Des alten Moors Schlafzimmer.
Der alte Moor schlafend in seinem Lehnsessel. Amalia.
Amalia (sachte herbeischleichend). Leise, leise! er schlummert. (Sie stellt sich vor den Schlafenden.) Wie schön, wie ehrwürdig! – ehrwürdig, wie man die Heiligen malt – nein, ich kann dir nicht zürnen! Weißlockigtes Haupt, dir kann ich nicht zürnen! Schlummre sanft, wache froh auf, ich allein will hingehn und leiden.
D. a. Moor (träumend). Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!
Amalia (ergreift seine Hand). Horch, horch! sein Sohn ist in seinen Träumen.
D. a. Moor. Bist du da? bist du wirklich? Ach wie siehst du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem kummervollen Blick! ich bin elend genug.
Amalia (weckt ihn schnell). Seht auf, lieber Greis! Ihr träumtet nur. Faßt Euch!
D. a. Moor (halb wach). Er war nicht da? drückt' ich nicht seine Hände? Garstiger Franz! willst du ihn auch meinen Träumen entreißen?
Amalia. Merkst du's, Amalia?
D. a. Moor (ermuntert sich). Wo ist er? wo? wo bin ich? Du da, Amalia?
Amalia. Wie ist Euch? Ihr schlieft einen erquickenden Schlummer.
D. a. Moor. Mir träumte von meinem Sohn. Warum hab' ich nicht fortgeträumt? Vielleicht hätte ich Verzeihung erhalten aus seinem Munde.
Amalia. Engel grollen nicht – er verzeiht Euch. (Faßt seine Hand mit Wehmut.) Vater meines Karls! ich verzeih' Euch.
D. a. Moor. Nein, meine Tochter! diese Todtenfarbe deines Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen! Ich brachte dich um die Freuden deiner Jugend – o fluche mir nicht!
Amalia (küßt seine Hand mit Zärtlichkeit). Euch?
D. a. Moor. Kennst du dieses Bild, meine Tochter?
Amalia. Karls! –
D. a. Moor. So sah er, als er ins sechzehnte Jahr ging. Jetzt ist er anders – Oh, es wüthet in meinem Innern – diese Milde ist Unwillen, dieses Lächeln Verzweiflung – Nicht wahr, Amalia? Es war an seinem Geburtstage in der Jasminlaube, als du ihn maltest? – Oh meine Tochter! Eure Liebe machte mich so glücklich.
Amalia immer das Auge auf das Bild geheftet). Nein! nein! er ist's n. Bei Gott! Das ist Karl nicht – Hier, hier (auf Herz und Stirne zeigend). So ganz, so anders. Die träge Farbe reicht nicht, den himmlischen Geist nachzuspiegeln, der in seinem feurigen Auge herrschte. Weg damit! dies ist so menschlich! Ich war eine Stümperin.
D. a. Moor. Dieser huldreiche, erwärmende Blick – wär' er vor meinem Bette gestanden, ich hätte gelebt mitten im Tode! Nie, nie wär' ich gestorben!
Amalia. Nie, nie wär't Ihr gestorben! Es wär' ein Sprung gewesen, wie man von einem Gedanken auf einen andern und schönern hüpft – dieser Blick hätt' Euch übers Grab hinüber geleuchtet. Dieser Blick hätt' Euch über die Sterne getragen.
D. a. Moor. Es ist schwer, es ist traurig! Ich sterbe, und mein Sohn Karl ist nicht hier – ich werde zu Grabe getragen, und er weint nicht an meinem Grabe – Wie süß ist's, eingewiegt zu werden in den Schlaf des Todes von dem Gebet eines Sohnes – das ist Wiegengesang.
Amalia (schwärmend). Ja süß, himmlisch süß ist's, eingewiegt zu werden in den Schlaf des Todes von dem Gesang des Geliebten – vielleicht träumt man auch im Grabe noch fort – ein langer, ewiger, unendlicher Traum von Karln, bis man die Glocke der Auferstehung läutet – (aufspringend, entzückt) und von jetzt an in seinen Armen auf ewig. (Pause. Sie geht ans Clavier und spielt.) Willst dich, Hektor, ewig mir entreißen,
Wo des Äaciden mordend Eisen
Dem Patroklus schrecklich Opfer bringt?
Wer wird künftig deinen Kleinen lehren
Speere werfen und die Götter ehren,
Wenn hinunter dich der Xanthus schlingt? D. a. Moor. Ein schönes Lied, meine Tochter. Das mußt du mir vorspielen, eh ich sterbe.
