vielmehr wurde meist gegen Punker wegen ihrer Asozialität gewirkt. Dies war in der DDR per Gesetz verboten: „Asoziales Verhalten wurde als Gefährdung der öffentlichen Ordnung verfolgt und geahndet. In den Kreisen der sogenannten Asozialen, (..), konnte man schnell geraten, etwa wenn man sich einer von staatlichen Stellen übertragenen Arbeit entzog, wenn man auf die Genehmigung eines Ausreiseantrags wartete und keine angemessene Arbeit mehr fand und deshalb zu Hause blieb oder wenn man bei der Stellensuche aus politischen Gründen abgewiesen wurde und sich weigerte, eine untergeordnete, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. In den Strafgesetzen wurde verfügt, da** Personen, welche das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährden, da** sie sich einer geregelten Arbeit hartnäckig entziehen (…) mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden. Zusätzlich konnte eine Aufenthaltsbeschränkung oder staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht auferlegt werden.“71 Da** die Punker also wegen ihrer asozialen Lebensweise belangt wurden, wird auch aus den Akten des MfS ersichtlich, wo es heißt: „Insbesondere für den sogenannten harten Kern dieser Punk-Gruppen ist charakteristisch, daß sie eine asoziale Lebensauffa**ung haben (Fehlschichten, häufig wechselnde Arbeitsstellen u.ä.)“72
Wollte ein junger Punker sich also nicht in den für ihn vorgegebenen Lebensplan einfügen73, so wurde gegen ihn vorgegangen. Auch hier lässt sich wieder die beklagte Perspektivlosigkeit erkennen. Restriktionen hatten all jene zu befürchten, die von den staatlichen Normen abwichen. Da dies ein erklärtes Ziel des Punks ist, musste es zwangsläufig in der DDR zu Konflikten kommen.
Die Versuche die Punkszene zu zersetzen und zu schwächen hatte ab Mitte der achtziger Jahre Erfolg, da auch die Medien der DDR anfingen über die Punker zu berichten und - wie bereits erwähnt - der Versuch unternommen wurde die andersartige Musik in die allgemeine Kultur aufzunehmen. Zuvor waren die Bemühungen des MfS zwar zahlreich gewesen, doch funktionierten die Versuche eher als Ansp**n für die Punker, da diese sich in ihrem Protest wahrgenommen und bestätigt fühlten.74 Die Polizei und das MfS als Vertreter des abgelehnten Staats waren also das falsche Mittel um gegen die Punks vorzugehen.
5 Punksong-Texte als Quelle
Oftmals enthalten Beiträge zur Forschung über die Punkbewegung in der DDR Texte der Punkbands75, doch wird auf diese nicht näher eingegangen. Die Aussage dieser Texte ist durchaus wichtig, wenn man herausfinden will, was die Künstler und ihr Publikum bewegte. Während im Westen Punksong-Texte oftmals auf einer abstrakten Ebene blieben, durch deren Entschlüsselung man erst die ihnen innewohnende Kritik fand, war gerade der frühe Punk der DDR sehr direkt in seinen Aussagen. Die an*lyse der Texte dient hierbei als „Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit […], bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes geschlossen wird.“76 Mit Hilfe der an*lyse und Interpretation der Texte soll versucht werden, eine soziale Wirklichkeit zu rekonstruieren, wie sie von den Textschreibern wahrgenommen wurde. Hierbei können die Texte im gewissen Sinne also als Quelle funktionieren. Wobei explizit darauf hinzuweisen ist, da** es hier um eine konstruierte Kommunikation zwischen den Punkern und ihrem Publikum geht, die auf gemeinsame Ziele, Erfahrungen und eine eigene Sprache zurückgreifen können. Da auch andere Punkbewegungen ihre Wertvorstellungen und Ansichten stark in ihrer Sprache codierten, darf trotz der meist sehr offenen Aussagen der Texte die Interpretation nicht zu kurz kommen. Die Texte können hauptsächlich nur die von den Punkern gefühlte Wirklichkeit wiedergeben und auch dies nur auf einer abstrakten Ebene.77 Da** die Texte jemanden erreicht haben müssen, lässt sich daran ablesen, da** die Bewegung bis zum Ende der DDR Bestand hatte, denn: „Eine subkulturelle Strömung, die nicht in der Lage ist, mindestens ansatzweise die vorhandenen Bedürfnisse aufzufangen beziehungsweise den Zeitgeist zu reflektieren, kann sich weder etablieren noch Scharen von Fans in ihre Bahnen ziehen.“78
Letztendlich hat aber auch diese Methoden ihre Grenzen. Da, wo Texte – bewusst oder unbewusst – mehrdeutig bleiben, kann keine Aussage auf ihrer Grundlage gemacht werden. Ironie und Überspitzung – Stilmittel, die in Liedtexten völlig legitim und gerade im Punk sehr beliebt sind – sind eventuell nicht zu erkennen und ergeben ein falsches Bild, da auf falscher Grundlage interpretiert und an*lysiert wurde. Nichtsdestotrotz soll hier nun der Versuch folgen, anhand einiger früher Texte des DDR-Punk, ein Bild von der gefühlten Wirklichkeit für Punker in der DDR am Anfang der achtziger Jahre zu konstruieren. Hierbei sei darauf hingewiesen, da** wie bereits erwähnt die Punkszene starke regionale Unterschiede aufwies. Eine detaillierte an*lyse einzelner Regionen würde die Ausmaße dieser Arbeit überschreiten, weshalb hier ausgewählte Texte einige allgemeine Aspekte beleuchten sollen. Inwiefern die j**eiligen Texte und an*lysen auf die regionalen Ausprägungen der Bewegung zutreffen müsste im Einzelfall geprüft werden.
