Fünfter Aufzug Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten. Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen, dazwischen Schießen Erster Auftritt Köhler und Köhlerweib Köhler. Das ist ein grausam, mördrisch Ungewitter, Der Himmel droht in Feuerbächen sich Herabzugießen, und am hellen Tag Ists Nacht, daß man die Sterne könnte sehn. Wie eine losgelaßne Hölle tobt Der Sturm, die Erde bebt und krachend beugen Die alt verjährten Eschen ihre Krone. Und dieser fürchterliche Krieg dort oben, Der auch die wilden Tiere Sanftmut lehrt, Daß sie sich zahm in ihre Gruben bergen, Kann unter Menschen keinen Frieden stiften – Aus dem Geheul der Winde und des Sturms Heraus hört ihr das Knallen des Geschützes; Die beiden Heere stehen sich so nah, Daß nur der Wald sie trennt, und jede Stunde Kann es sich blutig fürchterlich entladen. Köhlerweib. Gott steh uns bei! Die Feinde waren ja Schon ganz aufs Haupt geschlagen und zerstreut, Wie kommts, daß sie aufs neu uns ängstigen? Köhler. Das macht, weil sie den König nicht mehr fürchten. Seitdem das Mädchen eine Hexe ward Zu Reims, der böse Feind uns nicht mehr hilft, Geht alles rückwärts. Köhlerweib. Horch! Wer naht sich da? Zweiter Auftritt Raimond und Johanna zu den Vorigen Raimond. Hier seh ich Hütten. Kommt, hier finden wir Ein Obdach vor dem wütgen Sturm. Ihr haltets Nicht länger aus, drei Tage schon seid Ihr Herumgeirrt, der Menschen Auge fliehend, Und wilde Wurzeln waren Eure Speise. (Der Sturm legt sich, es wird hell und heiter) Es sind mitleidge Köhler. Kommt herein. Köhler. Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen. Kommt! Was unser schlechtes Dach vermag, ist euer. Köhlerweib. Was will die zarte Jungfrau unter Waffen? Doch freilich! Jetzt ist eine schwere Zeit, Wo auch das Weib sich in den Panzer steckt! Die Königin selbst, Frau Isabeau, sagt man, Läßt sich gewaffnet sehn in Feindes Lager, Und eine Jungfrau, eines Schäfers Dirn, Hat für den König unsern Herrn gefochten. Köhler. Was redet Ihr? Geht in die Hütte, bringt Der Jungfrau einen Becher zur Erquickung. (Köhlerweib geht nach der Hütte) Raimond (zur Johanna). Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam, Auch in der Wildnis wohnen sanfte Herzen. Erheitert Euch! Der Sturm hat ausgetobt, Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder. Köhler. Ich denk, ihr wollt zu unsers Königs Heer, Weil ihr in Waffen reiset – Seht euch vor! Die Engelländer stehen nah gelagert, Und ihre Scharen streifen durch den Wald. Raimond. Weh uns! Wie ist da zu entkommen? Köhler. Bleibt, Bis daß mein Bub zurück ist aus der Stadt. Der soll euch auf verborgnen Pfaden führen, Daß ihr nichts zu befürchten habt. Wir kennen Die Schliche. Raimond (zur Johanna). Legt den Helm ab und die Rüstung, Sie macht Euch kenntlich und beschützt Euch nicht. (Johanna schüttelt den Kopf) Köhler. Die Jungfrau ist sehr traurig – Still! Wer kommt da? Dritter Auftritt Vorige. Köhlerweib kommt aus der Hütte mit einem Becher. Köhlerbub Köhlerweib. Es ist der Bub, den wir zurückerwarten. (Zur Johanna) Trinkt, edle Jungfrau! Mögs Euch Gott gesegnen! Köhler (zu seinem Sohn). Kommst du, Anet? Was bringst du? Köhlerbub (hat die Jungfrau ins Auge gefaßt, welche eben den Becher an den Mund setzt; er erkennet sie, tritt auf sie zu und reißt ihr den Becher vom Munde). Mutter! Mutter! Was macht Ihr? Wen bewirtet Ihr? Das ist die Hexe Von Orleans! Köhler und Köhlerweib. Gott sei uns gnädig! (Bekreuzen sich und entfliehen) Vierter Auftritt Raimond. Johanna Johanna (gefaßt und sanft). Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich, Sorg für dich selber und verlaß mich auch. Raimond. Ich Euch verla**en! Jetzt! Und wer soll Euer Begleiter sein? Johanna. Ich bin nicht unbegleitet. Du hast den Donner über mir gehört. Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche. Raimond. Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer, Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen, Verbannt – Johanna. Mich wird nichts treffen, als was sein muß. Raimond. Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen? Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet? Johanna. Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln, Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde Vom Giftgen unterscheiden – ich verstehe Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen. Der Mensch braucht wenig und an Leben reich Ist die Natur. Raimond (faßt sie bei der Hand). Wollt Ihr nicht in Euch gehn, Euch nicht mit Gott versöhnen – in den Schoß Der heilgen Kirche reuend wiederkehren, Johanna. Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig? Raimond. Muß ich nicht, Euer schweigendes Geständnis – Johanna. Du, der mir in das Elend nachgefolgt, Das einzge Wesen, das mir treu geblieben, Sich an mich kettet, da mich alle Welt Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne, Die ihrem Gott entsagt – (Raimond schweigt) O das ist hart! Raimond (erstaunt). Ihr wäret wirklich keine Zauberin? Johanna. Ich eine Zauberin! Raimond. Und diese Wunder, Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft Und seiner Heiligen? Johanna. Mit welcher sonst! Raimond. Und Ihr verstummtet auf die gräßliche Beschuldigung? – Ihr redet jetzt, und vor dem König, Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr! Johanna. Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick, Das Gott, mein Meister, über mich verhängte. Raimond. Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern! Johanna. Weil es vom Vater kam, so kams von Gott, Und väterlich wird auch die Prüfung sein. Raimond. Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld! Johanna. Der Himmel sprach, drum schwieg ich. Raimond. Wie? Ihr konntet Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum? Johanna. Es war kein Irrtum, eine Schickung wars. Raimond. Ihr littet alle diese Schmach unschuldig, Und keine Klage kam von Euren Lippen! – Ich staune über Euch, ich steh erschüttert, Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz! O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit, Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben. Doch könnt ich träumen, daß ein menschlich Herz Das Ungeheure schweigend würde tragen! Johanna. Verdient ichs, die Gesendete zu sein, Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte! Und ich bin nicht so elend, als du glaubst. Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig, Doch in der Öde lernt ich mich erkennen. Da, als der Ehre Schimmer mich umgab, Da war der Streit in meiner Brust, ich war Die Unglückseligste, da ich der Welt Am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich Geheilt, und dieser Sturm in der Natur, Der ihr das Ende drohte, war mein Freund, Er hat die Welt gereinigt und auch mich. In mir ist Friede – Komme, was da will, Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt! Raimond. O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren! Johanna. Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen! Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht! Ein Tag wird kommen, der mich reiniget. Und die mich jetzt verworfen und verdammt, Sie werden ihres Wahnes inne werden, Und Tränen werden meinem Schicksal fließen. Raimond. Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall – Johanna (ihn sanft bei der Hand fa**end). Du siehst nur das Natürliche der Dinge, Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band. Ich habe das Unsterbliche mit Augen Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne Am Himmel niedergehen – So gewiß Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit, So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit! Fünfter Auftritt Die Vorigen. Königin Isabeau mit Soldaten erscheint im Hintergrund Isabeau (noch hinter der Szene). Dies ist der Weg ins engelländsche Lager! Raimond. Weh uns! die Feinde! (Soldaten treten auf, bemerken im Hervorkommen die Johanna, und taumeln erschrocken zurück) Isabeau. Nun! was hält der Zug! Soldaten. Gott steh uns bei! Isabeau. Erschreckt euch ein Gespenst! Seid ihr Soldaten? Memmen seid ihr! – Wie, (Sie drängt sich durch die andern, tritt hervor und fährt zurück, wie sie die Jungfrau erblickt) Was seh ich! Ha! (Schnell faßt sie sich und tritt ihr entgegen) Ergib dich! Du bist meine Gefangene. Johanna. Ich bins. (Raimond entflieht mit Zeichen der Verzweiflung) Isabeau (zu den Soldaten). Legt sie in Ketten! (Die Soldaten nahen sich der Jungfrau schüchtern, sie reicht den Arm hin und wird gefesselt) Ist das die Mächtige, Gefürchtete, Die eure Scharen wie die Lämmer scheuchte, Die jetzt sich selber nicht beschützen kann? Tut sie nur Wunder, wo man Glauben hat, Und wird zum Weib, wenn ihr ein Mann begegnet? (Zur Jungfrau) Warum verließest du dein Heer? Wo bleibt Graf Dunois, dein Ritter und Beschützer? Johanna. Ich bin verbannt. Isabeau (erstaunt zurücktretend). Was? Wie? Du bist verbannt? Verbannt vom Dauphin! Johanna. Frage nicht! Ich bin In deiner Macht, bestimme mein Geschick. Isabeau. Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet, Die Krone ihm hast aufgesetzt zu Reims, Zum König über Frankreich ihn gemacht? Verbannt! Daran erkenn ich meinen Sohn! – Führt sie ins Lager. Zeiget der Armee Das Furchtgespenst, vor dem sie so gezittert! Sie eine Zauberin! Ihr ganzer Zauber Ist euer Wahn und euer feiges Herz! Eine Närrin ist sie, die für ihren König Sich opferte, und jetzt den Königslohn Dafür empfängt – Bringt sie zu Lionel – Das Glück der Franken send ich ihm gebunden, Gleich folg ich selbst. Johanna. Zu Lionel! Ermorde mich Gleich hier, eh du zu Lionel mich sendest. Isabeau (zu den Soldaten). Gehorchet dem Befehle. Fort mit ihr! (Geht ab) Sechster Auftritt Johanna. Soldaten Johanna (zu den Soldaten). Engländer, duldet nicht, daß ich lebendig Aus eurer Hand entkomme! Rächet euch! Zieht eure Schwerter, taucht sie mir ins Herz, Reißt mich entseelt zu eures Feldherrn Füßen! Denkt, daß ichs war, die eure Trefflichsten Getötet, die kein Mitleid mit euch trug, Die ganze Ströme engelländschen Bluts Vergossen, euren tapfern Heldensöhnen Den Tag der frohen Wiederkehr geraubt! Nehmt eine blutge Rache! Tötet mich! Ihr habt mich jetzt, nicht immer möchtet ihr So schwach mich sehn – Anführer der Soldaten. Tut, was die Königin befahl! Johanna Sollt ich Noch unglückselger werden als ich war! Furchtbare Heilge! deine Hand ist schwer! Hast du mich ganz aus deiner Huld verstoßen? Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr, Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen. (Sie folgt den Soldaten) Das französische Lager Siebenter Auftritt Dunois zwischen dein Erzbischof und Du Chatel Erzbischof. Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz! Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König! Verla**et nicht die allgemeine Sache In diesem Augenblick, da wir aufs neu Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen. Dunois. Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt Der Feind sich wieder? Alles war getan, Frankreich war siegend und der Krieg geendigt. Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet Euch selbst! Ich aber will das Lager Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist. Du Chatel. Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht Mit einer solchen Antwort! Dunois. Schweigt, Du Chatel! Ich ha**e Euch, von Euch will ich nichts hören. Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt. Erzbischof. Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht Gewa*kt an diesem unglückselgen Tage, Da alle Zeichen gegen sie bewiesen! Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag Traf zu erschütternd unser Herz – Wer konnte In dieser Schreckensstunde prüfend wägen? Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück, Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt, Und keinen Tadel finden wir an ihr. Wir sind verwirrt – wir fürchten schweres Unrecht Getan zu haben. – Reue fühlt der König, Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos, Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein. Dunois. Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit Verkörpern will in sichtbarer Gestalt, So muß sie ihre Züge an sich tragen! Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen, In ihren klaren Augen muß sie wohnen! Erzbischof. Der Himmel schlage durch ein Wunder sich Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis, Das unser sterblich Auge nicht durchdringt – Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen, Eins von den beiden haben wir verschuldet! Wir haben uns mit höllischen Zauberwaffen Verteidigt oder eine Heilige verbannt! Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen Herab auf dieses unglückselge Land! Achter Auftritt Ein Edelmann zu den Vorigen, hernach Raimond Edelmann. Ein junger Schäfer fragt nach deiner Hoheit, Er fodert dringend, mit dir selbst zu reden, Er komme, sagt er, von der Jungfrau – Dunois. Eile! Bring ihn herein! Er kommt von ihr! (Edelmann öffnet dem Raimond die Türe, Dunois eilt ihm entgegen) Wo ist sie? Wo ist die Jungfrau? Raimond. Heil Euch, edler Prinz, Und Heil mir, daß ich diesen frommen Bischof, Den heilgen Mann, den Schirm der Unterdrückten, Den Vater der Verlaßnen bei Euch finde! Dunois. Wo ist die Jungfrau? Erzbischof. Sag es uns, mein Sohn! Raimond. Herr, sie ist keine schwarze Zauberin! Bei Gott und allen Heiligen bezeug ichs. Im Irrtum ist das Volk. Ihr habt die Unschuld Verbannt, die Gottgesendete verstoßen! Dunois. Wo ist sie? Sage! Raimond. Ihr Gefährte war ich Auf ihrer Flucht in dem Ardennerwald, Mir hat sie dort ihr Innerstes gebeichtet.
