[1] Erster Aufzug Erste Scene Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt. Fischerknabe singt im Kahn (Melodie des Kuhreihens) Es lächelt der See, er ladet zum Bade, Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, Da hört er ein Klingen, Wie Flöten so süß, Wie Stimmen der Engel Im Paradieß. [2] Und wie er erwachet in seliger Lust, Da spühlen die Wa**er ihm um die Brust, Und es ruft aus den Tiefen: Lieb Knabe, bist mein! Ich locke den Schläfer, Ich zieh ihn herein. Hirte (auf dem Berge) (Variation des Kuhreihens) Ihr Matten lebt wohl, Ihr sonnigen Weiden! Der Senne muß scheiden, Der Sommer ist hin. Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder, Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder, Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu, Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May. Ihr Matten lebt wohl, Ihr sonn'gen Weiden! Der Senne muß scheiden, Der Sommer ist hin. [3] Alpenjäger (erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen) (Zweite Variation) Es donnern die Höhen, es zittert der Steg, Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg, Er schreitet verwegen Auf Feldern von Eis, Da pranget kein Frühling, Da grünet kein Reis; Und unter den Füssen ein neblichtes Meer, Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr, Durch den Riß nur der Wolken Erblickt er die Welt, Tief unter den Wa**ern Das grünende Feld. (Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend) Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, seine Handbube, folgt ihm) [4] Ruodi Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein. Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn, Der Mytenstein zieht seine Haube an, Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch, Der Sturm, ich meyn', wird da seyn, eh' wirs denken. Kuoni 's kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde. Werni Die Fische springen, und das Wa**erhuhn Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. Kuoni (zum Buben) Lug' Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen. Seppi Die braune Lisel kenn ich am Geläut. Kuoni So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten. Ruodi Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt. [5] Werni Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann? Kuoni Bin nit so reich – 's ist meines gnäd'gen Herrn, Des Attinghäusers, und mir zugezählt. Ruodi Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht Kuoni Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt, Und nähm ich ihr's, sie hörte auf zu fressen. Ruodi Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft'ges Vieh – Werni Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft, Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen, Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn, 'ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht. Ruodi (zum Hirten) Treibt ihr jetzt heim? [6] Kuoni Die Alp ist abgeweidet. Werni Glücksel'ge Heimkehr, Senn! Kuoni Die wünsch ich Euch, Von eurer Fahrt kehrt sich's nicht immer wieder. Ruodi Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen. Werni Ich kenn' ihn, 's ist der Baumgart von Alzellen. Konrad Baumgarten (atemlos hereinstürzend) Baumgarten Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn! Ruodi Nun, nun, was giebts so eilig? Baumgarten Bindet los! Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über! Kuoni Landsmann, was habt ihr? [7] Werni Wer verfolgt euch denn? Baumgarten (zum Fischer) Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen! Des Landvogts Reiter kommen hinter mir, Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen. Ruodi Warum verfolgen euch die Reisigen? Baumgarten Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede. Werni Ihr seid mit Blut befleckt, was hat's gegeben? Baumgarten Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß – Kuoni Der Wolfenschießen? Läßt euch der verfolgen? Baumgarten Der schadet nicht mehr, ich hab' ihn erschlagen. Alle (fahren zurück) Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan? [8] Baumgarten Was jeder freie Mann an meinem Platz! Mein gutes Hausrecht hab' ich ausgeübt Am Schänder meiner Ehr' und meines Weibes. Kuoni Hat euch der Burgvogt an der Ehr' geschädigt? Baumgarten Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht, Hat Gott und meine gute Axt verhütet. Werni Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten? Kuoni O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit, Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden. Baumgarten Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