5.1 Textan*lyse und Interpretation
Die Musik der DDR-Punks war in ihren Formen und Inhalten Protest gegen die vom Staat kontrollierte Kultur und die gleichförmige Musik. Die Punkmusik war ein eigener kultureller Ausdruck, der anfangs eventuell gar nicht politisch gedacht war, doch „in der maßregelnden DDR-Gesellschaft wurde selbst jede unpolitische, kulturelle Aktion politisch, allein wegen ihrer Abgrenzung gegen die staatlich organisierte Kultur-Kontrolle.“79 Denn mit der Kontrolle über Form und Inhalte von Populärmusik, hatte der Staat auch eine Kontrolle über den öffentlichen Diskurs. Kritische Themen wurden nicht angesprochen. „DDR-Rockszene du hängst mir aus dem Hals/ DDR-Rockszene ich hör nicht länger Schmalz/ Die Puhdys sind schon lange tot ich will was neues hör'n.“80
Aus diesem Text lässt sich erkennen, da** sich die jungen Punks nicht mit der vom Staat kontrollierten Kultur identifizieren konnten. Die Puhdys sind eine 1969 in Freiberg gegründete Rockband.81 Obwohl die Rockmusik in der DDR lange Zeit als Agent des Westens, als kontrovers und revolutionär galt82, hatten die Puhdys eine Einstufung erhalten, veröffentlichten 1975 ihr erstes Album und spielten nach den Vorgaben des Staates. Ähnlich verhielt es sich wohl auch mit anderen Bands, die die revolutionären Elemente der Rockmusik aufgaben, um auf 'Amiga' veröffentlichen zu dürfen. Der Text von Virus-X zeigt, da** die jungen Punks der pseudo-revolutionären DDR-Rockszene kritisch gegenüberstanden und auch der Wunsch nach einer eigenen neuen Musik ist zu erkennen, die sich von der vom Staat gebilligten Musik absetzte. Auch war die Andersartigkeit des Punk und seiner Musik ein Faktor, der das Interesse der Jugendlichen in der DDR auslöste.83 In der Punkszene der DDR galt der Begriff „Rocker“ auch als eine Art Beleidigung.84 Bei dieser Auseinandersetzung wäre es auch für weitere Forschung interessant, zu vergleichen, wie sich die Punksongtexte von den Inhalten von der Populärmusik abgrenzten und welche für die Jugend relevanten Themen von dieser nicht angesprochen wurden.85
Da** die Schöpfung einer eigenen Musik – in Form und Inhalt - wichtig war, beschreiben auch Galenza und Havemeister zu Beginn ihres Bandes zu DDR-Punk als vielleicht wichtigsten Punkt: „Mit vollem Körpereinsatz gingen sie [die DDR-Punks] bewußt und unbewußt in einer 1:1 Übersetzung davon aus, daß man den Staat ändert, wenn man die Musik ändert“86 Hier lässt sich sicherlich die enge Verbindung zwischen Musik und revolutionären Elementen erkennen.