Amalia. Es ist der Abschied Andromachas und Hektors – Karl und ich haben's oft zusammen zu der Laute gesungen. (Spielt fort.) Theures Weib, geh, hol' die Todeslanze,
Laß mich fort zum wilden Kriegestanze!
Meine Schultern tragen Ilium.
Über Astyanax unsre Götter!
Hektor fällt, ein Vaterlands Erretter,
Und wir sehn uns wider in Elysium. Daniel. Es wartet draußen ein Mann auf Euch. Er bittet, vorgela**en zu werden, er hab' Euch eine wichtige Zeitung.
D. a. Moor. Mir ist auf der Welt nur etwas wichtig, du weißt's, Amalia – Ist's ein Unglücklicher, der meiner Hilfe bedarf? Er soll nicht mit Seufzen von hinnen gehn.
Amalia. Ist's ein Bettler, er soll eilig herauf kommen. (Daniel ab.)
D. a. Moor. Amalia! Amalia! schone meiner!
Amalia (spielt fort) Nimmer lausch' ich deiner Waffen Schalle,
Einsam liegt dein Eisen in der Halle,
Priams großer Heldenstamm verdirbt!
Du wirst hingehn, wo kein Tag mehr scheinet,
Der Cocytus durch die Wüsten weinet,
Deine Liebe in dem Lethe stirbt.
All mein Sehnen, all mein Denken
Soll der schwarze Lethefluß ertränken,
Aber meine Liebe nicht!
Horch! der Wilde rast schon an den Mauern –
Gürte mir das Schwert um, laß das Trauern!
Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht. Franz. Hermann verkappt. Daniel.
Franz. Hier ist der Mann. Schreckliche Botschaften, sagt er, warten auf Euch. Könnt Ihr sie hören?
D. a. Moor. Ich kenne nur eine. Tritt her, mein Freund, und schone mein nicht! Reicht ihm einen Becher Wein!
Hermann (mit veränderter Stimme). Gnädiger Herr! laßt es einen armen Mann nicht entgelten, wenn er wider Willen Euer Herz durchbohrt. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande, aber Euch kenn' ich sehr gut, Ihr seid der Vater Karls von Moor.
D. a. Moor. Woher weißt du das?
Hermann. Ich kannte Euren Sohn –
Amalia (auffahrend). Er lebt? lebt? Du kennst ihn? wo ist er? wo, wo? (Will hinwegrennen.)
D. a. Moor. Du weißt von meinem Sohn?
Hermann. Er studierte in Leipzig. Von da zog er, ich weiß nicht wie weit, herum. Er durchschwärmte Deutschland in die Runde und, wie er mir sagte, mit unbedecktem Haupt, barfuß, und erbettelte sein Brod vor den Thüren. Fünf Monate drauf brach der leidige Krieg zwischen Preußen und Östreich wieder aus, und da er auf der Welt nichts mehr zu hoffen hatte, zog ihn der Hall von Friedrichs siegreicher Trommel nach Böhmen. Erlaubt mir, sagte er zum großen Schwerin, daß ich den Tod sterbe auf dem Bette der Helden, ich hab' keinen Vater mehr! –
D. a. Moor. Sieh mich nicht an, Amalia!
Hermann. Man gab ihm eine Fahne. Er flog den preußischen Siegesflug mit. Wir kamen zusammen unter ein Zelt zu liegen. Er sprach viel von seinem alten Vater und von bessern, vergangenen Tagen – und von vereitelten Hoffnungen – uns standen die Thränen in den Augen.
D. a. Moor (verhüllt sein Haupt in das Kissen). Stille, o stille!
Hermann. Acht Tage drauf war das heiße Treffen bei Prag – ich darf Euch sagen, Euer Sohn hat sich gehalten wie ein wackerer Kriegsmann. Er that Wunder vor den Augen der Armee. Fünf Regimenter mußten neben ihm wechseln, er stand. Feuerkugeln fielen rechts und links, Euer Sohn stand. Eine Kugel zerschmetterte ihm die rechte Hand, Euer Sohn nahm die Fahne in die linke, und stand –
Amalia (in Entzückung). Hektor, Hektor! Hört Ihr's? er stand –
Hermann. Ich traf ihn am Abend der Schlacht niedergesunken unter Kugelgepfeife, mit der Linken hielt er das stürzende Blut, die Rechte hatte er in die Erde gegraben. Bruder! rief er mir entgegen, es lief ein Gemurmel durch die Glieder: der General sei vor einer Stunde gefallen – Er ist gefallen, sagt' ich, und du? – Nun, wer ein braver Soldat ist, rief er und ließ die linke Hand los, der folge seinem General wie ich! Bald darauf hauchte er seine große Seele dem Helden zu.