„Der Burgvogt lieg' in meinem Haus, er hab' Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten. Drauf hab' er Ungebührliches von ihr Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.“ [9] Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war, Und mit der Axt hab' ich ihm 's Bad gesegnet. Werni Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten. Kuoni Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn! Hat's lang verdient ums Volk von Unterwalden. Baumgarten Die That ward ruchbar, mir wird nachgesezt – Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit – (es fängt an zu donnern) Kuoni Frisch Fährmann – schaff den Biedermann hinüber. Ruodi Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist Im Anzug. Ihr müßt warten. Baumgarten Heilger Gott! Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet – [10] Kuoni (zum Fischer) Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen, Es kann uns allen Gleiches ja begegnen. (Brausen und Donnern) Ruodi Der Föhn ist los, ihr seht' wie hoch der See geht, Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen. Baumgarten (umfaßt seine Knie) So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet – Werni Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann. Kuoni 's ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder! (Wiederholte Donnerschläge) Ruodi Was? Ich hab' auch ein Leben zu verlieren, Hab' Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin, Wie's brandet, wie es wogt und Wirbel zieht, Und alle Wa**er aufrührt in der Tiefe. – Ich wollte gern den Biedermann erretten, Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst. [11] Baumgarten (noch auf den Knien) So muß ich fallen in des Feindes Hand, Das nahe Rettungsufer im Gesichte! – Dort liegt's! Ich kann's erreichen mit den Augen, Hinüberdringen kann der Stimme Schall, Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge, Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen! Kuoni Seht, wer da kommt! Werni Es ist der Tell aus Bürglen. Tell mit der Armbrust. Tell Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht? Kuoni 's ist ein Alzeller Mann, er hat sein' Ehr Vertheidigt, und den Wolfenschieß erschlagen, Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß – Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen, Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt, Der fürcht't sich vor dem Sturm und will nicht fahren. [12] Ruodi Da ist der Tell, er führt das Ruder auch, Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen. (Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf) Ruodi Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen? Das thäte keiner, der bei Sinnen ist. Tell Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt, Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten. Ruodi Vom sichern Port läßt sich's gemächlich rathen, Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts! Tell Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen, Versuch es Fährmann! Hirten und Jäger Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn! Ruodi Und wär's mein Bruder und mein leiblich Kind, [13] Es kann nicht seyn, 's ist heut Simons und Judä, Da ras't der See und will sein Opfer haben. Tell Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft, Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden. Sprich, Fährmann, willst du fahren? Ruodi Nein, nicht ich! Tell In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn, Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen. Kuoni Ha wackrer Tell! Werni Das gleicht dem Waidgesellen! Baumgarten Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell! Tell Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch, Aus Sturmes Nöthen muß ein Andrer helfen. [14] Doch besser ist's, ihr fallt in Gottes Hand, Als in der Menschen! (zu dem Hirten) Landsmann, tröstet ihr Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet, Ich hab' gethan, was ich nicht la**en konnte. (er springt in den Kahn) Kuoni (zum Hirten) Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich Der Tell getraut, das konntet ihr nicht wagen? Ruodi Wohl beßre Männer thuns dem Tell nicht nach, Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge. Werni (ist auf den Fels gestiegen) Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwa*kt! Kuoni (am Ufer) Die Flut geht drüber weg – Ich seh's nicht mehr. Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung. [15] Seppi Des Landvogts Reiter kommen angesprengt. Kuoni Weiß Gott, sie sinds! Das war Hülf in der Noth Ein Trupp Landenbergischer Reiter Erster Reiter Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen. Zweiter Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn. Kuoni und Ruodi Wen meint ihr, Reiter? Erster Reiter (entdeckt den Nachen) Ha, was seh ich! Teufel! Werni (oben) Ist's der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu! Wenn ihr frisch beilegt, hohlt ihr ihn noch ein. Zweiter Verwünscht! Er ist entwischt. Erster (zum Hirten und Fischer) Ihr habt ihm fortgeholfen, [16] Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Heerde! Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder! (eilen fort) Seppi (stürzt nach) O meine Lämmer! Kuoni (folgt) Weh mir! Meine Heerde! Werni Die Wüthriche! Ruodi (ringt die Hände) Gerechtigkeit des Himmels, Wann wird der Retter kommen diesem Lande? (folgt ihnen)