Auch die Überwachung durch den Staat und die Mitarbeiter des MfS wurde von den Punks thematisiert: “(...)Dann ruf' ich meine Kumpels an,/ da hängt noch wer an der Leitung dran/ [Refrain:] Aufgepa**t, Du wirst bewacht vom Mf-MfS /Ich bin K.O. und will nach Haus', /ich denk mir, ich penn' mich aus / Dann endlich geh ich durch die Tür,/ bis jetzt lief einer hinter mir [Refrain: ]Aufgepa**t, Du wirst bewacht vom MM-ff-SS“87
Leider ist im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen, ob Namenlos ihr MfS Lied vor oder nach Erich Mielkes Entschluss, härter gegen Punks durchzugreifen, verfa**ten, doch war die Punkszene schon früh im Visier der Staatssicherheit. Da** sich der Text nun auf die konkrete Anwerbung von Informellen Mitarbeitern in der Punkszene bezieht, ist eher unwahrscheinlich. Zumeist war den jungen Punkern nicht bewusst, da** ihr näheres Umfeld mit dem MfS zusammenarbeiten könnte.88 Vielmehr scheint der Text auszudrücken, da** sich die Punker einer allgemeinen ständigen Überwachung durch den Staat sehr bewusst waren. Außerdem wird zuhause sein mit Freiheit von dieser Bewachung durch das MfS gleichgesetzt. Die Punker, die sich anfangs noch meist in Privatwohnungen trafen und sammelten, empfanden die eigenen vier Wände also als eine Art Schutz gegen die Überwachung und die Einflüsse vom außerhalb der Szene. Der Rückzug aus einer Öffentlichkeit, deren Werte und Normen nicht geteilt wurde, ging einher mit der Möglichkeit zur eigenen Entfaltung im Privaten. Das wiederum erhöhte das Interesse der Staatssicherheit, da diese konspirative Machenschaften vermutete, unterhielten doch viele Punker illegale Kontakte zu Westpunks.89 Sicherlich auch interessant ist die Doppelung der Initialen des MfS im letzten Refrain: „SS“ dürfte auch in der DDR all zu sehr an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert haben. Hier werden die Form und die Methoden des MfS mit der Schutzstaffel der NSDAP gleichgesetzt, dem Staat, der einen antifaschistischen Schutzwall errichten ließ, werden faschistische Methoden vorgeworfen.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der Text des Liedes „Das Land ist dein Land“ der Magdeburger Gruppe 'Vitamin-A'. Auch hier wird kritisch gegen den Staat und seine Methoden gesungen: „Das Land ist dein Land und das ist mein Land / von Oder-Neiße bis hin zum Westrand/ von Kap Arkona bis nach Karl-Marx-Stadt / das Land ist da für dich und mich/ Du kommst nicht raus aus Schwerin/ Du kommst nicht rein nach Berlin/ darfst nicht nach Halle, denn da ist Pressefest/ willst du nach Jena, hängst du in Erfurt fest/ (…)/ Die Polizei steht schon bereit/ an jeder Stelle für alle Fälle/ denn dieser Freistaat ist Polizeistaat/ Ich fahre trotzdem, wohin ich will.“90
Auch hier wird wieder dargestellt, da** die Jugendlichen sich vom Staat bedrängt und kontrolliert fühlten, es wird von einem „Polizeistaat“ gesprochen. Die Polizei „steht schon bereit, an jeder Stelle für alle Fälle“, ist also sehr präsent in der Öffentlichkeit. Eventuell bezieht sich der Teil „für alle Fälle“ sich darauf, da** junge Punker oftmals in Gewahrsam genommen und so lange wie möglich festgehalten wurden, zumeist ohne konkreten Anla**.91 Dies alles steht, wie auch die zweite Strophe, in Kontrast zum Beginn des Liedes, wo davon gesprochen wird, da** man offiziell in einem freien Land lebe, doch die Realität scheint anders zu sein. Angesprochen werden Ortsverbote, die gegen junge Punker ausgesprochen wurden, die Zeile „Du kommst nicht raus aus Schwerin“ bezieht sich wahrscheinlich auf Meldepflichten, das heißt die von der Polizei auferlegte Pflicht, sich in der Nähe des eigenen Wohnortes aufzuhalten und sich regelmäßig bei der Polizei zu melden.92 Sehr wahrscheinlich ist das gesamte Lied wohl eine Kritik an der Doppelzüngigkeit, die in der DDR existierte. Ein Umstand, der vielen jungen Punks auf- und missfiel.93 Hierbei wichtig ist die letzte Zeile, die den Widerstand der jungen Punks darstellt und das intendierte Publikum dazu auffordert sich den genannten Auflagen zu widersetzen.