Franz (wild auf Hermann losgehend). Daß der Tod deine verfluchte Zunge versiegle! Bist du hieher kommen, unserem Vater den Todesstoß zu geben? – Vater! Amalia! Vater!
Hermann. Es war der letzte Wille meines sterbenden Kameraden. Nimm dies Schwert, röchelte er, du wirst's meinem alten Vater überliefern; das Blut seines Sohnes klebt daran; er ist gerochen, er mag sich weiden. Sag' ihm, sein Fluch hätte mich gejagt in Kampf und Tod, ich sei gefallen in Verzweiflung! Sein letzter Seufzer war Amalia.
Amalia (wie aus einem Todesschlummer aufgejagt). Sein letzter Seufzer Amalia.
D. a. Moor (gräßlich schreiend, sich die Haare ausraufend). Mein Fluch ihn gejagt in den Tod! gefallen in Verzweiflung!
Franz (umherirrend im Zimmer). Oh! was habt Ihr gemacht, Vater? Mein Karl, mein Bruder!
Hermann. Hier ist das Schwert, und hier ist auch ein Portrait, das er zu gleicher Zeit aus dem Busen zog! Es gleicht diesem Fräulein auf ein Haar. Dies soll meinem Bruder Franz, sagte er, – ich weiß nicht, was er damit sagen wollte.
Franz (wie erstaunt). Mir? Amalias Portrait? Mir, Karl, Amalia? Mir?
Amalia (heftig auf Hermann losgehend). Feiler bestochener Betrüger! (Faßt ihn hart an.)
Hermann. Das bin ich nicht, gnädiges Fräulein. Sehet selbst, ob's nicht Euer Bild ist – Ihr mögt's ihm wohl selbst gegeben haben.
Franz. Bei Gott! Amalia, das deine! Es ist wahrlich das deine!
Amalia (gibt ihm das Bild zurück). Mein, mein! O Himmel und Erde!
D. a. Moor (schreiend, sein Gesicht zerfleischend). Wehe, wehe! mein Fluch ihn gejagt in den Tod! gefallen in Verzweiflung!
Franz. Und er gedachte meiner in der letzten schweren Stunde des Scheidens, meiner! Englische Seele – da schon das schwarze Panier des Todes über ihm rauschte – meiner! –
D. a. Moor (lallend). Mein Fluch ihn gejagt in den Tod, gefallen mein Sohn in Verzweiflung! –
Hermann. Den Jammer steh' ich nicht aus. Lebt wohl, alter Herr! (Leise zu Franz.) Warum habt Ihr auch das gemacht, Junker? (Geht schnell ab.)
Amalia (aufspringend, ihm nach). Bleib, bleib! Was waren seine letzten Worte?
Hermann (zurückrufend). Sein letzter Seufzer war Amalia. (Ab.)
Amalia. Sein letzter Seufzer war Amalia! – Nein, du bist kein Betrüger! So ist es wahr – wahr – er ist todt! – todt! – (hin und her taumelnd, bis sie umsinkt) todt – Karl ist todt –
Franz. Was seh' ich? Was steht da auf dem Schwert? geschrieben mit Blut – Amalia!
Amalia. Von ihm?
Franz. Seh' ich recht oder träum' ich? Siehe da mit blutiger Schrift: Franz, verlaß meine Amalia nicht. Sieh doch! sieh doch! – und auf der andern Seite: Amalia, deinen Eid zerbrach der allgewaltige Tod. – Siehst du nun, siehst du nun? er schrieb's mit erstarrender Hand, schrieb's mit dem warmen Blut seines Herzens, schrieb's an der Ewigkeit feierlichem Rande! Sein fliehender Geist verzog, Franz und Amalia noch zusammen zu knüpfen.
Amalia. Heiliger Gott! es ist seine Hand. – Er hat mich nie geliebt! (Schnell ab.)
Franz (auf den Boden stampfend). Verzweifelt! meine ganze Kunst erliegt an dem Starrkopf.