In Martern will ich sterben, meine Seele Hab keinen Anteil an dem ewgen Heil, Wenn sie nicht rein ist, Herr, von aller Schuld! Dunois. Die Sonne selbst am Himmel ist nicht reiner! Wo ist sie, sprich! Raimond. O wenn Euch Gott das Herz Gewendet hat – So eilt! So rettet sie! Sie ist gefangen bei den Engelländern. Dunois. Gefangen! Was! Erzbischof. Die Unglückselige! Raimond. In den Ardennen, wo wir Obdach suchten, Ward sie ergriffen von der Königin, Und in der Engelländer Hand geliefert. O rettet sie, die euch gerettet hat, Von einem grausenvollen Tode! Dunois. Zu den Waffen! Auf! Schlagt Lärmen! Rührt die Trommeln! Führt alle Völker ins Gefecht! Ganz Frankreich Bewaffne sich! Die Ehre ist verpfändet Die Krone, das Palladium entwendet, Setzt alles Blut! setzt euer Leben ein! Frei muß sie sein, noch eh der Tag sich endet! (Gehen ab) Ein Wachturm, oben eine Öffnung Neunter Auftritt Johanna und Lionel. Fastolf. Isabeau Fastolf (eilig hereintretend). Das Volk ist länger nicht zu bändigen. Sie fodern wütend, daß die Jungfrau sterbe. Ihr widersteht vergebens. Tötet sie, Und werft ihr Haupt von dieses Turmes Zinnen, Ihr fließend Blut allein versöhnt das Heer. Isabeau (kommt). Sie setzen Leitern an, sie laufen Sturm! Befriediget das Volk. Wollt Ihr erwarten, Bis sie den ganzen Turm in blinder Wut Umkehren und wir alle mit verderben? Ihr könnt sie nicht beschützen, gebt sie hin. Lionel. Laßt sie anstürmen! Laßt sie wütend toben! Dies Schloß ist fest, und unter seinen Trümmern Begrab ich mich, eh mich ihr Wille zwingt. – Antworte mir, Johanna! Sei die Meine, Und gegen eine Welt beschütz ich dich. Isabeau. Seid Ihr ein Mann? Lionel. Verstoßen haben dich Die Deinen, aller Pflichten bist du ledig Für dein unwürdig Vaterland. Die Feigen, Die um dich warben, sie verließen dich, Sie wagten nicht den Kampf um deine Ehre. Ich aber, gegen mein Volk und das deine Behaupt ich dich. – Einst ließest du mich glauben, Daß dir mein Leben teuer sei! Und damals Stand ich im Kampf als Feind dir gegenüber, Jetzt hast du keinen Freund als mich! Johanna. Du bist Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks. Nichts kann gemein sein zwischen dir und mir. Nicht lieben kann ich dich, doch wenn dein Herz Sich zu mir neigt, so laß es Segen bringen Für unsre Völker. – Führe deine Heere Hinweg von meines Vaterlandes Boden, Die Schlüssel aller Städte gib heraus, Die ihr bezwungen, allen Raub vergüte, Gib die Gefangnen ledig, sende Geiseln Des heiligen Vertrags, so biet ich dir Den Frieden an in meines Königs Namen. Isabeau. Willst du in Banden uns Gesetze geben? Johanna. Tu es bei Zeiten, denn du mußt es doch. Frankreich wird nimmer Englands Fesseln tragen. Nie, nie wird das geschehen! Eher wird es Ein weites Grab für eure Heere sein. Gefallen sind euch eure Besten, denkt Auf eine sichre Rückkehr, euer Ruhm Ist doch verloren, eure Macht ist hin. Isabeau. Könnt Ihr den Trotz der Rasenden ertragen? Zehnter Auftritt Die Vorigen. Ein Hauptmann kommt eilig Hauptmann. Eilt, Feldherr, eilt, das Heer zur Schlacht zu stellen, Die Franken rücken an mit fliegenden Fahnen, Von ihren Waffen blitzt das ganze Tal. Johanna (begeistert). Die Franken rücken an! Jetzt, stolzes England, Heraus ins Feld, jetzt gilt es, frisch zu fechten! Fastolf. Unsinnige, bezähme deine Freude! Du wirst das Ende dieses Tags nicht sehn. Johanna. Mein Volk wird siegen und ich werde sterben, Die Tapfern brauchen meines Arms nicht mehr. Lionel. Ich spotte dieser Weichlinge! Wir haben Sie vor uns her gescheucht in zwanzig Schlachten, Eh dieses Heldenmädchen für sie stritt! Das ganze Volk veracht ich bis auf eine, Und diese haben sie verbannt. – Kommt, Fastolf! Wir wollen ihnen einen zweiten Tag Bei Crequi und Poitiers bereiten. Ihr, Königin, bleibt in diesem Turm, bewacht Die Jungfrau, bis das Treffen sich entschieden, Ich laß Euch fünfzig Ritter zur Bedeckung. Fastolf. Was? Sollen wir dem Feind entgegengehn, Und diese Wütende im Rücken la**en? Johanna. Erschreckt dich ein gefesselt Weib? Lionel. Gib mir Dein Wort, Johanna, dich nicht zu befreien! Johanna. Mich zu befreien ist mein einzger Wunsch. Isabeau Legt ihr dreifache Fesseln an. Mein Leben Verbürg ich, daß sie nicht entkommen soll. (Sie wird mit schweren Ketten um den Leib und um die Arme gefesselt) Lionel (zur Johanna). Du willst es so! Du zwingst uns! Noch stehts bei dir! Entsage Frankreich! Trage Englands Fahne, Und du