Wie die Punks sich selbst wahrnahmen und wie ihre Umwelt auf sie reagierte, lässt sich aus dem Lied „Abfallprodukte der Gesellschaft“ von Schleimkeim erahnen: „Wir hätten angeblich Lärm und Dreck als Ideale/ doch die, die das sagen, sollen sich selbst erstmal betrachten/ wir wären geborene Verbrechergestalten/ und sollen für ewig im Gefängnis schmachten/ Wir hätten kein Ziel und auch keine Ehre/ weil Geld für uns nicht das wahre ist/ weil wir auf die - ihre - Ordnung scheißen/ vergleichen sie dich mit dem Anti-Christ/ Wir erfüllen nicht ihre verplanten Normen/ sind der Macht wehrlos ausgesetzt/ werden gegängelt, werden beschimpft werden von ihnen verfolgt und gehetzt/ Wir sind ihnen ein Dorn in den Augen/ weil wir sagen, was uns nicht paßt/ uns [sic!] sie sagen: 'Du bist ein dreckiges Schwein!'/ und du wirst verachtet und gehaßt/ Sie sagen das, um dich niederzuzwingen/ du sollst vom fahrenden Zug abspringen/ du sollst vergessen, daß der Mensch selbst denkt/ du sollst kapieren, du wirst gelenkt/ Du wirst gelenkt!/Du wirst gelinkt!“94
Bereits der Titel deutet an, da** die Punker sich trotz all ihrer Ablehnung der Gesellschaft immer noch mit dieser auseinandersetzten. Die Bezeichnung „Abfallprodukte der Gesellschaft“ bezieht sich darauf, da** die Punker ihre Umwelt und Umstände dafür verantwortlich machen, wie sie sind. Die übermäßige Kontrolle und Überwachung spielt auch hier mit rein. Auch gibt der Text anfangs wieder, welche Anfeindungen die Punker der DDR sich wohl regelmäßig anhören durften. Der Aspekt der Asozialität und der damit verbundenen Gefängnisstrafen findet sich ebenfalls wieder. Die Restriktion gegen eine freie Meinungsäußerung wird thematisiert mit den Zeilen:“ Wir sind ihnen ein Dorn in den Augen/ weil wir sagen, was uns nicht paßt“. Dabei bleibt offen, wer mit „ihnen“ gemeint ist. Ob es sich um die staatlichen Bestimmungen oder die allgemeine Öffentlichkeit geht, ist nicht klar. Gerade hier wäre aber auch denkbar, da** der Text bewusst mehrdeutig ist. Die Textzeile „du sollst vom fahrenden Zug abspringen“ bezieht sich sicherlich auf den Umstand, da** es durchaus vorkam, da** bei Bahnkontrollen Punker dazu aufgefordert wurden den Zug zu verla**en, ab und zu auch auf offener Strecke.95
Den Texten lässt sich entnehmen, da** die Punks ihre Kritik und ihre Energien gegen die staatliche Repression richteten. Doch auch gegen die Gesellschaft lehnten sich die jungen Punker auf. Die von O'Hara erwähnte Ablehnung von Konformität und Autorität ist in den Texten durchaus erkennbar.
Ob es sich um ein einheitliches Bild der DDR-Punkszene handelt, das sich aus den Texten konstruieren lässt, bedarf weiterer Untersuchungen, doch ist unwahrscheinlich. Es scheint eine Menge Potential in der Textan*lyse zu stecken. Eine umfa**endere Arbeit zu diesem Thema könnte zur Forschung bezüglich der DDR-Punkszene einen relevanten Beitrag leisten.
6 Fazit
Da** der Punk aus dem Westen in die DDR kam und sich an dessen Vorbild orientierte, lässt sich sicher nicht abstreiten, doch die Punker in der DDR unterlagen in vielen Aspekten besonderen Umständen, deshalb entstanden dort viele eigene Versionen der laut Craig O'Hara für Punkbewegungen typischen Formen und Figuren und einige sehr eigene Ausprägungen einer 'Punk-Ideologie'. Je nach Standpunkt des Beobachters könnte man auch sagen, da** die Bewegung der DDR den Prinzipien des Punk, da sie nie in großem Stil kommerzialisiert wurde, viel länger treu blieb, als es in westlichen Ländern der Fall war.
Da** der Punk der DDR viele Eigenschaften der westlichen Spielarten des Punk aufwies, wurde in dieser Arbeit gezeigt. Einige Beiträge in der Literatur zum Thema stellen es jedoch so dar, da** der DDR-Punk eine treibende Kraft hinter dem Niedergang der DDR war. Dies ist schlichtweg falsch.