D. a. Moor. Wehe, wehe! Verlaß mich nicht, meine Tochter! – Franz, Franz! gib mir meinen Sohn wieder!
Franz. Wer war's, der ihm den Fluch gab? Wer war's, der seinen Sohn jagte in Kampf und Tod und Verzweiflung? – Oh! er war ein Engel, ein Kleinod des Himmels. Fluch über seine Henker! Fluch, Fluch über Euch selber! –
D. a. Moor (schlägt mit geballter Faust wider Brust und Stirn). Er war ein Engel, war Kleinod des Himmels! Fluch, Fluch, Verderben, Fluch über mich selber! Ich bin der Vater, der seinen großen Sohn erschlug. Mich liebt' er bis in den Tod! mich zu rächen, rannte er in Kampf und Tod! Ungeheuer, Ungeheuer! (Wüthet wider sich selber.)
Franz. Er ist dahin, was helfen späte Klagen? (Höhnisch lachend.) Es ist leichter morden, als lebendig machen. Ihr werdet ihn nimmer aus seinem Grabe zurückholen.
D. a. Moor. Nimmer, nimmer, nimmer aus dem Grabe zurückholen. Hin, verloren auf ewig! Und du hast mir den Fluch aus dem Herzen geschwätzt, du – du – Meinen Sohn mir wieder!
Franz. Reizt meinen Grimm nicht. Ich verlaß Euch im Tode! –
D. a. Moor. Scheusal! Scheusal! schaff mir meinen Sohn wieder! (Fährt aus dem Sessel, will Franzen an der Gurgel fa**en, der ihn zurückschleudert.)
Franz. Kraftlose Knochen! ihr wagt es – Sterbt! Verzweifelt! (Ab.)
Der alte Moor.
Tausend Flüche donnern dir nach! du hast mir meinen Sohn aus den Armen gestohlen. (Voll Verzweiflung hin und her geworfen im Sessel.) Wehe, wehe! Verzweifeln, aber nicht sterben! – Sie fliehen, verla**en mich im Tode – meine guten Engel fliehen von mir, weichen alle die Heiligen vom eisgrauen Mörder. – Wehe, wehe! Will mir Keiner das Haupt halten, will Keiner die ringende Seele entbinden? Keine Söhne! keine Töchter! keine Freunde! – Menschen nur – will Keiner, allein – verla**en – Wehe, wehe! – Verzweifeln, aber nicht sterben!
Amalia mit verweinten Augen.
D. a. Moor. Amalia! Bote des Himmels! Kommst du, meine Seele zu lösen?
Amalia (mit sanfterem Ton). Ihr habt einen herrlichen Sohn verloren.
D. a. Moor. Ermordet, willst du sagen. Mit diesem Zeugnis belastet, tret' ich vor den Richterstuhl Gottes.
Amalia. Nicht also, jammervoller Greis! der himmlische Vater rückt' ihn zu sich. Wir wären zu glücklich gewesen auf dieser Welt. – Droben, droben über den Sonnen – Wir sehn ihn wieder.
D. a. Moor. Wiedersehen, wiedersehen! Oh, es wird mir durch die Seele schneiden ein Schwert – wenn ich ein Heiliger ihn unter den Heiligen finde – Mitten im Himmel werden durch mich schauern Schauer der Hölle! Im Anschauen des Unendlichen mich zermalmen die Erinnerung: ich hab' meinen Sohn ermordet!
Amalia. Oh, er wird Euch die Schmerzerinnerung aus der Seele lächeln! Seid doch heiter, lieber Vater! ich bin's so ganz. Hat er nicht schon den himmlischen Hörern den Namen Amalia vorgesungen auf der seraphischen Harfe, und die himmlischen Hörer lispelten ihm leise nach? Sein letzter Seufzer war ja Amalia! Wird nicht sein erster Jubel Amalia sein?
D. a. Moor. Himmlischer Trost quillt von deinen Lippen! Er wird mir lächeln, sagst du? vergeben? Du mußt bei mir bleiben, Geliebte meines Karls, wenn ich sterbe.
Amalia. Sterben ist Flug in seine Arme. Wohl Euch! Ihr seid zu beneiden. Warum sind diese Gebeine nicht mürb? warum diese Haare nicht grau? Wehe über die Kräfte der Jugend! Willkommen, du markloses Alter, näher gelegen dem Himmel und meinem Karl!
Franz tritt auf.
D. a. Moor. Tritt her, mein Sohn! Vergib mir, wenn ich vorhin zu hart gegen dich war! Ich vergebe dir Alles. Ich möchte so gern im Frieden den Geist aufgeben.