bist frei, und diese Wütenden, Die jetzt dein Blut verlangen, dienen dir! Fastolf (dringend). Fort, fort, mein Feldherr! Johanna. Spare deine Worte! Die Franken rücken an, verteidge dich! (Trompeten ertönen, Lionel eilt fort) Fastolf. Ihr wißt, was Ihr zu tun habt, Königin! Erklärt das Glück sich gegen uns, seht Ihr, Daß unsre Völker fliehen – Isabeau (einen Dolch ziehend). Sorget nicht! Sie soll nicht leben, unsern Fall zu sehn. Fastolf (zur Johanna). Du weißt, was dich erwartet. Jetzt erflehe Glück für die Waffen deines Volks! (Er geht ab) Eilfter Auftritt Isabeau. Johanna. Soldaten Johanna. Das will ich! Daran soll niemand mich verhindern. – Horch! Das ist der Kriegsmarsch meines Volks! Wie mutig Er in das Herz mir schallt und siegverkündend! Verderben über England! Sieg den Franken! Auf, meine Tapfern! Auf! Die Jungfrau ist Euch nah, sie kann nicht vor euch her wie sonst Die Fahne tragen – schwere Bande fesseln sie, Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs. Isabeau (zu einem Soldaten). Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld Hin sieht, und sag uns, wie die Schlacht sich wendet. (Soldat steigt hinauf) Johanna. Mut, Mut, mein Volk! Es ist der letzte Kampf! Den einen Sieg noch, und der Feind liegt nieder. Isabeau. Was siehest du? Soldat. Schon sind sie aneinander. Ein Wütender auf einem Barberroß, Im Tigerfell, sprengt vor mit den Gendarmen. Johanna. Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter! Der Sieg ist mit dir! Soldat. Der Burgunder greift Die Brücke an. Isabeau. Daß zehen Lanzen ihm Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter! Soldat. Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand. Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann, Des Herzogs Leute und die unsrigen. Isabeau. Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht Die königlichen Zeichen? Soldat. Alles ist In Staub vermengt Ich kann nichts unterscheiden. Johanna. Hätt er mein Auge oder stünd ich oben, Das Kleinste nicht entginge meinem Blick! Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen, Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften. Soldat. Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng, Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort. Isabeau. Schwebt unsre Fahne noch? Soldat. Hoch flattert sie. Johanna Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen, Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren! Soldat. Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist Umzingelt! Isabeau (zuckt den Dolch auf Johanna). Stirb, Unglückliche! Soldat (schnell). Er ist befreit. Im Rücken faßt der tapfere Fastolf Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen. Isabeau (zieht den Dolch zurück). Das sprach dein Engel! Soldat. Sieg! Sieg! Sie entfliehen! Isabeau. Wer flieht? Soldat. Die Franken, die Burgunder fliehn, Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde. Johanna. Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verla**en! Soldat. Ein schwer Verwundeter wird dort geführt. Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst. Isabeau. Der Unsern einer oder Fränkischen? Soldat. Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists. Johanna (greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten). Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib! Soldat. Sie! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel Verbrämt mit Gold, Johanna (lebhaft). Das ist mein Herr, der König! Soldat. Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt, Er windet schwer arbeitend sich hervor – (Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen) Die Unsern nahen schon in vollem Lauf – Sie haben ihn erreicht – umringen ihn – Johanna. O hat der Himmel keine Engel mehr! Isabeau (hohnlachend). Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette! Johanna (stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend). Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not, Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch, In deine Himmel send ich meine Seele. Du kannst die Fäden eines Spinngewebs Stark machen wie die Taue eines Schiffs, Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande In dünnes Spinngewebe zu verwandeln – Du willst und diese Ketten fallen ab, Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst Dem Simson, da er blind war und gefesselt, Und seiner stolzen Feinde bittern Spott Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er Die Pfosten seines Kerkers mächtig an, Und neigte sich und stürzte das Gebäude – Soldat. Triumph! Triumph! Isabeau. Was ists? Soldat. Der König ist Gefangen! Johanna (springt auf). So sei Gott mir gnädig! (Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach) Zwölfter Auftritt Vorige ohne Johanna Isabeau (nach einer langen Pause). Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin? Wie brach sie diese zentnerschweren Bande? Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt, Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen. Soldat (auf der Warte). Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie Hinabgeführt? Isabeau. Sprich, ist sie unten? Soldat. Mitten Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort – Ich sehe sie zugleich an vielen Orten! – Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr, Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu! – Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken – Isabeau. Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen? Soldat. Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf. – Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen. Isabeau. Ich will nicht weiter hören. Komm herab. Soldat. Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen. Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran. (Er steigt herunter) Isabeau (das Schwert ziehend). So fechtet, Memmen! Dreizehnter Auftritt Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen La Hire (naht ihr ehrerbietig). Königin, unterwerft Euch Der Allmacht – Eure Ritter haben sich Ergeben, aller Widerstand ist unnütz! – Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin Ihr wollt begleitet sein. Isabeau. Jedweder Ort Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne. (Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten) Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld Vierzehnter Auftritt Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein Sorel (wirft sich an des Königs Brust). Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder! König. Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis! (Zeigt auf Johanna) Sorel. Johanna! Gott! Sie stirbt! Burgund. Sie hat geendet! Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt, Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind! Des Himmels Friede spielt um ihre Züge, Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben Ist noch zu spüren in der warmen Hand. König. Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen, Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen. Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist, Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue. Sorel. Sie schlägt die Augen auf, sie lebt! Burgund (erstaunt). Kehrt sie Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod, Sie richtet sich empor! Sie steht! Johanna (steht ganz aufgerichtet und schaut umher). Wo bin ich? Burgund. Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen! König. In deiner Freunde, deines Königs Armen! Johanna (nachdem sie ihn lange starr angesehen). Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß ich bins nicht. König. Du bist heilig wie die Engel, Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt. Johanna (sieht heiter lächelnd umher). Und ich bin wirklich unter meinem Volk. Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen? Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an? – Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder! Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen! Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie? Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen, Von meinem Meister ward sie mir vertraut, Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen, Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu. König (mit abgewandtem Gesicht). Gebt ihr die Fahne! (Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet) Johanna. Seht ihr den Regenbogen in der Luft, Der Himmel öffnet seine goldnen Tore, Im Chor der Engel steht sie glänzend da, Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust, Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen. Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich – der schwere Panzer wird zum Flügelkleide. Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück – Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude! (Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in loser Rührung. Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergela**en, daß sie ganz davon bedeckt wird)