Im Nachhinein lässt es sich nicht nachweisen, aber da sich Punk immer gegen Autorität und Konformität zu richten scheint, ist es möglich davon auszugehen, da** die Punker in der DDR sich auch ohne Verfolgung und Beeinflussung durch das MfS gegen die Gesellschaft gewandt hätten. Das Ministerium für Staatssicherheit bestimmte ja nicht über die Normen und Werte der Bevölkerung. Diese waren letztendlich der Maßstab nach dem der Staat entschied, wer zu kontrollieren und zu maßregeln war. Und nach diesen Normen und Werten wurde gegen die rebellierende Jugend vorgegangen, die sich gezielt gegen sie auflehnte.Wie aufgezeigt, kann man sogar in manchen Fällen davon ausgehen, da** durch die Versuche staatlicher Restriktion die Punkbewegung der DDR verstärkt und nicht geschwächt wurde.
Denkbar wäre auch, da** die Bewegung sich aufgelöst hätte, wäre es nicht zum Zusammenbruch der DDR gekommen. Die langsame Zersetzung der Szene durch das MfS und vor allem die Einbeziehung von Punk in die öffentliche Kultur hätten eventuell langfristig Erfolg gehabt. Durch die öffentliche Anerkennung von Punks wurde auch das Potential für Provokation gemindert, die Punks konnten nicht mehr im gleichen Maße wie in den frühen achtziger Jahren auf die Missstände und Unterdrückung hinweisen.
Auch die Punkbiographien von Henryk Gericke, Michael Horschig und Michael Boehlke96 la**en erahnen, da** für viele Punks nach einer gewissen Zeit das Interesse an Punk stark nachließ und sie sich nicht mehr länger mit der Szene identifizieren konnten. Es wäre also auch denkbar, da** sich die Punkbewegung langfristig selbstständig aufgelöst hätte.
Zum Schluss soll hier festgestellt sein, da** die Punkbewegung der DDR in vielen Aspekten schon sehr gut bearbeitet ist, doch anders als Andreas Kuttner im Vorwort des Bandes zu Punk in Deutschland97 behauptet, ist das Thema bei weitem noch nicht völlig erforscht. Aspekte, wie etwa das tatsächliche Verhältnis von Kirche und Punk, zu denen es sehr unterschiedliche Angaben gibt, müssten noch näher untersucht werden.
Gerade bei der an*lyse der einzelnen Ausprägungen und der Bearbeitung der Punk-Songtexte scheint noch eine Menge Potential zu bestehen, um ein ausführliches Bild des Ostpunk zu malen. Denn wie Henry Gericke festgestellt hat: „Punk in Deutschland meint immer Punk in Westdeutschland. Das liegt zum einen in dem Umstand begründet, daß Punk in der DDR keine Kommerzialisierung erfuhr und somit auch keine Überlieferung.“ Eine weitere Bearbeitung der Quellen, die zur Verfügung stehen, erscheint also sinnvoll. Ein differenziertes Bild des Punk in der DDR, nicht als geheimen Agenten der Westdekadenz oder als Inbegriff des internen Widerstands, lässt sich in der Literatur zum Thema meist nicht finden. Dafür wäre es auch sicherlich nötig, da** die Autoren, die sich mit dem Thema beschäftigen, nicht nur aus den Reihen der ehemaligen DDR-Punks rekrutieren, damit autobiographische Rechtfertigung und tatsächliche Forschung sich nicht vermischen.
Sicherlich wäre auch die Entwicklung der Skinheadszene der DDR für die weitere Forschung zum Thema 'Punk in der DDR' interessant. Diese rekrutierte viele Mitglieder aus den Reihen der Punks und ehemaliger Punker.98 Welche Einflussfaktoren hierbei eine Rolle spielten und ob auch hier spezielle gesellschaftliche Bedingungen der DDR zu beachten sind, könnte von einigem Interesse sein. Ähnlich wie gegen die Punks, wurde hier ab 1987 vom Ministerium für Staatssicherheit stark durchgegriffen, teilweise wurde die gewaltbereite Bewegung jedoch auch von diesem instrumentalisiert.99
Denn letztendlich bleibt Punk in der DDR ein Randphänomen, doch kann diese Jugendbewegung sicherlich illustrieren, wie kritische Jugendliche das Leben in der DDR-Gesellschaft empfanden, wie sie mit der Repression, den Werten und den Erwartungen der Gesellschaft umgingen und wie sie doch Raum für ihren eigenen Lebensentwurf fanden. Gerade die Anstrengungen, die unternommen wurden um eine eigene Musik in der Kulturkontrolle zu verbreiten sind bemerkenswert und ein Hinweis darauf, da** in der DDR nicht jeder mit der Leitkultur einverstanden war. Andererseits lässt sich auch ablesen, wie in der DDR mit jenen umgegangen wurde, die die Gesellschaft und ihre Formen ablehnten, wobei es falsch wäre zu behaupten, da** in der DDR all jenen furchtbares Unrecht angetan wurde, die nicht mit der Linie der SED einverstanden waren.