Franz. Habt Ihr genug um Euren Sohn geweint? So viel ich sehe, habt Ihr nur einen.
D. a. Moor. Jakob hatte der Söhne zwölf, aber um seinen Joseph hat er blutige Thränen geweint.
Franz. Hum!
D. a. Moor. Geh, nimm die Bibel, meine Tochter, und lies mir die Geschichte Jakobs und Josephs! Sie hat mich immer so gerührt, und damals bin ich noch nicht Jakob gewesen.
Amalia. Welches soll ich Euch lesen? (Nimmt die Bibel und blättert.)
D. a. Moor. Lies mir den Jammer des Verla**enen, als er ihn nimmer unter seinen Kindern fand – und vergebens sein harrte im Kreis seiner eilfe – und sein Klagelied, als er vernahm, sein Joseph sei ihm genommen auf ewig –
Amalia (liest). »Da nahmen sie Josephs Rock, und schlachteten einen Ziegenbock, und tauchten den Rock in das Blut, und schickten den bunten Rock hin, und ließen ihn ihrem Vater bringen, und sagen: diesen haben wir funden, siehe, ob's deines Sohnes Rock sei, oder nicht?« (Franz geht plötzlich hinweg.) »Er kannte ihn aber und sprach: Es ist meines Sohnes Rock, ein böses Thier hat ihn gefressen, ein reißend Thier hat Joseph zerrissen.«
D. a. Moor (fällt auf Kissen zurück). Ein reißend Thier hat Joseph zerrissen!
Amalia (liest weiter). »Und Jakob zerriß seine Kleider, und legte einen Sack um seine Lenden, und trug Leide um seinen Sohn lange Zeit, und alle seine Söhne und Töchter traten auf, daß sie ihn trösteten; aber er wollte sich nicht trösten la**en und sprach: Ich werde mit Leid hinunterfahren –«
D. a. Moor. Hör' auf, hör' auf! Mir wird sehr übel.
Amalia (hinzuspringend, läßt das Buch fallen). Hilf Himmel! Was ist das?
D. a. Moor. Das ist der Tod! – Schwarz – schwimmt – vor meinen – Augen – ich bitt' dich – ruf dem Pastor – daß er mir – das Abendmahl reiche – Wo ist – mein Sohn Franz?
Amalia. Er ist geflohen! Gott erbarme sich unser!
D. a. Moor. Geflohen – geflohen von des Sterbenden Bette? – Und das all – all – von zwei Kindern voll Hoffnung – du hast sie – gegeben – hast sie – genommen – – dein Name sei – –
Amalia (mit einem plötzlichen Schrei). Todt! Alles todt! (Ab in Verzweiflung.)
Franz hüpft frohlockend herein.
Todt, schreien sie, todt! Jetzt bin ich Herr. Im ganzen Schlosses zetert es: todt. – Wie aber, schläft er vielleicht nur? – Freilich, ach freilich! das ist nun freilich ein Schlaf, wo es ewig niemals »Guten Morgen« heißt – Schlaf und Tod sind nur Zwillinge. Wir wollen einmal die Namen wechseln! Wackerer, willkommener Schlaf! Wir wollen dich Tod heißen! (Er drückt ihm die Augen zu.) Wer wird nun kommen und es wagen, mich vor Gericht zu fordern? oder mir ins Angesicht zu sagen: du bist ein Schurke! Weg denn mit dieser lästigen Larve von Sanftmuth und Tugend! Nun sollt ihr den nackten Franz sehen und euch entsetzen! Mein Vater überzuckerte seine Forderungen, schuf sein Gebiet zu einem Familienzirkel um, saß liebreich lächelnd am Thor und grüßte sei Brüder und Kinder. – Meine Augbraunen sollen über euch herhangen wie Gewitterwolken, mein herrischer Name schweben wie ein drohender Komet über diesen Gebirgen, meine Stirne soll euer Wetterglas sein! Er streichelte und koste den Nacken, der gegen ihn störrig zurückschlug. Streicheln und kosen ist meine Sache nicht. Ich will euch die zackigten Sporen ins Fleisch hauen und die scharfe Geißel versuchen. – In meinem Gebiet soll's so weit kommen, daß Kartoffeln und dünn Bier ein Tractament für Festtage werden, und wehe Dem, der mir mit vollen, feurigen Backen unter die Augen tritt! Blässe der Armuth und sklavischen Furcht sind meine Leibfarbe; in diese Liverei will ich euch kleiden! (Er geht ab.)